Im Jahr 2011 erschienen unter dem Titel "Lebenslauf" Alice Schwarzers Erinnerungen. Darin schilderte sie, was ihr wichtig schien zwischen 1942, dem Jahr ihrer Geburt, und 1977, dem Ersterscheinungsdatum der von ihr begründeten Zeitschrift "Emma". Offenherzig und unterhaltsam, dabei immer wieder bemüht, das öffentliche Bild von sich selbst zu korrigieren, gab sie damals Auskunft, so dass man gespannt sein durfte auf den zweiten Teil ihrer Erinnerungen. "Lebenswerk" heißt dieser zweite Band.
Diesmal plaudert sie nicht aus dem Nähkästchen, sondern resümiert ihre politischen und publizistischen Kampagnen. Und das sind viele. Schließlich kämpft sie seit einem halben Jahrhundert für die Belange von Frauen. Dabei ist sie längst zu einer, wenn auch heiß umstrittenen, Institution geworden. Eine Institution ohne Institution, wie sie selbst sagt:
"Wo bei anderen Menschen der Beruf steht, ist bei mir häufig zu lesen: 'Alice Schwarzer, Feministin'. Als sei meine politische Haltung mein Beruf. Und als hätte der Feminismus nicht viele Facetten – und so manche sogar konträr zu meinen Überzeugungen. Nein, von Beruf bin ich Journalistin, von Überzeugung Humanistin, Pazifistin, und Feministin – und als solche stehe ich in einer ganz bestimmten Tradition. Ansonsten stehe ich nur für mich, für das, was ich persönlich getan oder veröffentlicht habe."
Unanfechtbar und selbstverliebt
Genau darum geht es in ihrem Buch: um das, was sie persönlich getan und veröffentlicht hat. In erster Linie also um die vielen Kampagnen, die sie angestrengt hat, von der Stern-Aktion "Wir haben abgetrieben!" über die PorNO-Kampagne bis zu ihrem Kampf gegen die Prostitution. Siege und Niederlagen, mit denen sie prahlt wie andere Großmütter mit den Fotos ihrer Enkel: unanfechtbar und ziemlich selbstverliebt. Das verzeiht man ihr auch darum, weil die Bandbreite und Ausdauer ihres Engagements beeindruckend ist. Mehr noch, die von ihr angestoßenen Debatten haben die Geschichte der Bundesrepublik und des wiedervereinigten Deutschland mitgeprägt. Darauf ist sie stolz und kann es auch sein. Doch ihre Selbstbeweihräucherung nervt mitunter auch. Ständig verweist sie darauf, dass sie oder "Emma" die einzigen, ersten, hartnäckigsten waren, die das oder jenes gemacht hätten. Permanent stellt sie zudem ihre vertrauliche Nähe zu den Mächtigen, Schönen und Einflussreichen dieser Welt heraus, heißen sie Romy Schneider oder Angela Merkel. Geschenkt! Wer wissen will, was sich in den letzten 50 Jahren hierzulande in der Frauenfrage getan hat, ist mit diesem Buch gut beraten. Alice Schwarzer bezieht darin klipp und klar Stellung. Sie sagt, wo sie steht: Sie benennt ihre Differenzen zu anderen. Wie stets wettert sie gegen jede Form von Kulturrelativismus. Mit der islamischen Welt durchaus vertraut, über ihre algerische Wahlfamilie hat sie 2018 ein eigenes Buch veröffentlicht, zeigt sie etwa kein bisschen Verständnis für den laxen Umgang mit der Vollverschleierung:
"Sollen wir die Burka verbieten, werde ich immer wieder gefragt. Was für eine Frage! Selbstverständlich müssen wir die Burka in unseren Demokratien verbieten! Dieses Leichentuch, unter das die Islamisten in ihren Ländern die Frauen zwingen. Wir würden ja auch einen schwarzen Menschen nicht mit Ketten an den Füßen von seinem 'Herrn' durch unsere Städte schleifen lassen, nur weil das 'bei denen so Sitte ist'...Wie kann es also sein, dass wir diesen unwürdigen Auftritt von Frauen dulden?!"
Rigide und unnachgiebig
Strikt und klar verhält sie sich auch in anderen Fragen, rigide, unnachgiebig. Kritik an ihren Entscheidungen, etwa dass sie im Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann für die frauenfeindliche Bildzeitung schrieb, wischt sie fort: Keine andere Zeitung habe sie als Kommentatorin angefragt. Das klingt, als hätte sie keine eigene Plattform. Ähnlich schnoddrig und kurz angebunden ihr Umgang mit ihren Schwierigkeiten mit der Steuerfahndung oder mit ihrer Fast-Nachfolgerin Lisa Ortgies. Dass Alice Schwarzer nicht mehr ans Aufhören denkt, Chefredakteurin von Emma bleiben wird, solange es geht, sei ihr gegönnt. Wie ihr überhaupt diese Form von weiblichem Chauvinismus, der sie und ihr Werk umgibt, gut steht.
Dabei hat sie nicht nur Frauengeschichte geschrieben, sondern immer wieder auch Fernsehgeschichte. Auch daran erinnert sie sich. Unvergessen, wie sie 1988 mit dem humorlosen Schauspieler Klaus Löwitsch aneinandergeriet und sich, um zu demonstrieren, dass Frauen und Männer noch längst nicht gleichberechtigt seien, wie er breitbeinig ins Sofa lümmelte, was Löwitsch wiederum so unlustig fand, dass er die Sendung verließ.
Rheinländerin mit Mission
Kein Wort verliert sie indes über das Buch "Tango mit Alice" von Waltraud Schade, gegen das sie gerichtlich vorgegangen ist. Ausführlich hingegen kommt ihre Beziehung zu Angela Merkel zu Wort. Ihre erste Begegnung fiel schon ins Jahr 1991. Bei ihrer Vereidigung zur ersten deutschen Bundeskanzlerin 2005 war Alice Schwarzer zugegen und erinnert sich:
"Es ist vollbracht. Wir haben eine Bundeskanzlerin! Ich sitze oben auf dem Rang im Bundestag, eingeladen vom ZDF als Kommentatorin. Schräg vor mir Merkels Eltern und Geschwister. Ich gestehe: Mir werden in dem Moment die Augen feucht. Und ihre Familie? Die scheint ungerührt. Anschließend soll es Kartoffelsalat und Bier gegeben haben. Ich hätte die Champagnerkorken knallen lassen. Aber ich bin ja auch Rheinländerin."
Im Alter von 46 Jahren antwortete Alice Schwarzer auf die Frage, auf wen Sie im Gegensatz zur Allgemeinheit nichts kommen lassen würde: auf mich. Das ist genau die Art Selbstbewusstsein, die sich durch ihr Lebenswerk zieht: nicht zweifelsfrei selbstironisch, aber sich nonchalant über jeden Zweifel erhebend.
Alice Schwarzer: "Lebenswerk".
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 474 Seiten, 25 Euro
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 474 Seiten, 25 Euro