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Algerier Boualem Sansal in Frankfurt ausgezeichnet

Der algerische Friedenspreisträger Boualem Sansal hat sich in seiner Dankesrede in der Paulskirche nicht als Hoffnungsträger seines Landes stilisiert. Er habe nur über den Krieg geschrieben. Dennoch sei er überzeugt, dass der in Tunis angebrochene "Frühling" auch andere Länder erreichen werde.

Norbert Seitz im Gespräch mit Michael Köhler | 16.10.2011
    Michael Köhler: Der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels 2011 ist der gerade gehörte algerische Schriftsteller Boualem Sansal. Heute Mittag wurde er in der Frankfurter Paulskirche geehrt. Seine Roman sind in Algerien verboten, dennoch geht er nicht ins Exil. Er sagt, wenn die arabische Revolution scheitert - und ihr Gelingen ist ja kein Automatismus -, wenn sie also scheitert, dann werden der Maghreb, die Sahelzone, der Nahe, der Mittlere Osten zum neuen Irak. Dem Umbruch zum Erfolg zu verhelfen, sei unsere Aufgabe.

    Peter von Matt, Schweizer Literaturprofessor und -kritiker, würdigte den Schriftsteller:

    "Er ist ein unbändiger Erzähler, ein Satiriker von Rang, witzig und weise, unerbittlich in den Diagnosen dessen, was schlecht läuft, gnadenlos hart im Urteil über die Habgier der Mächtigen und immer von Mitleid bewegt über das Schicksal der kleinen Leute in seiner Heimat Algerien."

    Köhler: Für uns in Frankfurt dabei war Norbert Seitz. Herr Seitz, wie würdigte der Laudator, Peter von Matt, den Preisträger Sansal? Was stellte er in den Mittelpunkt?

    Norbert Seitz: Er hat in den Mittelpunkt gestellt die vulkanische Selbstfindung des Schriftstellers Sansal. Er war ja vorher Wissenschaftler gewesen, ist dann aus dem Staatsdienst entlassen worden, als er seine erste schärfere Schrift gegen die Verhältnisse in Algerien verfasst hat. Und er sagt nun, Bücher seien autonome Wesen, so von Matt, welche die Störrigkeit der Zeit nur langsam sprengen könnten. Auch Boualem Sansal hätte jetzt die langsame Gewalt der Literatur entdeckt. Und am Schluss bringt Peter von Matt das literarische Schaffen von Boualem Sansal auf die Formel, er erzählt um sein Leben, auch wenn er es damit riskiert.

    Köhler: Der 62-jährige Autor nahm heute Morgen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche entgegen, dem Ort der Nationalversammlung, Gedächtnisort für den Beginn der deutschen Demokratie. Seine Romane sind in Algerien verboten, trotzdem lebt er nicht im Exil. Hat er sich zum Nahost-Konflikt geäußert, hat er sich zu den Ausschreitungen in seinem eigenen Land geäußert, hat er sich sozusagen als Hoffnungsträger selber stilisiert?

    Seitz: Nein, er hat sich nicht als Hoffnungsträger stilisiert, sondern er hat eher seine eigene Preiswürdigkeit ein wenig ironisiert. Er hat nämlich gesagt, ich habe eigentlich immer nur über den Krieg geschrieben, ich kenne nur den Krieg in Algerien, in Algerien gibt es seit der Unabhängigkeit 1962 eigentlich nur die Alternative Krieg oder Krieg und nicht Krieg oder Frieden, und darüber hat er geschrieben, über die Korruption der Verhältnisse, über diese furchtbaren Auseinandersetzungen zwischen Militärdiktatur einerseits und andererseits der islamischen Heilsfront, also den Fundamentalisten, den islamischen. Und daraus leitet sich keine große Hoffnung ab für das, was in Arabellion, das heißt im arabischen Frühling, sich abgespielt hat.

    Köhler: Er hat mal sinngemäß gesagt, wir leben in Algerien seit Jahrzehnten unter einer Schreckensherrschaft, wie damals in der DDR. Und dann fügte er noch an, wir werden von einer Bande von Dieben regiert. Für deutsche Ohren, die muss man da spitzen in seinem Roman "Das Dorf der Deutschen". Da spricht er sogar von der Shoa, die in Algerien verschwiegen wird. Hat er sich dazu geäußert? Wie hat das auf Sie gewirkt?

    Seitz: Er hat sich dazu nicht geäußert. Das ist ja eine Schwachstelle eigentlich, dass er manchmal den Nazi-Vergleich, die Nazi-Analogie ein wenig überdehnt. In dem von Ihnen erwähnten Roman ist es ja so, dass ein früherer KZ-Verbrecher sich hinterher im algerischen Unabhängigkeitskrieg auf die Seite der Islamisten und auf die Seite der Einheimischen geschlagen hat, und das ist eine wahre Geschichte. Aber er macht aus der wahren Geschichte wahrscheinlich zu viel, was man ihm hin und wieder auch ankreidet, indem man sagt, es geht ja gerade noch an, dass man ideologische Ähnlichkeit zwischen Faschisten und zwischen Islamisten sieht - Stichwort Antisemitismus -, aber er geht vielleicht da doch etwas zu weit, wenn er hinterher über die mystische Geistesverwandtschaft von Islamisten und Faschisten hinaus auch noch sagt, es gibt da sogar personelle Verschränkungen, es gibt da sogar personelle Übereinkünfte vor Ort etwa, wenn alte Nazis dort algerische Dörfer aufräumen und sich an den Kriegen beteiligen und auch an Massakern und logistischen Vorbereitungen. Also da denke ich schon, dass Boualem Sansal bei allen sonstigen Verdiensten vielleicht ein wenig zu konspirativ seiner eigenen Obsession aufgesessen ist, obwohl man natürlich sagen muss, jeder Schriftsteller hat ein Privileg auf eine Obsession.

    Köhler: Gibt es so etwas wie eine Aussage zur Gründung eines Palästinenserstaates, oder so etwas wie den Wunsch nach Unterstützung des Westens auf dem Weg der friedlichen Revolution?

    Seitz: Am Ende ist er auf den israelisch-palästinensischen Konflikt eingegangen und auf das Drängen von Palästinenserpräsident Abbas in der UNO, die eigene Unabhängigkeit anzustreben. Er sagt, das sei schon ein großer Fortschritt, auch wenn das gescheitert sei, sei deshalb ein Fortschritt, weil sich die Palästinenser nur auf ihre eigene Nation und auf ihr eigenes Volk berufen haben und nicht auf irgendeine arabische Identität, oder auf eine dschihadistische Koalition. Und er hat eine frohe Botschaft mit auf den Weg gegeben, die lautet, wir sind davon überzeugt, dass der in Tunis angebrochene Frühling auch in Tel Aviv, in Gaza, in Ramallah eintreffen wird, er wird nach China kommen und selbst noch weiter.

    Köhler: Norbert Seitz beobachtete für uns die Friedenspreisrede von Boualem Sansal.