Archiv

Alexander Sokurovs Film "Francofonia"
Der Louvre in Zeiten des Krieges

Der Louvre in Paris zählt zu den bedeutendsten Museen der Welt. Der neue Film von Alexander Sokourov zeigt die Geschichte des Museums unter nazideutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Geschickt verbindet er darin Dokumentarmaterial mit Spielszenen und Historisches mit Fantastischem.

Von Rüdiger Suchsland |
    Besucher des Louvre in Paris machen Fotos der Mona Lisa von Leonardo da Vinci .
    Besucher des Louvre in Paris machen Fotos der Mona Lisa von Leonardo da Vinci . (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Ein Containerschiff fährt übers Meer in schwerem Sturm, es wird hin und hergeschüttelt von den Wellen. In Alexander Sokourovs neuem Film ist dieses Schiff eine Metapher.
    Es steht für Europa, die Idee des vereinten Europa und seine Werte und die gemeinsame Kultur, in denen sie wurzeln, und die gerade von Stürmen umtost ins Wanken und vielleicht sogar grundsätzlich in Gefahr geraten sind. Das Containerschiff steht auch als eine Art moderne Arche Noah für alles, was es zu bewahren gilt, im Fall einer Sintflut. Und dies sogar doppelt, nämlich nicht nur metaphorisch, sondern ganz konkret: Das Schiff, so sagt der Erzähler aus dem Off enthält die wichtigsten Kunstwerke Europas.
    Es kommt noch ein anderes, zweites Schiff in Sokourovs Filmessay vor: Die "Medusa", die 1810 in einer fürchterlichen Katastrophe verunglückte, und den Maler Théodore Géricault zu seinem "Floß der Medusa" inspirierte, einem der berühmtesten Gemälde des Louvre.
    Dokumentarmaterial mit Spielszenen
    In diesem Denkstil bewegt sich Sokourovs Film: Kaskadenhaft, einen Gedanken mit dem nächsten lose verknüpfend, den Assoziationen und Ideen nachgebend, im Bewusstseinsstrom durch die Geschichte und die Bilder des Louvre-Museums und deren tiefere Bedeutung, mal springend, oft ruhig schweifend, immer ironisch, dabei mit Lust an gelegentlichem Pathos.
    Der Film verbindet diverse Formen: Dokumentarmaterial mit Spielszenen, Historisches und Phantastisches, die kunsthistorische Bildbetrachtung mit philosophischer Reflexion.
    "Francofonia" - dies ist ein persönlicher, subjektiv gehaltener Filmessay, der zugleich symphonisch aufs Große, aufs Ganze zielt: Der Film wagt nichts weniger, als eine Geschichte des Pariser Louvre zu erzählen. Er entfaltet die Museumshistorie, konzentriert auf jene gut vier Jahre, in denen Paris unter nazideutscher Besatzung litt, und läßt einige seiner Gemälde lebendig werden.
    Zugleich nimmt er das alles als Fallbeispiel: Für die Kunst an sich und für das Schicksal des europäischen Geistes.
    Diese Lust am großen Wurf, der epische Ton des Films und das Ringen mit den Größten, mit Leonardo da Vinci und Napoleon, verbunden mit einem ganz persönlichen Blick auf Figuren und Ereignisse, der weder politisch korrekt noch wissenschaftlich genau sein möchte, und der antiquarisches Faktenhubern konsequent vermeidet, dies alles, sehen gerade in Deutschland manche ungnädig.
    Der Louvre überstand den Zweiten Weltkrieg, weil zwei Männer einen unausgesprochenen Pakt schlossen, um den Bestand des Louvre zu schützen - vor Kriegsschäden, wie vor deutschem Kunstraub: Der Direktor des Louvre, Jacques Jaujard, und der für Kunst zuständige deutsche Besatzungsoffizier Graf Wolff-Metternich.
    Man kann hier natürlich leicht über Bildungseliten und Herrenreiter spotten. Und der Hinweis, dass die Nazis in der Regel mit Kunst anders umgingen, ist so berechtigt, wie wohlfeil.
    Der Essayfilm, ein vergessenes Genre
    Denn am Ende des Tages zählt allein, dass es dieser bildungselitäre Männerbund war, der in seinem Geist eher dem 19. Jahrhundert entstammt als dem 20., der die Kunst des Louvre für die Nachwelt weitgehend unbeschädigt bewahrte vor den ungebildeten Volksgenossen aus dem Osten dem Nachbarland.
    "Francofonia" steht doppelt für zwei bemerkenswerte Trends im Gegenwartskino. Zum einen ist der Film natürlich auch das, als was er ursprünglich mal angekündigt war: Ein Dokumentarfilm über eines der bedeutendsten Museen der Welt. Solche Museumsfilme sind in. Aber Frederic Wiseman in "National Gallery", Wim Wenders in "Kathedralen der Kultur" oder Johannes Holzhausen in "Das Große Museum" haben nur bieder arrangiert im Vergleich zu dem, was Sokourov jetzt tut. Denn der Russe entfaltet wie ein Archäologe die verschiedenen Schichten seines Gegenstands und versucht auch eine eigene intellektuelle Haltung zu ihm zu entwickeln.
    Vor allem aber ist "Francofonia" auch ein Essayfilm, ein vergessenes Genre, das gerade neue Blüte feiert, gerade weil es sich vom Fernsehreportagestil üblicher Dokumentationen absetzt.
    Zurzeit triumphiert im Kino die Wirklichkeit über die Fiktion. Alexander Sokourov löst diese Grenze auf, und gibt mit seinem ausgezeichneten, originellen und prachtvoll anzusehenden Film den Fakten die Phantasie und damit ihr Potential zurück.