"Wir sehen zwei Jahre später, dass sich fast nichts geändert hat."
Das sagt der algerische Journalist Khaled Drareni der ARD. Wenige Tage später wird er verhaftet.
"Bouteflika ist weg, aber viele denken, dass wir in einer fünften Amtszeit sind, dass wir eine Fortsetzung von Bouteflikas Regime haben. Es hat zwar (Bouteflika-Vertraute) gegeben, die im Gefängnis sitzen und verurteilt wurden, aber das Regime hat sich nicht geändert."
Zwei Jahre sind in Algerien vergangen, seitdem der Langzeit-Machthaber, Ex-Präsident Abd al-Aziz Bouteflika durch wochenlange Proteste im April 2019 zum Rücktritt gezwungen wurde. Seitdem hat sich nicht viel verändert. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International gab bekannt, dass kurz vor der Wahl Oppositionelle und Journalisten verhaftet worden seien.
Regime sucht Legitimation
Anfang des Jahres waren wieder zahlreiche Demonstranten der sog Hirak-Protestbewegung auf die Straße gegangen, nachdem ihr Protest aufgrund der Corona-Pandemie monatelang nur digital stattfinden konnte. Je näher der Wahltermin gerückt sei, desto härter habe das Regime durchgegriffen, beschrieb Journalist Drareni vor seiner Verhaftung.
"Seit dem 14. Mai werden die Demonstrationen mit Gewalt unterdrückt. Alle, die demonstrieren, alle, die Schilder tragen, werden automatisch verhaftet, angeklagt oder ins Gefängnis geworfen. Das Regime hat Covid 19 ausgenutzt und findet nun, da die Pandemie in Algerien nachlässt, andere Formen der Repression."
Mit den vorgezogenen Parlamentswahlen versucht das algerische Regime sich einmal mehr zu legitimieren - wie bei den Präsidentschaftswahlen 2019. Auch damals waren die Wahlen massenhaft boykottiert worden. Nach offiziellen Angaben hatten gerade mal knapp 24 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Auch bei den Parlamentswahlen jetzt haben die Protestbewegung und oppositionelle Parteien zum Boykott der vorgezogenen Wahlen aufgerufen. Algeriens politische Elite tausche nur die Köpfe aus und bleibe doch an der Macht, so der Vorwurf.
Es ist das erste Mal, dass von den rund 13.000 Kandidaten für die 407 Abgeordnetensitze so viele Unabhängige gegen Kandidaten etablierter Parteien antreten. Experten rechnen damit, dass islamistische Parteien von den Boykott-Aufrufen Oppositioneller profitieren könnten.
Auch nach diesen Wahlen werde sich nichts ändern, prophezeit der algerische Soziologe Arab Izarouken.
"Das sind keine Wahlen. Denn seit der Unabhängigkeit bis heute gab es keine echte Wahlen. Wahlen setzen eine Debatte voraus - die gab es nicht - und sie setzen Freiheit voraus und die Freiheit ist abwesend - gestern wie heute."
Gestern wie heute seien es auch noch dieselben Köpfe, die die politischen Fäden in der Hand hielten, so Regimekritiker: Darunter das Militär, das seine Machtposition, die Kontrolle über die Politik-, aber auch über seine diversen geschäftlichen Interessen, behalten möchte. Auch das erkläre, warum die politische Elite bis heute den vom Hirak geforderten politischen Umbruch verhindert hätten, so der algerische Politikwissenschaftler Abenasser Djabi.
"Die grassierende Korruption kann erklären, dass Veränderung abgelehnt werden. Menschen, die Macht haben, wollen sich nicht ändern, weil sie es so besser haben. Wir reden über Milliarden von US-Dollar, die so verschwendet werden. Jedes Mal bei Veränderungen, verändert sich lediglich die sichtbare Gestalt des Systems - das kann ein Präsident sein, ein Regierungschef, ein Parlament usw. Aber die Substanz, die Form des Systems, wird sich nicht ändern."
Protest als Marathonlauf
Also keine Veränderungen für Algerien in Sicht? Die Stärke und Schwäche des Hirak sei, so kommentierte mal ein algerischer Journalist: die Bewegung habe keinen Kopf, den man abschlagen könne. Aber auch die Führungslosigkeit schwächt die Bewegung. Eine konkrete Idee, wie ein Weg hin zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse aussehen könnte, hat die Protestbewegung bislang nicht skizziert. Eine Sache habe der Hirak aber geschafft, sagt die 20-jährige Sally. Die Mathematikstudentin und Demonstrantin lebt in Bejaia in der Region der Kabylei, eine Hochburgen des Protests.
"Der Hirak hat uns als Algerier vereint. Er hat uns ein Leben mit Hoffnung wiedergegeben, mit dem Glauben, dass es Veränderungen geben kann - und das ist das wichtigste!"
Auch deshalb will Sally weiter protestieren, auch wenn das Unterfangen einem Marathonlauf gleicht.