In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hielten die Astronomen unseren Kosmos noch für eine Art Idyll. Das Universum sollte ewig gleich und unveränderlich sein – und keinerlei Dynamik besitzen. Das schien auch zur Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins zu passen. Doch im Jahr 1922 beschäftigte sich der junge russische Mathematiker Alexander Friedmann mit den Gleichungen der Relativitätstheorie, erklärt Markus Pössel vom Haus der Astronomie, einer Forschungs- und Bildungseinrichtung in Heidelberg.
„Friedmann hatte einfach ein interessantes mathematisches Problem gesehen in den Gleichungen, die Einstein da das erste Mal für einen Spezialfall aufgestellt hat. Und wie Mathematiker so drauf sind, hat er dann gesagt: Mensch, ich kann das allgemeiner und hat jetzt eine Verallgemeinerung dieser Gleichungen hergeleitet. Da kam dann etwas mit zeitlicher Veränderung auf großen Skalen mit rein. Darauf geht er physikalisch gar nicht ein.“
Gibt es die Welt seit zehn Milliarden Jahren?
Nach Friedmanns Ansicht musste sich das Universum bewegen: Entweder dehnt es sich aus, es stürzt zusammen oder es pulsiert, wird also periodisch größer und kleiner. Jedenfalls steht es nicht still. Doch was dieser mathematische Befund physikalisch bedeutete, interessierte Alexander Friedmann gar nicht. In seinem zehnseitigen Aufsatz in der „Zeitschrift für Physik“ widmet er sich dieser Frage nur ganz kurz am Schluss:
„Unsere Kenntnisse sind vollständig ungenügend, um Zahlenrechnungen durchzuführen und zu entscheiden, welche Welt unser Weltall ist. Mit einigen Annahmen könnte die Weltperiode rund zehn Milliarden Jahre betragen, aber dies ist nur eine sehr grobe Schätzung.“
Einstein widersprach Friedmann - und widerrief
Alexander Friedmann war immerhin klar, dass sich das Universum über einen Zeitraum von vielen Milliarden Jahren verändern musste. Was heute als epochale Arbeit der Kosmologie gilt, sorgte damals keineswegs für Aufsehen. Albert Einstein hielt die mögliche Dynamik des Universums für absurd und meinte, Friedmann habe sich verrechnet. Der widerlegte diesen Vorwurf, wie Einstein in einer weiteren Publikation einräumte:
„Alexander Friedmann hat mich in einem Brief überzeugt, dass meine Kritik an seiner Arbeit auf einem Fehler in meinen Berechnungen beruhte. Die Resultate von Herrn Friedmann sind richtig und weisen einen neuen Weg.“
Georges Lemaître weist den Weg zum Urknall
Doch welcher Weg das war, erfassten weder der Mathematiker Friedmann noch der Physiker Einstein. Erst der belgische Gelehrte Georges Lemaître beschäftigte sich einige Jahre später intensiv mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie und ihrer Bedeutung für den Aufbau des Universums, so Markus Pössel:
„Lemaître war eigentlich derjenige, der sich darüber Gedanken gemacht hat, was heißt das wirklich physikalisch? Der hat dann diese zeitliche Veränderung, was wir heute die Expansion des Kosmos nennen, ernst genommen. Er hat eben auch zurückgeschlossen, was an den anderen einigermaßen vorbeigegangen ist: Wenn ich sage, dass Abstände wirklich ganz systematisch zunehmen, dann muss ich das ja auch ehrlicherweise zurückrechnen. Dann war alles früher enger zusammen. So kam er dann wirklich auf den Urknall.“
„Lemaître war eigentlich derjenige, der sich darüber Gedanken gemacht hat, was heißt das wirklich physikalisch? Der hat dann diese zeitliche Veränderung, was wir heute die Expansion des Kosmos nennen, ernst genommen. Er hat eben auch zurückgeschlossen, was an den anderen einigermaßen vorbeigegangen ist: Wenn ich sage, dass Abstände wirklich ganz systematisch zunehmen, dann muss ich das ja auch ehrlicherweise zurückrechnen. Dann war alles früher enger zusammen. So kam er dann wirklich auf den Urknall.“
Im Jahr 1929 lieferte der US-Astronom Edwin Hubble endlich die Beobachtungen, die sieben Jahre zuvor – als Alexander Friedmann den Aufbau der Welt berechnete – noch technisch unmöglich waren. Hubbles Daten zeigten, dass sich das Universum tatsächlich ausdehnt – und somit einst mit einem Urknall entstanden sein musste. Damit war Friedmanns Arbeit bestätigt, was drei Physiker Jahrzehnte später in einer Biographie des Mathematikers hymnisch feiern:
„Alexander Friedmann hat eine wahre wissenschaftliche Revolution vollbracht. So wie Kopernikus die Erde um die Sonne laufen ließ, hat Friedmann das Universum zum Expandieren gebracht.“
Alexander Friedmann hat allerdings nicht mehr erfahren, was wirklich in seinen Gleichungen steckte. Drei Jahre nach seiner „Entdeckung“ des dynamischen Weltalls starb er an Typhus – im Alter von nur 37 Jahren. Doch seine Leistungen sind nicht vergessen, betont Markus Pössel:
„Heutzutage, wenn Sie entsprechende Fachartikel sehen, sehen Sie überall bei der Kosmologie diese Modelle eines homogenen, expandierenden Universums. Die werden da als FLRW-Modelle – Friedmann, Lemaitre, Robertson, Walker – bezeichnet und die entsprechenden Gleichungen für die Dynamik, die heißen auch heute noch Friedmann-Gleichungen.“