Archiv

Alexander Gerst vor zweitem Flug zur ISS
Monatelanges Training für das Überleben im All

In gut drei Wochen soll der deutsche Astronaut Alexander Gerst erneut zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Ein monatelanges Training auch für Notfälle liegt hinter ihm. Ob seine Mission erfolgreich ist, hängt für Gerst nicht allein von den Ergebnissen der wissenschaftlichen Experimente im All ab.

Von Thielko Grieß |
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Der Astronaut Alexander Gerst spricht auf einer Pressekonferenz (picture alliance/Oliver Berg/dpa)
    Das Swjosdnyj gorodok, das Sternenstädtchen, liegt dort, wo der Speckgürtel Moskaus ein wenig durchlässiger wird. Eine Kleinstadt in sich selbst, ruhig, umzäunt und ummauert. Hier bereiten sich Kosmonauten auf ihren Flug ins All vor.
    Mittendrin in einer großen Halle. Eine Treppe führt einige Stufen hinauf zu einer Luke, der Einstiegsöffnung der Sojus-Kapsel. Auf einer der Treppenstufen haben der Russe Sergej Prokopjew, die US-Amerikanerin Serena Aunon-Chancellor und der Deutsche Alexander Gerst nebeneinander Platz genommen. Sie tragen ihre Raumanzüge. Eine baugleiche Sojus soll die drei Anfang Juni zur Internationalen Raumstation bringen und ein halbes Jahr später zurück zur Erde. Viel ist von außen nicht zu erkennen, aber einen Blick auf viele, viele Knöpfe und die Enge in der Kapsel ist zu erhaschen. Die drei Kosmonauten haben wochenlang trainiert, erzählt Gerst.
    "Viele dieser Trainingseinheiten sind extrem schwierig, wenn man dann zum Beispiel die Raumstation mit einer Gasmaske verlassen muss. Und dann in den Raumanzug reinklettern mit der Gasmaske auf, ohne Ventilation, man ist vollkommen überhitzt. Zum Beispiel dann auch Sommer-Überlebenstraining in der Kapsel bei 35 Grad, wenn man dann eine siebenlagige Thermokleidung anziehen muss."
    Üben für den Notfall
    Start, Ankoppeln an die ISS und der Rückflug zur Erde, sagt Anna von der Europäischen Weltraumagentur ESA, sind die riskantesten Manöver einer jeden Mission.
    "Heute ist Prüfung: Sie werden sowohl Start als auch Landung üben. Während der Prüfung werden ihre Ausbilder Notfallsituationen auslösen, welche genau, wissen die Kosmonauten vorher nicht. Sie sollen auf sie reagieren. Die Bewertung wird davon abhängen, wie sie reagiert haben. Zum Beispiel: auf einen Brand, einen Druckabfall im Raumschiff oder im Raumanzug. Es wird etwa fünf bis sechs Stunden dauern."
    Bevor er sich in den verbleibenden Sitz hineinfaltet, sagt Sergej Prokopjew, der russische Kosmonaut:
    "Die Besatzung arbeitet reibungslos zusammen. Uns bleibt nun nur noch, unsere Kenntnisse unter Beweis zu stellen, die wir während der langen Vorbereitung erworben haben."
    In der Kapsel ist Prokopjew der Chef.
    Winter-Überlebenstraining bei minus 20 Grad
    Drei Tage später: Alle sechs Kosmonauten, die drei aus der Erstbesatzung und die drei aus der Reservemannschaft, haben ihre Prüfungen mit einer "5" bestanden. Die Note bedeutet nach russischer Zählweise "sehr gut". In wenigen Tagen endet sie, die gemeinsame Zeit im Sternenstädtchen bei Moskau. Alexander Gerst hat vor wenigen Tagen das Bild eines Lagerfeuers getwittert, an dem er mit den anderen Kosmonauten einen lauen Abend verbracht hat. Aus einer Besatzung sind Freunde geworden, meint er.
    "Wir haben zusammen das Winter-Überlebenstraining verbracht bei minus 20 Grad im Wald ohne Zelt, ohne Schlafsack. Da lernt man sich kennen. Wenn man da ums Lagerfeuer sitzt, ich glaube, da kommen einem genau die gleichen Gedanken wie jedem von uns. Nur, dass man natürlich weiß, dass das jetzt für eine lange Zeit das letzte Mal, dass man das sieht. Wenn man realisiert: ‚Hoppla, in einer Woche werde ich in Baikonur sein und in drei Wochen werde ich diesen Planeten verlassen.‘"
    Seinen Heimatplaneten wird er tausendfach umkreisen.
    "Man versteht auch, dass wir Menschen für die Erde nicht wichtig sind. Es ist andersherum der Fall. Wenn man auf die Erde runterschaut, ist eigentlich relativ klar, dass die Erde uns Menschen auf die ein oder andere Weise überleben wird. Die Frage ist, wie wir Menschen das anstellen, dass wir die Erde weiterhin bewohnbar halten."
    Gedenken an Jurij Gagarin
    Es ist Gersts zweiter Flug auf die ISS - er ist dann als erster Deutscher ihr Kommandant. Auf mehr als 400 Kilometern Höhe wollen die Kosmonauten 300 wissenschaftliche Experimente durchführen.
    "Wenn ich das hinkrieg‘, dass wir unser Programm durchführen, dass wir als Freunde auch zurückkommen, wir fliegen da auch als Freunde hin, dann ist das für mich wirklich eine großartige Mission geworden."
    Der Rote Platz am Kreml. Arbeiter bauen noch die Tribüne ab, die für die Militärparade aufgebaut worden war. Alexander Gerst und die anderen Kosmonauten nähern sich mit Nelken in der Hand dem Grab Jurij Gagarins an der Kremlmauer, dem ersten Menschen im Weltraum. Sie reden nicht viel miteinander, setzen ihre Sonnenbrillen ab, verharren und legen die Blumen nieder. Sie schauen hoch auf die Namensplakette, vielleicht auch ein bisschen höher in den blauen Moskauer Himmel. In gut drei Wochen zünden die Raketentriebwerke in Baikonur, Kasachstan.