Bouteflika habe viele Algerier "in eine regelrechte Scham versetzt", sagte Leggewie. Der ehemalige Präsident sei einmal ein Widerstandskämpfer und sehr geschätzter Präsident gewesen. Dass er an der Macht geklebt habe, habe ein Fass zum Überlaufen gebracht. "Ich glaube nicht, dass man diesen Prozess anders als mit Gewalt wieder zurückdrängen könnte", so der Politikwissenschaftler.
Einen Zerfall des Staates hält Leggewie nicht für wahrscheinlich. Die Demonstrierenden hielten überwiegend an der nationalstaatlichen Souveränität Algeriens fest. Auch die Opposition in den Berberregionen stelle den Staat nicht infrage. Eine Gefahr könnten die Islamisten sein, sagte Leggewie. Es gebe sie noch, aber sie seien nicht aktiv und hätten sich bislang zurückgehalten.
Schwierigkeit, den "Übergang zu managen"
Die Schwierigkeit für das Land bestehe jetzt darin, "einen Übergang zu managen". Die Armee wolle dies gerne übernehmen. Problematisch sei, dass die Protestierenden ihrerseits keinen Repräsentanten hätten. Es fehle ein "Gesicht des Widerstandes", wie etwa Juan Guaidó in Venezuela. Die Demonstrierenden seien "geradezu phobisch, was die Bildung neuer Parteien betrifft."
Zur Rolle des Militärs sagte Leggewie, bislang sei es in Algerien stets so gewesen, dass der Herrscher des Landes vom Militär legitimiert gewesen sei. Die Streitkräfte, die Armée nationale populaire (ANP), seien ein "kräftiges Symbol der nationalen Unabhängigkeit" und hießen nicht umsonst "populär". Auch bei den letzten Protesten hätten die Demonstrierenden anerkannt, "wie professionell, reserviert und - die Bewegung sogar fördernd - sich Armee und Sicherheitskräfte verhalten haben".