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Alexandre Dumas: „Georges"
Rachefeldzug gegen Rassismus

Alexandre Dumas kennt man als Erfolgsautor von "Die drei Musketiere" und "Der Graf von Monte Christo". Weniger bekannt ist, dass er wegen seiner kreolischen Herkunft zeitlebens diskriminiert wurde. In seinem frühen, jetzt neu aufgelegten Roman "Georges" schrieb er gegen Rassismus und Kolonialismus an.

Von Cornelius Wüllenkemper |
Porträt des Schriftstellers Alexandre Dumas und Buchcover: „Georges“
Alexandre Dumas hatte mit rassistischer Diskriminierung zu kämpfen (Porträt: dpa/picture alliance/Bifab, Buchcover: Comino Verlag)
Leidenschaft und Verrat, unnachgiebige Rache, unbedingte Treue und der bedingungslose Kampf für Gerechtigkeit - das sind die Zutaten, die Alexandre Dumas' Romane weltweit berühmt gemacht haben. Auch in seinem Frühwerk "Georges" bestimmen diese Elemente die Handlung. Schauplatz der wendungsreichen Geschichte um die verletzte Ehre einer Familie, um Sklaven, Kolonialherren und den heldenhaften Kampf gegen Unterdrückung ist die "Isle de France", heute Mauritius, vor der Ostküste Afrikas. Die Hauptfigur Georges Munier ist der Sohn eines Plantagenbesitzers. Der einzige Makel der wohlhabenden Familie Munier ist ihre kreolische Herkunft, ihr dunkler Teint. Als 1810 die Briten die französische Kolonie angreifen, schlägt der Vater Pierre Munier im Bataillon mit seinen Söhnen Jacques und Georges den Feind zwar erfolgreich in die Flucht. Den Sieg beansprucht nach der Schlacht aber der hellhäutige Befehlshaber Malmédie. Dessen Sohn Henri, kaum zwölf Jahre alt, entreißt Georges die von den Briten erbeutete Fahne und verpasst ihm einen Schmiss mit dem Säbel.
"Das war unglaublich, ungeheuerlich, erbärmlich, aber es war nun einmal so, und täglich kamen in der Kolonie ähnliche Fälle vor. Pierre Munier, der an Körperkraft, an Charakter, an Reichtum diesem Franzosen dreifach überlegen war, er beugte sich vor der Aristokratie der Farbe, da er sein Leben lang gewohnt war, die Weißen als höhere Wesen zu betrachten. (...) Georges, der keine Träne vergossen hatte, als der Säbel seine Stirn traf, brach in Schluchzen aus, wie er mit leeren Händen vor seinem Vater stand, der ihn nicht einmal zu trösten versuchte, und Jacques biss sich vor Wut in die Fäuste und schwor, dass er sich eines Tages an der ganzen Sippschaft, ja an allen Weißen rächen würde."
Eine "Kriegserklärung an alle Weißen"
Georges' "ewiger Hass" und seine spätere "Kriegserklärung an alle Weißen" muss man vor Alexandre Dumas' eigenem Familienhintergrund lesen. Sein Vater, Sohn eines französischen Adligen und einer ehemaligen Sklavin, war General der Revolutionsarmee. Ungeachtet seiner unbestrittenen militärischen Erfolge wurde Dumas' Vater allein aufgrund seiner Hautfarbe in untere Ränge zurückgestuft und quittierte daraufhin den Dienst. Kaiser Napoleon persönlich versagte der späteren Dumas-Witwe gar die Rentenansprüche – eine Erniedrigung, die ihr Sohn Alexandre nie verwand. Sein Roman "Georges", in dem nicht zufällig das Bataillon "Dumas" den Sieg über die Engländer erringt, ist daher auch als eine autobiografische Abrechnung mit der kolonialen Machtdynamik zu lesen. Vierzehn Jahre nach der schmachvollen Demütigung kehrt Georges als junger Mann auf die "Isle de France" zurück. Als Kreole hat er sich in der Gemeinschaft der Weißen in Europa durchgesetzt, hat sich umfassendes Wissen angeeignet, brilliert als vollendeter Kavalier in der gehobenen Gesellschaft, hat seinen Körper, seine Moral und seinen Mut gestählt.
"Nun dachte er, dass der Augenblick gekommen sei, nach der Isle de France zurückzukehren: alles, was er erträumt hatte, war in Erfüllung gegangen; alles, was er gewünscht hatte, war übertroffen; er hatte in Europa nichts mehr zu tun. Sein Kampf mit der Zivilisation war zu Ende, sein Kampf mit der Barbarei sollte beginnen. Was kümmerte ihn Europa mit seinen hundertundfünfzig Millionen Einwohnern, mit Parlament und Ministerium, Republik und Königreich. Ihn kümmerte nur die kleine Insel, die wie ein Sandkorn auf der Weltkarte verloren lag; denn hier erwartete ihn eine große Mission, die Mission der Rache und des Sieges."
Opfer rassistischer Literaturkritik
Dumas selbst hatte aufgrund seines dunklen Teints zeitlebens mit rassistischer Diskriminierung zu kämpfen, thematisierte diesen Konflikt aber ausschließlich in seinem jetzt neu aufgelegten Frühwerk. Gerade die Literaturkritik legte ihm die Erzählstruktur seiner Romane und die Leidenschaftlichkeit seiner Figuren als Folge seiner kreolischen Herkunft aus, und das nicht nur im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Noch der angesehene Literaturwissenschaftler Victor Klemperer schob Dumas' enorme Produktivität auf das "Negerblut in seinen Adern" und erklärte sich so auch die "Wildheit der Gefühle" und die "Rohheit der Geschehnisse" in seinen Schriften. Gegen diese Überheblichkeit hellhäutiger Europäer schreibt Dumas in "Georges" vehement an. Sein Protagonist zettelt eine Revolution in der Kolonie an, für die Ehre seiner Familie und vor allem gegen den Dünkel der weißen Kolonialherren. Georges setzt sich an die Spitze dieser Revolte, die zwei Sklaven des maliziösen weißen Kolonisten Malmédie planen.
"Nun, und verstehst du, was das heißen würde, diese sonst so stolzen und grausamen Weißen gedemütigt und flehend zu unsern Füßen zu sehen; verstehst du, was das heißen würde, sie jetzt täglich zwölf Stunden im Sonnenbrand arbeiten zu lassen, sie zu schlagen, zu peitschen, zu schimpfen, wenn sie ermattet umsinken? Sie sind zwölftausend und wir vierundzwanzigtausend. An dem Tage, wo wir uns zählen, sind sie verloren."
Ein Kreole als rassistischer Sklavenhändler
Als historisches Vorbild der fiktiven Revolutions-Szenerie auf Mauritius wählt Dumas nicht zufällig die einzige erfolgreiche Sklavenrevolution der Geschichte im heutigen Haiti, dem Herkunftsland seiner Großmutter. Bemerkenswert ist der Umstand, dass weder Dumas' Figuren noch der auktoriale Erzähler vor unverhohlenem Rassismus gefeit sind. Georges' Bruder Jacques, selbst ein Kreole, kehrt gar als steinreicher und zutiefst rassistischer Sklavenhändler auf die mittlerweile unter britischer Herrschaft stehende Insel zurück. Und auch der Vater Munier beteiligt sich für seine äußerst lukrativen Kaffee- und Zuckerrohrplantagen am kolonialen Menschenhandel.
"Seitdem die Engländer den öffentlichen Sklavenhandel verboten hatten, war indes der Preis so in die Höhe gegangen, dass man sich die nötigen sechzig oder siebzig Neger aus der Insel nicht ohne ungeheure Opfer hätte verschaffen können, und so war denn dem alten Munier die Nachricht äußerst willkommen gewesen, dass ein Sklavenschiff in Sicht sei, und demgemäß hatte er, der hergebrachten Gewohnheit gemäß, den Signalen des Schiffes durch andere Feuersignale vom Lande aus in der Nacht geantwortet."
Die Rebellion inszeniert Dumas in seinem Roman weniger als grundsätzliches Aufbegehren gegen rassistische koloniale Machtstrukturen denn als persönlichen Rachefeldzug. Seinem einstigen Rivalen Malmédie wirbt Georges die Braut ab, eine schöne Französin namens Sara.
Abenteuergeschichte über rassistisch-koloniale Ausbeutung
Der anti-koloniale Aufstand aber scheitert an der mangelnden Disziplin der Sklavenarmee. In den Straßen deponierte Rumfässer reichen aus, um den Rebellensturm in einem kollektiven Besäufnis enden zu lassen. Wollte Alexandre Dumas damit dem damals herrschenden Zeitgeist gerecht werden, um die Verkaufszahlen seines Romans zu steigern? Oder war es seine Absicht, den bigotten Umgang mit Sklavenhandel und Menschrechten darzustellen? Die Ambivalenz des Kreolen Dumas zwischen anti-kolonialer Rebellion und Verachtung für die schwarzafrikanische Ethnie wirft Fragen auf, bis heute. Die Neuausgabe behält die Übersetzung von 1890 bei – das hat trotz manch heute deutlich überholter Terminologie und grammatikalischer Eigenheiten durchaus seinen Reiz. Die Anmerkungen des Herausgebers Peter Hillebrand verorten den Text aufschlussreich in der literarischen Zeitgeschichte. "Georges" ist der politischste von Alexandre Dumas' Romanen. Auch mehr als 150 Jahre später liest er sich wie eine packende Abenteuergeschichte über das Unwesen rassistisch-kolonialer Ausbeutung.
Alexandre Dumas: "Georges"
aus dem Französischen von Friedrich Ramhorst
neu herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von Peter Hillebrand
Comino-Verlag, Berlin. 224 Seiten, 9,90 Euro.