Hoch zu Ross, auf einem weißen, geschmückten Pferd reitet Samira Messouci durch die Straßen von Tizi Ouzou, umringt von einer Traube jubelnder Menschen. Tizi Ouzou ist eine Stadt im Norden Algeriens und als Herz der sogenannten Kabylei bekannt. Die Kabylei gilt historisch als systemkritisch. Das ist auch Samira:
"Ich habe dem Richter versprochen, wenn wir freigelassen werden, trage ich am nächsten Tag wieder die Flagge."
Jetzt, nach sechs Monaten Gefängnis, tut sie das auch. Samira Messoucis braune lange Haare sind nach hinten gebunden. Um ihren Hals hängt die blau-grün-gelbe amazigh-Flagge, die Flagge der Kabylen oder der sog. Berber, der Ureinwohner Nordafrikas. Diese Flagge hatte sie für ein halbes Jahr ins Gefängnis gebracht.
"Ich konnte den Hass in ihren Augen sehen"
"Wir waren in die Hauptstadt Algier gekommen, um wie jeden Freitag für die Revolution und die Freilassung der ersten Inhaftierten zu demonstrieren. Wir haben unsere Slogans gerufen und auf einmal waren wir umringt von Polizisten, die uns angegriffen haben. Es war schnell und brutal, ich wurde dabei verletzt, sie haben mir die Schulter ausgekugelt. Ich konnte den Hass in ihren Augen sehen, als ob ich eine Schwerstkriminelle wäre. Und alles, was ich getan habe, ist meine Flagge zu tragen."
Das war im Juni 2019. Der damalige mächtige Armeechef Gaid Salah hatte die amazigh-Flagge verboten, nachdem sie im Land zum Symbol für den Kampf gegen das Regime wurde. Hunderte Demonstranten wurden im vergangenen Jahr festgenommen, landeten in algerischen Gefängnissen, teilweise ohne Anklage.
Die Proteste gehen weiter
Bis heute gehen jeden Dienstag und Freitag hunderttausende Menschen in Algerien auf die Straße und fordern ein Ende des alten Regimes.
Messouci gehört zu dieser algerischen Protestbewegung, die im Frühjahr 2019 den alten Machtinhaber Abdelaziz Bouteflika nach 20 Jahren zum Rückzug zwang. Heute zählt sie zu den bekanntesten Gesichtern der Bewegung. In der Zeit ihrer Haft habe sie die Willkür der Justiz erlebt, erzählt sie: Massenabfertigungen vor Richtern, vollen Zellen, Willkür im Gefängnis. Ähnlich erging es auch Hakim Haddad.
"Das waren keine Verhaftungen, das war Kidnapping!"
Haddad gehört zu einem Bündnis aus Zivilgesellschaft und Oppositionellen, er organisiert die Proteste auf den Straßen mit. Eines Tages wurde er mit Freunden in einem Café festgenommen.
"Sie wussten, was sie taten. Sie kamen mit vier Autos für vier Personen, jeder kam in einen Wagen. Wir glauben, wir wurden über unsere Telefone überwacht. Sie wussten genau, wo wir sind und wer wir sind."
Zwei bis drei Tage lang wurden sie befragt, bevor Hakim Haddad einem Richter vorgeführt wurde. Warum er nun vor einer Woche freigelassen wurde, weiß er nicht.
Viele inhaftierte Demonstranten sind wieder frei
Seit Ende des vergangenen Jahres wurden in Algerien zahlreiche Inhaftierte der Protestbewegung wieder freigelassen, nachdem Algeriens mächtiger Armeechef Ahmed Gaid Salah Ende Dezember plötzlich verstorben ist. Salah galt als Hardliner gegenüber der Protestbewegung.
Viele fragen sich nun, ob das Regime damit Gesprächsbereitschaft signalisieren möchte oder nur die anhaltende Wut in den Straßen besänftigen will. Für Samira Messouci und Hakim Haddad spielt das keine Rolle. Sie wollen weitermachen.
"Gerade jetzt, nachdem sie uns einsperrt haben, machen wir weiter. Vielleicht gab es einen Moment, wo wir gezweifelt- und daran gedacht haben, aufzuhören. Aber jetzt erst recht! Wir werden weiter demonstrieren - friedlich."