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Nach "Reichsbürger"-Razzien
Dobrindt (CSU) bringt bundesweite Beobachtung der AfD ins Spiel

Bisher beobachtet der Verfassungsschutz die AfD nur in einigen Bundesländern. Nach den "Reichsbürger"-Razzien und der Festnahme einer Ex-AfD-Abgeordneten kann sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vorstellen, solche Maßnahmen auszuweiten.

Alexander Dobrindt im Gespräch mit Dirk Oliver-Heckmann |
Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, gibt ein Pressestatement vor der Fraktionssitzung.
Fraktionssitzungen - CDU/CSU (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Unter den mutmaßlichen Verschwörern, die diese Woche in Untersuchungshaft kamen, waren nicht nur "Reichsbürger". Auch eine Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin aus Berlin sowie ein ehemaliger AfD-Stadtrat aus Sachsen zählen zum Kreis der Verdächtigten. Nach Angaben von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist die demokratiefeindliche Gesinnung einiger AfD-Abgeordneten schon früher zutage getreten. Beispielsweise in den Mitte 2022 geleakten Chatverläufen der Partei. Diese hätten Aussagen enthalten, bei denen man zumindest das Gefühl gehabt habe, dass in dieser Partei und Fraktion Tendenzen bestünden, die Demokratie und den Staat abzulehnen, sagt Alexander Dobrindt im Interview der Woche. Das sei ein hinreichender Grund, um noch genauer hinzuschauen, "auch vonseiten der Sicherheitsbehörden“, so Dobrindt.
Dies habe seine Grenzen, wenn es um das freie Mandat gehe, so Dobrindt weiter. Wenn es aber um die Partei an sich gehe, gebe es die Möglichkeiten. „Die Länder sind ja zum Teil auch schon tätig, und ich kann mir gut vorstellen, dass man da auf Bundesebene Maßnahmen ergreift.“ Dobrindt sprach sich auch für eine schnellere Entfernung sogenannter Reichsbürger aus dem Staatsdienst. 

Das Interview im Wortlaut
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Dobrindt, beginnen wir mit der Nachricht dieser Woche, die bundesweite Razzia gegen die "Reichsbürger"-Szene. Das war die größte Operation dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Sicherheitsbehörden sprechen von einer Terrororganisation, die sich gebildet habe, sprechen von konkreten Umsturzplänen. Der Rechtsstaat hat reagiert. Wie stark ist die Demokratie in Deutschland in Gefahr?
Alexander Dobrindt: Die Demokratie ist natürlich immer und immer mal wieder in Gefahr, wenn es Leute gibt, die sie beenden wollen. Und dass es da Gedankengut dafür gibt, das ist allgemein bekannt. Dass es aber so weit geht, dass es konkrete Umsturzpläne gibt, dass man sich dafür rüstet, dass man dafür Strukturen schafft und offensichtlich eine klare Vorstellung hat, wie das gehen kann – ob das dann funktionsfähig ist, ist ja nochmal eine ganz andere Frage –, aber dass sich letztlich Staatsstreicher zusammenfinden und mit Waffengewalt geplant einen Umsturz vornehmen, das ist natürlich eine echte Bedrohung. Und deswegen ist es richtig, darauf mit aller Härte zu reagieren. Dass man dann parallel an vielen Stellen in Deutschland und außerhalb Deutschlands mit Razzien vorgeht, dann diese Nester quasi aushebt, die Leute in Gewahrsam nimmt und dann hoffentlich auch entsprechend verurteilt, dass ist das, was da angezeigt und notwendig ist. Ich gehe davon aus, dass das damit jetzt auch nicht beendet ist, sondern das wird der Beginn auch von weiteren Untersuchungen sein, von weiteren Beobachtungen dieser Szene sein. Das ist ja wohl ganz tief in der "Reichsbürger"-Szene verankert. Und aus meiner Sicht muss das auch Konsequenzen haben für Menschen, die sich im Staatsdienst befinden – das scheint ja hier der Fall zu sein. Man kann nicht für diesen Staat arbeiten, wenn man ihn gleichzeitig ja nicht nur ablehnt, sondern seine Existenz komplett in Frage stellt.

"Wer einen Staatsstreich plant, der kann nicht für diesen Staat arbeiten"

Heckmann: Das heißt, mit Blick auf Staatsbedienstete in Deutschland, da muss es Änderungen geben, Änderungen, die auch die Bundesinnenministern Faeser ja schon angedacht hat?
Dobrindt: Ja, ich glaube, wer einen Staatsstreich plant, der kann nicht für diesen Staat arbeiten. 
Heckmann: Das heißt, wie soll man sich von diesen Menschen trennen können, schneller?
Dobrindt: Das muss klar geregelt sein. Weil der, der überführt ist, der sich selber erklärt als Staatsstreicher, als jemand, der in einer "Reichsbürger"-Gemeinschaft diesen Staat vom Grundsatz her ablehnt, das muss ausreichend sein, um ihn dann aus dem Staatsdienst zu entfernen. Ich glaube, wir dürfen schlichtweg nicht zulassen, dass diejenigen, die diesen Staat für nicht existent erklären und seine Strukturen abschaffen wollen, dass die das aus diesem staatlichen Gefüge heraus noch probieren können, sondern die muss man da draußen haben.
Heckmann: Zu den Tatverdächtigen, Herr Dobrindt, zählt eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD, die auch als Richterin in Berlin, im Landgericht dort, tätig war oder ist, zumindest. Jetzt gibt es die Forderung, die AfD auch auf Bundesebene zu beobachten, beobachten zu lassen durch den Verfassungsschutz. Wie ist da Ihre Haltung? Hat sich dadurch für Sie etwas geändert?
Dobrindt: Das war immer schon für uns eine sehr suspekte Situation, dass man – das ist ja nicht ganz neu – erkannt hat… Es gibt ja auch schon viele Chatverläufe, die öffentlich geworden sind, mit Aussagen, dass man zumindest das Gefühl hatte, dass da – in dieser Partei sowieso – aber auch in dieser Fraktion Tendenzen bestehen, die die Demokratie und den Staat auch ablehnen. Und dass jetzt hier auch noch der eindeutige Beweis dann dafür geführt worden ist, das muss hinreichender Grund sein, um da noch genauer auch hinzuschauen, auch vonseiten der Sicherheitsbehörden drauf zu schauen.

Angriffe auf Demokratie von rechts außen bedarf "Dauerbegleitung"

Heckmann: Das heißt, verstehe ich Sie richtig, Sie würden dafür plädieren, eine Beobachtung der AfD auf Bundesebene stärker zu erwägen?
Dobrindt: Das hat natürlich seine Grenzen, wenn es um das freie Mandat geht, das ist vollkommen klar. Aber wenn es um die Partei an sich geht, dann gibt es da die Möglichkeiten. Und die Länder sind ja zum Teil da auch schon tätig. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass man auf Bundesebene da Maßnahmen ergreift.
Heckmann: Herr Dobrindt, Sie haben im Zusammenhang mit den radikalen Klimaaktivisten gesprochen davon, dass man das Entstehen einer Klima-RAF verhindern müsse. Haben Sie verkannt, woher die wahre Gefahr kommt, also?
Dobrindt: Nein, überhaupt nicht. Man kann diese beiden Themen ja miteinander nicht vergleichen. Das ist etwas vollkommen Unterschiedliches, was da stattfindet. Dass unsere Demokratie von rechts außen angegriffen und attackiert wird, das ist etwas, was wir genauestens beobachten. Das ist auch mit vielerlei von Verboten in den vergangenen Jahren einhergegangen mit rechtsradikalen Organisationen. Das ist etwas, was einer auch Dauerbegleitung – ja – bedarf. Trotzdem war jetzt diese Situation, die jetzt erkannt worden ist, mit den "Reichsbürgern", sicherlich nochmal eine ganz neue Dimension. Das hat aber mit einer Frage, die wir bei Klimachaoten erleben, rein gar nichts zu tun.
Heckmann: Na ja, gut, das eine ist eine Terrororganisation gewesen, die RAF, und jetzt haben wir es mit einer neuen Terrororganisation ganz offensichtlich – jedenfalls nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden – zu tun. Der ehemalige Innenminister Horst Seehofer, von Ihrer Partei, CSU, der ist nach den NSU-Morden und auch nach dem Mord an Walter Lübcke, ja, zu der Erkenntnis gekommen zu sagen, die größte Gefahr kommt von rechts. Der Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sieht das ebenso. Teilen Sie diese Einschätzungen? Kommt die größte Gefahr von rechts derzeit?
Dobrindt: Ich teile diese Einschätzung so. Ich habe die auch immer schon so geteilt und Horst Seehofer in seiner Zeit als Innenminister in all diesen Fragen unterstützt. Auch da stammen ja diese ganze Reihe von Verboten von Organisationen her, im rechtsradikalen, dem Rechtsaußenbereich. Und deswegen, ja, selbstverständlich, das ist die größte Herausforderung für den Rechtsstaat. 

Ampel-Regierung bei Energiekrise "lange Zeit mit falschen Argumenten gearbeitet"

Heckmann: Sie hören das „Interview der Woche“ im Deutschlandfunk, mit dem Chef der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, mit Alexander Dobrindt. Herr Dobrindt, in dieser Woche wurde die Ampelregierung ein Jahr alt. Mit dem russischen Angriffskrieg, dem völkerrechtswidrigen, gegen die Ukraine und seinen Folgen, befindet sich die Regierung seitdem in einem Dauerkrisenmodus. Sie hat zahlreiche bislang ja undenkbare Entscheidungen getroffen: Die Waffenlieferungen an die Ukraine, das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr, 200 Milliarden für die Energiepreisbremse; auch die Verlängerung der Atomkraft hätte man nicht erwartet vor diesem Krieg. Sie geben der Regierung dennoch eine glatte Fünf. Ist das nicht reine Oppositions-Folklore?
Dobrindt: Nein, ganz im Gegenteil. Es geht ja darum, ob diese Entscheidungen erfolgreich getroffen worden sind, ob sie ausreichend getroffen worden sind und ob sie der aktuellen Herausforderung auch standhalten. Und wir haben eine Vielzahl von Bereichen aufgezählt; ja, das sind Herausforderungen, das sind Krisen, um es deutlich zu sagen, für die machen wir die Ampel nicht verantwortlich. Aber das Management, das Bearbeiten der Krisen, dafür machen wir die Ampel natürlich verantwortlich. Und wir haben im Bereich der Energiekrise beispielsweise gesehen, dass lange, lange Zeit mit falschen Argumenten gearbeitet worden ist, dass eine Gasumlage versucht worden ist über den ganzen Sommer hinweg zu etablieren. Da wurden Monate vertrödelt, wo man notwendige Entscheidungen deswegen nicht treffen konnte.
Heckmann: Bundeskanzler Scholz sagte, Herr Dobrindt, dass jetzt aber die wichtigen und richtigen Entscheidungen getroffen worden sind. 
Dobrindt: Also, bei der Gasumlage sind wir uns, glaube ich, sehr schnell klar darüber: Gott sei Dank kam sie nicht! Aber die Zeit wurde vertrödelt. Deswegen ist man jetzt zu spät dran. Man weiß bis heute noch nicht, wann welches Geld bei Gaspreisbremse und Strompreisbremse bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei den Haushalten, aber auch bei den Unternehmen ankommt. Bei der Frage der Unterstützung der Ukraine mussten wir massiv als Opposition darauf drängen – wie übrigens bei der Gasumlage auch –, dass sie kommt. Ohne uns wäre diese Regierung nicht in der Lage gewesen, offensichtlich, diese Entscheidungen zu treffen. Die 100 Milliarden Euro-Zeitenwende-Rede vom Bundeskanzler – haben wir aus tiefster Überzeugung unterstützt. Ich habe die Verhandlungen geführt mit Christian Lindner, dass das auch gelingt und die 100 Milliarden dann auch für die Bundeswehr zur Verfügung stehen – bis heute keine einzige Patrone Munition bestellt. 

Waffenbestände - "Wer nicht bestellt, der kriegt auch nichts geliefert"

Heckmann: Da sagt die Bundesregierung, das liegt in erster Linie an der Industrie und es würde ja keinen Sinn machen, jetzt Geld für Quatsch auszugeben.
Dobrindt: Also, wie klein können denn diese Ausreden eigentlich noch werden, die da von der Bundesregierung gefunden werden?! Die Bundesverteidigungsministerin hat in unseren Verhandlungen – die waren ja Anfang dieses Jahres – zugesagt, dass sie noch dieses Jahr für 10 Milliarden Munition bestellen könnte, und zwar so, dass es ausgaberelevant wird, das Geld abfließt, das heißt, die Munition auch reinkommt. Bis heute ist aber nicht mal eine Bestellung aufgegeben. Und dann zu sagen, die Industrie könne nicht liefern – aus welchen Gründen auch immer –, das halte ich für eine sehr falsche, aber auch vor allem unfaire Ausrede. Wer nicht bestellt, der kriegt auch nichts geliefert. Und wir wissen natürlich aus der Industrie, dass viele unserer Nachbarländer, unserer Partner, unserer NATO-Partner in der Industrie schon lange, vor Monaten angefangen haben, die notwendigen Bestellungen auszulösen. Bei uns ist es ja nicht nur Munition, auch alle anderen Waffensysteme sind bisher ja nicht zu einer Bestellung bekommen. Das ist ein klares Versagen der Verteidigungsministerin und hat mit der Lieferfähigkeit der Industrie rein gar nichts zu tun.
Heckmann: Herr Dobrindt, nicht nur die Ampel ist ja ein Jahr im Amt, auch die Union ist jetzt ein Jahr in der Opposition. Sie greifen die Regierung, die Koalition massiv an, an verschiedensten Punkten. Kritiker und politische Gegner sagen: Sie bedienen sich dabei auch durchaus Fake News. Haben Sie sich von Donald Trump da etwas abgeguckt?
Dobrindt: Nein, das ist ja auch wieder so ein ziemlich unfairer Vorwurf.
Heckmann: Das ist eine Frage!
Dobrindt: Naja, diejenigen, die es sagen, meinen es, glaube ich, als Vorwurf, und Sie machen daraus eine Frage. Das ist was anderes, das stimmt! Und wir haben doch erlebt, dass jetzt ständig in den letzten Monaten versucht wurde, der Opposition zu erklären, sie muss diese Regierung mittragen, das sei jetzt also die neue Definition einer Oppositionsrolle. Und ich habe der Ampelregierung erklärt, dass wir nicht die Claqueure dieser Regierung sind, sondern dass wir die Kontrolleure dieser Regierung, dieser Ampelregierung sind.
Heckmann: Aber es ist ja die Frage, Herr Dobrindt, wie seriös man das macht ...
Dobrindt: Ja, und deswegen …

"Ein „Hartz IV-Update“ ist es am Schluss geworden und weniger ein Bürgergeld"

Heckmann: ... und dass man nicht mit falschen Zahlen argumentiert. Das wurde Ihnen ja vorgehalten – Beispiel Bürgergeld. Da haben Sie dann vorgerechnet, Arbeiten würde sich nicht mehr lohnen. Sie haben eine Beispielrechnung verbreitet, da waren Leistungen, die Geringverdiener beziehen und beantragen können, gar nicht mit drin, die wurden unter den Tisch fallen gelassen. Und Sie haben gesagt, die Sanktionen würden vollständig abgeschafft, nach den Plänen der Ampelregierung – dass stimmte so auch nicht so ganz, denn Sanktionen waren durchaus möglich. Ist es nicht auch eine Gefahr für die Demokratie, wenn man es mit den Fakten nicht so genau nimmt?
Dobrindt: Wir haben dezidiert erklärt, um was es an der Stelle geht. Auf der einen Seite haben wir klar gesagt, die Sanktionen werden abgeschafft – was stimmt. Alles, was notwendig ist an Sanktionen und bisher hilft, Leute nicht sich zu zementieren in dieser Dauerarbeitslosigkeit, das sollte von der Ampel aufgehoben werden. Wenn man daran denkt, keine Sanktionen mehr, wenn man eine Arbeitsstelle nicht annimmt, keine Sanktionen mehr, wenn man Fortbildung nicht annimmt, keine Sanktionen mehr, wenn man Sprachförderung nicht annimmt – ich habe das sogar dezidiert immer in die Medien formuliert, um was es an der Stelle geht. Da muss man sich nicht „Fake News“ vorwerfen lassen, sondern ich würde eher raten, dass die Regierung ihre Arbeit ordentlich macht, dann braucht es auch diese schärfere politische Auseinandersetzung nicht. Wir haben die konstruktive Opposition als unsere Aufgabe erklärt. Da bleibt es auch dabei. Und wenn notwendig, wie beispielsweise bei den 100 Milliarden, begleiten wir das konstruktiv, um es auch zum Erfolg zu führen. Da, wo es von uns angeboten wird, die Mitarbeit aber nicht angenommen wird, wie beispielsweise beim Bürgergeld, da wird es dann zu einem anderen Zeitpunkt, wie zum Beispiel im Vermittlungsausschuss, dann entsprechend korrigiert, aber auch konstruktiv korrigiert. Und notwendig war es ja ganz offensichtlich. Die Ampel hat ja selber eingesehen, dass da eine ganze Menge von Fehlern drin sind, ansonsten wäre es ja nicht zu diesen Vereinbarungen gekommen. Was übrigens deutlich mehr eine Korrektur als ein Kompromiss bei Hartz IV ist. Ein „Hartz IV-Update“ ist es am Schluss geworden und weniger ein Bürgergeld.

Staatsbürgerschaftsrecht - "Es wird versucht, mit deutlich wenigeren Anforderungen dann diese Staatsbürgerschaft zu erreichen"

Heckmann: Sie hören weiterhin das „Interview der Woche“ im Deutschlandfunk, mit Alexander Dobrindt, dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Herr Dobrindt, ein wichtiges großes Feld in den letzten ein, zwei Wochen ist das Feld der Migration/Integration. Da hat die Ampelkoalition mehrere Projekte auf die Schiene gebracht, unter anderem das Staatsbürgerschaftsrecht. Die Koalition will Einbürgerungen leichter machen. Menschen, die gut integriert sind und über fünf Jahre in Deutschland leben, die sollen sich einbürgern lassen können und nicht erst nach acht Jahren. Auch der Doppelpass soll möglich werden, nicht nur für EU-Bürger und Schweizer Staatsbürger beispielsweise. Sie haben in dem Zusammenhang gesagt – Zitat: „Die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen fördert nicht die Integration, sondern bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzliche Pull-Effekte bei der illegalen Migration auslösen“ – Zitat Ende. Herr Dobrindt, weshalb fördert die Staatsbürgerschaft die Desintegration?
Dobrindt: Wir haben hier ein Staatsbürgerschaftsrecht, das vor Jahren in einem großen Kompromiss und einer großen gesellschaftlichen Debatte zustande kam, das ja auch die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft eben nach acht Jahren und entsprechenden Integrationsleistungen ermöglicht und schafft. Und das ist ein guter Kompromiss aus unserer Sicht gewesen, der hart errungen worden ist. Und das jetzt in die Gesamtsituation, wie wir sie erlebt haben mit Chancen-Aufenthaltsrecht, mit der Neufassung von Arbeitskräftezuwanderung, Fachkräftezuwanderung, wie es eigentlich heißen müsste, dann das Staatsbürgerschaftsrecht, von der Innenministerin in die Debatte hineingeworfen ist, ohne irgendeine Vorbereitung und dann noch mit dem Hinweis, das könne man jetzt aber zukünftig ja dann vielleicht in drei Jahren schon erreichen. Das ist ein vollkommen falscher Ansatz. Wer heute schon nach drei Jahren eine Staatsbürgerschaft erreichen kann und nicht nach acht Jahren, da erklärt sich es doch eigentlich von selber, dass eine Integrationsleistung nach acht Jahren eine tiefere ist als sie nach drei Jahren überhaupt sein kann.
Heckmann: Na ja, das kommt ja ein bisschen auf die Bedingungen an. Aber Herr Dobrindt, geht es denn einem Deutschen schlechter, wenn ein lange in Deutschland lebender, ausländischer Staatsbürger die deutsche Staatsbürgerschaft erhält?
Dobrindt: Das ist überhaupt nicht die Frage, ob es irgendeinem schlechter geht. Das ist die Frage, wie geht man mit der Staatsbürgerschaft, die man als Staat zu vergeben hat, um? Das ist nun mal das Bedeutendste, was man letztlich zu vergeben hat. Nach Aufenthaltsmöglichkeiten, Arbeitsmöglichkeiten, anderen Dingen mehr, ist das natürlich dann am Schluss die Staatsbürgerschaft und wie geht man mit der um? Und ich finde es klug, wenn man mit der so umgeht, dass Integration die Voraussetzung dafür ist. Das haben wir gemeinsam, wie gesagt, in einem großen Kompromiss geschaffen. Der wird jetzt aufgeschnürt oder aufgelöst und es wird versucht, mit deutlich wenigeren Anforderungen dann diese Staatsbürgerschaft zu erreichen.
Heckmann: Na ja, eine gewisse Integration muss ja ...
Dobrindt: Aber das darf man, glaube ich, auch nicht besser finden als das bestehende Recht. Und genau das ist es, was man hier gegenüber der Ampelregierung zum Ausdruck gebracht hat. Erstens glaube ich, zu einer nicht klugen Zeit in die öffentliche Debatte eingebracht und zweitens, mit allem dem, was wir bisher darüber kennen, macht es eben das Staatsbürgerschaftsrecht nicht besser, sondern es macht es am Schluss schlechter und fördert eben gerade nicht die Integration. 
Heckmann: Herr Dobrindt, Sie sagen immer, die Staatsangehörigkeit, die muss am Ende stehen und nicht am Anfang. Aber bei diesem Projekt geht es ja um Menschen, die hier seit Jahren, teilweise seit Jahrzenten leben, die müssen ja schon bereits gut integriert sein. Weshalb verbreiten Sie die Behauptung, die Staatsbürgerschaft würde am Anfang der Integration vergeben?
Dobrindt: Jetzt stellt sich aber schon die Frage, wenn Sie sagen, sie leben hier seit Jahrzehnten und wir beide aber wissen, dass das Recht heute ja schon das Erreichen der Staatsbürgerschaft nach acht Jahren ermöglicht, wieso soll das dann für die Leute auf einmal besser gelingen, wenn man es nach drei Jahren macht? Ich kann es auch anders formulieren… Der Bundeskanzler hatte genau das auch gesagt: Es geht um Menschen, die hier seit Jahrzehnten leben, das sei seine Intention, denen eine Staatsbürgerschaft zu geben. Warum schafft er dann eine Regel, die das nach drei Jahren ermöglicht? Da allein sieht man doch schon den Widerspruch in dieser Argumentation.

Aufenthalt von drei Jahren als Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben ist kein großer Anreiz zur Integration

Heckmann: Sie sagen auch, Herr Dobrindt, es soll keine Einwanderung in Sozialsysteme geben, auch im Zusammenhang mit dem Staatsbürgerschaftsrecht. Dabei geht es doch um Menschen, die ohnehin hier leben und gegebenenfalls Anspruch auf Sozialleistungen haben. Insofern ist das doch kein Argument, oder?
Dobrindt: Nein, überhaupt nicht. Also, was Sie jetzt sagen, trifft nicht zu, weil das Staatsbürgerschaftsrecht trifft auch für die Zukunft zu und nicht nur für die Gegenwart und Vergangenheit. Das heißt, es geht nicht nur um die Leute, die hier seit – wie Sie sagen – Jahrzehnten leben, denen es aber ohnehin schon ermöglicht ist, wenn sie so lange hier leben, sondern es geht auch um die, die in Zukunft zu uns kommen. Und da, finde ich, dass ein Aufenthalt von drei Jahren als Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft dann zu erwerben, keine große Hürde und kein großer Anreiz zur Integration ist.
Heckmann: Wobei man dazu sagen muss, dass diese drei Jahre nur gelten für die Personen, die besondere Integrationsleistungen vorweisen können, also besonderes gute Deutschkenntnisse beispielsweise oder ehrenamtlich arbeiten, solche Aspekte werden da mitberücksichtig. Kommen wir mal zu einem anderen Aspekt, diesem Chancen-Aufenthaltsrecht, was Sie gerade auch schon mal erwähnt hatten. Abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden konnten und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht abgeschoben werden können und die über fünf Jahre in Deutschland sind, die gut integriert sind, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können, die sollen Zeit erhalten, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu schaffen. Weshalb wollen Sie diese Leute loswerden, während man im Ausland gleichzeitig nach Fachkräften sucht?
Dobrindt: Na, erstens werden hier natürlich Sachen miteinander vermischt, aber auch dieser Hinweis, „warum sollen Sie diese Leute loswerden“, trifft nicht zu, weil die Gesetzeslage, die wir geschaffen haben, ja genau das heute auch ermöglicht, dass diese Menschen mit einem dauerhaften Aufenthalt hier arbeiten können. So, deswegen auch da das Chancen-Aufenthaltsrecht, wie es jetzt ja auch beschlossen worden ist in der vergangenen Woche, richtet sich ja in der Hauptsache an Menschen, deren Identität nicht geklärt ist, Leute, die in ihrer Identität täuschen oder ihre Identität verweigern als zu geben.
Heckmann: Ja, Leute, die täuschen, die werden aber ausdrücklich ausgeschlossen, aus diesem Chancen-Aufenthaltsrecht. Das lassen Sie immer unter den Tisch fallen!
Dobrindt: Nein, das stimmt auch nicht, was Sie sagen. Weil die werden eben nicht ausdrücklich ausgeschlossen, sondern die werden dann ausgeschlossen, wenn sie mehrmals täuschen. Das steht ja auch da im Gesetz so drinnen. Das heißt, das wird eben genau für diese Gruppe, deren Identitäten ungeklärt sind oder die eben auch täuschen, eine Ermöglichung, dann dauerhaft hier zu bleiben. Und wir sind der Meinung, dass an einem gewissen Punkt der Rechtsstaat klar sagen muss: Das ist der Umgang, den wir aber nicht akzeptieren können. Und deswegen haben wir es an der Stelle auch für falsch gehalten, die Möglichkeit zu schaffen, quasi ein dauerhaftes Bleiberecht zu erwirken, ohne dass man sagt, wer man ist und woher man kommt.

"Es ist unzweifelhaft, dass wir Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland brauchen"

Heckmann: Die Ampelregierung will auch ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg bringen, dazu sind die Eckpunkte bereits beschlossen vom Kabinett – Sie haben es auch schon mal kurz erwähnt. Es soll das modernste Einwanderungsgesetz in Europa werden, unter anderem mit einem Punktesystem, wie in Kanada, beispielsweise. Friedrich Merz sagt, dieses Punktesystem, das sei für andere Länder passender. Wie stehen Sie dazu?
Dobrindt: Wir werden uns das im Detail anschauen, aber für uns ist es wichtig, dass es eine weitere klare Unterscheidung zwischen dem Asylsystem und dem Fachkräftezuwanderungssystem gibt. Das ist der erste Punkt, da steht die Ampel im Verdacht, das immer weiter aufweichen oder das Trennende immer weiter vermischen zu lassen, und das ist der erste Punkt. Und der zweite Punkt ist, dass wir dafür sorgen müssen, dass nicht aus dieser Zuwanderung eine Zuwanderung in die Sozialsysteme besteht. Es ist unzweifelhaft, dass wir Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland brauchen. Die Regelung dazu haben wir auch in der letzten Wahlperiode deutlichst modernisiert. Also, zur Arbeitsaufnahme kann man auch nach Deutschland kommen und die Arbeitsaufnahme zu suchen, man kann nach Deutschland kommen, um eine Ausbildung zu machen. Das heißt, es ist sehr vieles inzwischen auch möglich geworden. Die Ampel will das weiter aufweichen in der Frage der Qualifikation. Und da ist für uns das Risiko, zumindest muss man das benennen, dass damit auch Zuwanderung in die Sozialsysteme stattfindet, wenn es keine Qualifikationsvoraussetzungen mehr für Arbeitsmigranten nach Deutschland gibt. Und wir wissen, dass für Menschen ohne Ausbildung die Arbeitssuche und die dauerhafte Beschäftigung in Deutschland nicht sehr einfach ist, sondern gerade auch in Frage steht.
Heckmann: Na ja gut, die Ampel, die möchte ja gerne Menschen die Einwanderung erleichtern, die qualifiziert sind, hochqualifiziert sind, da die Hürden abzubauen oder auch im zweiten Bereich den Menschen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung gemacht haben, mehrere Jahre in dem Beruf gearbeitet haben, denen auch die Möglichkeit zu geben zu kommen und dann eben dieses Punktesystem, wo es auch nach Qualifikation geht. Also, Sie sagen, ja, wir brauchen die Einwanderung von Fachkräften, man erlebt aber die Union dann doch immer als zögerlich und abwehrend eher. Aber das Fachkräfteproblem wird ja nicht kleiner, im Gegenteil, Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sagt, es wird sich massiv verschärfen. Und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, sagt: „Wenn wir das nicht tun würden, dann verramschen wir unsere Wirtschaftskraft und unseren Wohlstand“ – indem sie dann einen Begriff von Ihnen aufgegriffen hatte.
Dobrindt: Aber Verzeihung, Sie reden jetzt von Hochqualifizierten und Qualifizierten – das ist heute möglich. Das, um was es jetzt geht, sind Niederqualifizierte und Nichtqualifizierte, die sollen mit der Gesetzesänderung eine Möglichkeit haben, nach Deutschland einzuwandern und hier Arbeit aufzunehmen, und zwar Arbeit, die bezahlt wird knapp über Mindestlohn. Das sind die Regeln, die jetzt beschlossen worden sind. Das hat jetzt mit dem, was Sie mich gerade gefragt haben, relativ wenig zu tun. Und deswegen muss man die Sache anschauen, bei der die Ampel jetzt der Meinung ist, da müsste sie dieses jetzt schon existierende moderne Einwanderungsrecht ergänzen. Und darauf hinzuweisen, dass – wenn Menschen einwandern dürfen, die keine Qualifikation haben und Arbeiten annehmen sollen, die knapp über Mindestlohn bezahlt werden –, dass da ein Risiko besteht, dass wir die nach einer gewissen Zeit dann im Sozialsystem wiederfinden, ich glaube, darauf muss man deutlich hinweisen. Und deswegen reden ja auch die Ampelkollegen nicht mehr von Fachkräftezuwanderung, sondern sie reden von Arbeitskräftezuwanderung, weil sie das Wort „Fach“ an der Stelle genau nicht mehr haben wollen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.