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Russisches Investigativmedium "The Insider"
Kremlgegner mit guten Kontakten

Die bei einem Raketenangriff getötete russische Journalisten Oksana Baulina hat für „The Insider“ vom Ukraine-Krieg berichtet. Gegründet hat diese Plattform Roman Dobrochotow. Sein Schicksal und das seines Mediums stehen stellvertretend für den Niedergang des unabhängigen Journalismus in Russland. Ein Gespräch mit Alice Bota von der „Zeit“.

Alice Bota im Gespräch mit Stefan Fries |
Roman Dobrochotow, Chefredakteur von "The Insider"
Roman Dobrochotow, Der Chefredakteur von "The Insider", hat Russland im vergangenen Sommer verlassen und arbeitet nun aus dem Ausland (picture alliance/Alexander Zemlianichenko/AP Photo)
Im russischen Krieg gegen die Ukraine sind nicht nur tausende Menschen getötet worden, sondern mittlerweile auch mindestens fünf Medienschaffende: zwei Kameramänner, ein Journalist und zwei Journalistinnen. Eine von ihnen ist die Russin Oksana Baulina, die am 23. März bei ihrer Arbeit in Kiew unter Raketenbeschuss geriet und starb.
Gearbeitet hat sie für die russische Investigativplattform „The Insider“ - ein beachtliches und außergewöhliches Medium, findet Alice Bota, "Zeit"-Korrespondentin in Moskau, die derzeit von Berlin aus arbeitet. "The Insider" sei sehr klein, habe aber große investigative Geschichten veröffentlicht. So habe die Redaktion unter anderem recherchiert, wer hinter der Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny steckt und warum das Flugzeug MH17 2014 über des Ostukraine abgeschossen wurde. Nach Hausdurchsuchungen habe der Chefredakteur und Gründer, Roman Dobrochotow, Russland im Sommer 2021 verlassen und arbeite heute aus dem Ausland.

Warnsignale schon im Sommer 2021

Russland habe immer eine reiche und begabte Szene an investigativen Journalistinnen und Journalisten gehabt, sagte Bota im Dlf - bis die Regierung im vergangenen Sommer begonnen habe, Medien als "ausländische Agenten" einzustufen: "Es zeichnete sich ab, dass diese begrenzte Pluralität massiv eingedampft wird."
"Wenn ich heute mit Journalistinnen und Journalisten unabhängiger Medien spreche, dann ist da einfach nur totale Bestürzung, Panik", sagte Bota. Viele würden versuchen, sich ins Ausland zu retten und dort weiterzuarbeiten. Das gehe aber nur mit Spendenfinanzierung von außen.

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Das Interview im Wortlaut:

Stefan Fries: Frau Bota, was können Sie uns über Oxana Baulina sagen: Wer war sie, wie hat sie gearbeitet?
Alice Bota: Ich kenne Oksana Berolina nicht persönlich, aber sie hat früher für die Stiftung von Alexej Nawalny gearbeitet, in Russland, sie ist Russin. Die Stiftung heißt „Kampf gegen die Korruption“ und sie wurde dann als extremistisch eingestuft und musste das Land verlassen, ging in die Ukraine und arbeitete ihm fortan dort als Korrespondentin. Und sie wurde eben auch bei der Arbeit getötet.
Fries: Was ist das für ein Medium, „The Insider“?
Bota: „The Insider“ ist ein beachtliches Medium und recht ungewöhnlich dahingehend, dass es einerseits sehr klein ist - es hat einen Chefredakteur, Roman Dobrochotow, der der Gründer ist - und andererseits unglaubliche Investigativ-Geschichten gestemmt hat in den vergangenen Jahren. Wir haben diesem Medium sehr viel Wissen über russische Interna zu verdanken, die nicht nach außen dringen sollten. Sie hatten es eben genannt: "Insider" war daran beteiligt, die Vergiftung von Alexej Nawalny mit aufzudecken. Sie waren mit daran beteiligt aufzudecken, wer MH17, also das Passagierflugzeug, das 2014 über der Ostukraine abgeschossen worden ist, wer daran beteiligt war und an allerlei Skandalen mehr.
Und im Sommer vergangenen Jahres, also 2021, geriet dann „The Insider“ unter massiven Druck. Der Chefredakteur musste dann das Land verlassen, lebt heute im Ausland, und im Prinzip hätte man da schon sehen können, dass sich etwas verändert in Russland.
Fries: Was war das, was man damals schon sah?
Bota: Das war im Prinzip die Entscheidung, gegen die russischen Medien vorzugehen. Ich habe immer, immer wieder darauf hingewiesen, dass Russland kein totalitärer Staat ist, keine Diktatur, dass es dort sehr, sehr viele Nischen gibt, dass es auch eine unglaublich reiche und begabte Investigativjournalist:innen-Szene gibt. Und diese ist vor allem im Internet präsent, sie erreicht vor allem das urbane Publikum, und sie erreicht vor allem gar nicht so viele, wenn man bedenkt, wie groß Russland ist und wie viele Einwohner es hat.
Und da schien sich etwas zu verändern im vergangenen Sommer, dass man eben anfing, Medien mit diesem Label „ausländischer Agent“ zu überziehen. Bei Roman Dobrochotow gab es damals Hausdurchsuchungen, dann auch bei seinen Angehörigen. Und im Prinzip wurde der Ton rauer, das Vorgehen rauer, und es zeichnete sich ab, dass diese begrenzte Pluralität massiv eingedampft wird.
Fries: Wie kann denn eine Plattform wie „The Insider“ von außerhalb Russlands berichten über Dinge, die in Russland sind?
Bota: Die hatten eben viele Quellen in Russland. Die haben sie vielleicht auch nach wie vor, das weiß ich nicht. Sie hatten Korrespondenten da, und bis 2021 war der Chefredakteur ja vor Ort und hatte auch nicht vor, das Land zu verlassen.
Fries: Und sie haben ihn gerade erwähnt: Roman Dobrochotow, Gründer und Chefredakteur von „The Insider“. Was ist das für ein Mensch, ein Journalist?
Bota: Das ist ein Journalist, der auch Aktivist war oder ist, muss man sagen. Diese Grenzen, die bei uns ja doch recht sauber gezogen sind in Deutschland, sind in Osteuropa fast immer fließend. Und hatte früher sich eben auch einer Kreml-gegnerischen Bewegung verschrieben, war da aktiv und gründete dann eben dieses Medium und fing an, investigativ zu arbeiten.
Und im Prinzip hat er ein Netz aufgebaut mit Kolleginnen und Kollegen, die nicht etwa irgendwie eine Redaktion hatten, wo man dann ins Büro ging und sich niedersetzte und um 9 Uhr anfing und um 5 Uhr aufhörte. Sondern man hatte eben keine Büros, keinen physischen Ort. Und das war auch ihre Stärke. Also, indem man irgendwie durch diesen ungewöhnlichen Zugang, Hausdurchsuchungen oder Einbrüche und Ähnliches umging.
Und er verfügte eben über sehr gute Kontakte, auch in das Geheimdienstlager und hatte eben oft Zugriff auf Online-Datenbanken. Also es ist ja wirklich allerlei, was man in Russland alles online kaufen kann. Und dazu gehörten eben manches Mal Datensätze über den Geheimdienst.
Fries: Sie haben 2019 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ darüber geschrieben, wie regierungskritischer Journalismus in Russland zumindest damals noch möglich war. Darin schreiben Sie, dass sich Journalisten in einem komplizierten Geflecht aus Gesetzen, informellen Regeln und Rivalitäten zurechtfinden müssen. Das System sei unberechenbar. Wie würden Sie das heute beschreiben - drei Jahre später und während des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine?
Bota: Es kommt mir vor wie eine andere Zeit. Wenn ich heute mit Journalistinnen und Journalisten unabhängiger Medien spreche, dann ist da einfach nur totale Bestürzung, Panik. Der Versuch, sich irgendwie erst einmal physisch zu retten, ins Ausland und zu überlegen: Wie kann man noch weitermachen? Also geht das überhaupt, in einem Regime, das im Zeitraffer sich radikalisiert, journalistisch weiterzumachen?
Die meisten versuchen es, sind aber auf Geld angewiesen, das es jetzt nicht gibt. Also sprich auf Spendenfinanzierung von außen. Andernfalls bedeutet es für sie das Aus. Aber dieses gesamte informelle Netz, in dem man irgendwie doch manchmal die eine oder andere Lösung fand, das ist derzeit momentan tot.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.