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AfD-Co-Vorsitzende
Weidel sieht einen "Wirtschaftskrieg gegen Deutschland"

Nicht die Ukraine und auch nicht Russland würden die Verlierer des Krieges sein, sagte die Co-Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, im Interview der Woche des Deutschlandfunks. "Es wird hier ein Wirtschaftskrieg gegen Deutschland geführt."

Alice Weidel im Gespräch mit Volker Finthammer |
AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel präsentiert die Partei-Kampagne "Unser Land zuerst" am 8. September 2022
Zur Forderung, Russlands Präsidenten Wladimir Putin vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen, sagte Alice Weidel im Dlf: „Auch die Ukraine muss in die Pflicht genommen werden. Es kann nicht sein, dass der Westen völlig unreflektiert die ukrainischen Maximalforderungen übernimmt.“ (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Deutschland drohe zerrieben zu werden zwischen den Großmächten, sagte die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel im Dlf. Deutschland werde am Ende „der große Verlierer“ sein, „weil wir auch nicht kompetente Regierungsvertreter haben, die in irgendeiner Form das Problem verstehen, als auch in der Lage wären, überhaupt die Interessen unseres Landes zu vertreten“.

Weidel würde Teilung der Ukraine akzeptieren

Weidel fordert deshalb unmittelbare Friedensverhandlungen mit Moskau und die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2. Dafür akzeptiert sie auch die Teilung der Ukraine: „Was es letztendlich für die Ukraine bedeutet und für Russland und für die Gebietsteilung, das ist überhaupt gar nicht unser Thema“, sagte Weidel. „Wir müssen auf unser Land schauen.“ Man müsse verhindern, dass „hier auch die Unternehmen alle über die Wupper gehen“.
Die Forderung, Russlands Präsident Wladimir Putin vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen, lehnt Weidel ab: „Auch die Ukraine muss in die Pflicht genommen werden. Es kann nicht sein, dass der Westen völlig unreflektiert die ukrainischen Maximalforderungen übernimmt.“

Ablehnung des Gaspreisdeckels

Den geplanten Gaspreisdeckel der Bundesregierung lehnt die AfD-Co-Vorsitzende ebenfalls ab. Stattdessen müsse man die bestehenden Kapazitäten zur Energieangebotsausweitung in Deutschland ausschöpfen, so Weidel im Dlf: „Dazu gehört, die drei Atomkraftwerke unbegrenzt weiterlaufen zu lassen, die Atomkraftwerke, die letztes Jahr abgestellt wurden, anzustellen.“ Mit den erstgenannten AKW bezieht sich Weidel auf die Kraftwerke Isar II, Neckarwestheim II und Emsland.

Björn Höcke und die "Freien Sachsen"

Dass der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn (*) Höcke jüngst gemeinsam mit den "Freien Sachsen" öffentlich in Gera aufgetreten ist, obwohl diese rechtsextreme Gruppierung auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht, ist für Weidel kein ernsthaftes Problem: „Wenn Herr Höcke dort auftritt, dann kann er das machen,“ sagte sie.
Für die AfD sei das auch ein strategisch wichtiges Thema, das am kommenden Wochenende bei einem Treffen der Landesvorstände und des Bundesvorstands intern besprochen werden solle: „Weil es für uns eben auch relevant ist für die Landtagswahlen 2024.“ Im nächsten Jahr stehen Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Zu den Ansprüchen dort sagte Weidel: „Ich glaube, dass wir die erste Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben 2024 im Osten.“

Partei stellt sich auf weitere Strafzahlungen ein

Nach den jüngsten Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft in der AfD-Parteizentrale und mehreren Privatwohnungen, bei denen es um weitere illegale Spendengelder für Plakate und Online-Kampagnen für die AfD ging, stellt sich die Partei auf weitere Strafzahlungen ein. „Wir handeln nach dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip und da muss man das tun“, sagte Weidel im Dlf. Sie fügte an: „Hier wird offensichtlich mit allen Mitteln gearbeitet, um uns kleinzukriegen“.
Allerdings hat die Partei bislang bereits gut 550.000 Euro an die Bundestagsverwaltung zurückzahlen müssen, weil die bisherigen Ermittlungen den Nachweis illegaler Parteispenden erbracht hatten, deren Herkunft durch bezahlte Strohmänner vorsätzlich verschleiert werden sollte.

Das Interview im Wortlaut:

Volker Finthammer: Frau Weidel, Ihre Partei konnte ja einen deutlichen Zuwachs bei der Landtagswahl in Niedersachsen verzeichnen, obwohl wir es dort nach wie vor mit einem zerstrittenen Landesverband zu tun haben. Aber die Proteststimmung im Lande ist nun mal so, dass die Wählerinnen und Wähler den regierenden Parteien zumindest zu Teil einen Denkzettel verpassen wollten. Das hat die AfD ja ganz bewusst zum Thema gemacht. Mehr als die Hälfte der AfD-Wähler gab gegenüber Infratest dimap an, ihr Kreuz bei der AfD aus Enttäuschung über die anderen Parteien gesetzt zu haben, 90 Prozent sahen in der AfD sogar die einzige Partei, mit der sie Ihren Protest gegenüber der Politik der Bundesregierung ausdrücken konnten. Brauchen Sie da gar keine Inhalte mehr? Stand deshalb auf den Plakaten nur: „Damit Heizen wieder bezahlbar wird“ oder „Freiheit statt Zwang“?
Alice Weidel: Na, die Alternative für Deutschland zeichnet sich ja eben durch ein nachhaltiges Programm und Inhalte aus. Das, was wir jetzt sehen, ist ja ein Realitätscheck grüner Politik, und wir sehen, dass Sie gerade an den Realitäten zerschellt. Hier wird ein Industrieland abgewickelt und davor haben wir jahrelang gewarnt. Und nicht nur davor, auch die galoppierende Geldentwertung, das inflatorische Umfeld, auch davor haben wir jahrelang gewarnt. Ein Haupttreiber ist nun mal die Eurorettungspolitik, warum es die Alternative für Deutschland überhaupt gibt. Das haben wir von Anfang an kritisiert, da es eben auch gegen europäische Verträge verstößt. Und nun sind wir natürlich in einer dramatischen Situation, also, der Ukrainekrieg. Der hat gezeigt, dass die Energiewende, die eingeschlagen wurde, – ja nicht von der Ampel, sondern von der CDU damals –, dass die Energiewende nicht nachhaltig ist, dass man mit Flatterstrom, also mit Windkraft und Solarenergie, ein Industriestaat nicht betreiben kann und das Ganze kompensiert wurde durch russisches Gas. Wir haben uns dadurch natürlich einseitig abhängig gemacht. Und da muss es doch jetzt in dieser Situation heißen, dass wir auf jeden Fall erstmal die sechs Atomkraftwerke, also die, die letztes Jahr im November abgestellt wurden und auch dieses Jahr zur Abschaltung ausstehen, dass sie die weiterlaufen lassen.
Finthammer: Zu den ganzen Themen kommen wir ganz bestimmt noch, Frau Weidel. Aber mit den Kompetenzwerten, wenn ich mal zurückkomme auf die Wahl in Niedersachsen, mit den Kompetenzwerten, die die Wählerinnen und Wähler der AfD zuschreiben, hat der Wahlerfolg wenig zu tun, denn die bewegen sich nach Infratest dimap in Niedersachsen wirklich auf bescheidenen Werten. Den stärksten Wert gab es für die AfD noch beim Thema Kriminalitätsbekämpfung. Aber gerade bei den wichtigen Themen, die Sie angesprochen haben – Arbeitsplätze und Wirtschaft –, trauen Ihnen jeweils nur sechs Prozent der Wählerinnen und Wähler etwas zu. Das ist doch eigentlich vernichtend, wenn Sie sich als Alternative darstellen wollen?
Weidel: Nun, also wir haben unsere Konzepte über Jahre vorgestellt. Wir machen ja auch dementsprechend Politik im Deutschen Bundestag als auch im Landtag. Es ist richtig, dass wir Probleme in Niedersachsen hatten. Wir sehen natürlich auch, dass wir hier einen Neustart gemacht haben. Wir haben eine sehr, sehr gute Truppe zusammengestellt, die jetzt eben auch in den Landtag einzieht. Und was natürlich auch nicht von der Hand zu weisen ist, Herr Finthammer, ist natürlich das Protestwählerpotenzial. So. Wir haben sehr viele Wähler von allen Parteien – also jetzt außer der Linken – jetzt zu uns gezogen. Die größte Wählerwanderung kam ja von der FDP, da kann man eben auch sehr glaubwürdig hineininterpretieren, dass dort Mittelständler und Unternehmen zu uns gewandert sind. Von der CDU haben wir Stimmen gezogen als auch von der SPD, weil diese Parteien ja nun mal nachweislich überhaupt gar keine Antworten haben auf die dringenden Fragen dieser Zeit. Und das ist doch der Grund, warum die Leute auf die Straße gehen und uns gewählt haben.

Wie sieht die AfD politisch sich selbst?

Finthammer: Ja, aber das mit den fehlenden Alternativen der AfD konnte man ja auch in Cottbus erleben, wo Ihr Kandidat für das Bürgermeisteramt, der stand in der Stichwahl mit einem SPD-Kandidaten und da hat er – ich sage es mal einfach – sechs zu drei verloren. Also, wenn es konkret wird, dann trauen die Bürger der AfD doch überhaupt nichts zu? Und sogar in einer Region, in der die Menschen bislang sehr empfänglich für die AfD waren.
Weidel: Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, wie die AfD auch medial geframed wird. Wir reden hier natürlich von einem jahrelangen politischen Framing, die die Alternative für Deutschland als Pariapartei darstellte. So. Wir begreifen uns selbst – also unser Selbstbild ist natürlich ein völlig anderes als das Fremdbild, was von uns gezeichnet wird –, wir begreifen uns als konservativ-hochliberal, aber das politische Framing, uns hier da auch hinzustellen, permanent in die rechte Ecke, so ist es ja auch, den sogenannten Querdenkern passiert. Also, jeder, der plötzlich die Coronapolitik hier völlig berechtigt kritisiert hat, war ja plötzlich hier auch ein Nazi, in der Bundesrepublik Deutschland. Also, das geht extrem schnell, dass Kritiker dort in der Ecke landen. Das weise ich natürlich von mir und auch von der Alternative für Deutschland, aber das ist natürlich auch dem geschuldet, wie wir geframed werden.

"Deutschland droht zwischen den Großmächten zerrieben zu werden"

Finthammer: Sie haben es schon erwähnt, Kernpunkt Ihrer politischen Strategie ist ja im Moment die Kritik an der Bundesregierung, vor allen Dingen wegen der Energiekrise und dem Krieg in der Ukraine. Sie haben auch schon die Abhängigkeit vom russischen Gas erwähnt. Aber was mich daran wundert, dass Sie gleichzeitig entschlossen die Reparatur und die Öffnung der Gaspipeline North Stream 2 fordern. Gerade Deutschland hat ja lange an dem Projekt festgehalten, gegen viele Widerstände aus Osteuropa oder auch aus den USA, auch weil man lange an einen Wandel durch Handel geglaubt hatte, gegenüber Russland, aber was Putin keineswegs an seiner Aggression gehindert hat. Auch die Gaslieferungen sind ja im August einseitig unter fadenscheinigen Argumenten eingestellt worden. Jetzt ist die Pipeline weitgehend zerstört – Sie halten an Ihrer Forderung fest und betonen das sogar immer wieder. Möchten Sie, dass Deutschland Russlands Krieg gegen die Ukraine finanziert?
Weidel: Also, Deutschland hat expliziert zu Beginn des Krieges, dass wir das russische Gas und Öl nicht mehr wollen. Das ist ja Kernpunkt der Sanktionspolitik. Was ist passiert? Das haben wir gesehen, dass Gazprom trotz der Sanktionspolitik und der Drosselung der Gaslieferung und dann letztendlich, als es dann zum Ende gekommen ist, den Gewinn ...
Finthammer: Warum ist es zum Ende gekommen? Die Russen haben abgeschaltet.
Weidel: Ja, aber man wollte das so. Wir haben den ersten Schritt gemacht – kommunikativ – und wir haben ihn auch umgesetzt. Auch davor habe ich und auch die AfD, wir haben davor gewarnt. So, also das Ganze ist natürlich völlig in die Hose gegangen für uns, wir haben uns damit selbst geschädigt. Und auch hier droht Europa, vor allen Dingen Deutschland – das sehen wir ja jetzt – zwischen diesen Großmächten zerrieben zu werden. Und da ist natürlich eine verantwortungsvolle Regierung gefragt, die dagegen steuert, um die Interessen unseres Landes zu vertreten.

Was bedeutet der AfD-Slogan „Unser Land zuerst“?

Finthammer: An dem Punkt möchte ich gerne ansetzen. Ihr Co-Vorsitzender – Tino Chrupalla – und Sie fordern Friedensverhandlungen mit Moskau, um einen Waffenstillstand zu erreichen. In der momentanen Situation wäre das ja nur wirklich mit erheblichen Gebietsabtretungen der Ukraine verbunden. Tritt die AfD für die ukrainische Teilung ein? Ist es das, was Sie sich unter dem Slogan „Unser Land zuerst“ vorstellen?
Weidel: Der Slogan „Unser Land zuerst“ sagt eindeutig, was wir wollen. Wir wollen keine wertebasierte Außenpolitik, sondern wir wollen eine interessengeleitete Außenpolitik für unser Land. Wir wollen endlich, dass die Interessen unseres Landes und unserer Bürger vertreten werden, durch eine Bundesregierung. Und das wurde nicht nur durch die Ampel nicht gemacht, sondern auch in der Vergangenheit, vor allen Dingen unter Angela Merkel nicht.
Finthammer: Aber da gehört doch unter den Bedingungen die Teilung der Ukraine dazu, wenn Sie das erreichen wollen?
Weidel: Dazu komme ich jetzt, Herr Finthammer. Da haben wir uns überhaupt gar nicht einzumischen. Eine kriegerische Auseinandersetzung wie jetzt, verschiebt die Mächte langfristig, und darauf müssen wir uns einstellen. Und ich habe eben auch angedeutet, wer der große Verlierer ist. Es ist nicht Russland, es ist nicht die Ukraine, sondern es wird hier ein Wirtschaftskrieg gegen Deutschland geführt. Wir werden der große Verlierer am Ende sein, das kann ich Ihnen prophezeien. Weil wir auch eben nicht kompetente Regierungsmitglieder haben, die da überhaupt in irgendeiner Form das Problem verstehen, geostrategisch als auch überhaupt in der Lage währen, die Interessen unseres Landes zu vertreten. Was es letztendlich für die Ukraine bedeutet und für Russland, für Gebietsteilung, das ist überhaupt gar nicht unser Thema. Wir müssen auf unser Land schauen, was hier jetzt passiert. Und wir müssen unbedingt verhindern, dass hier auch die Unternehmen alle über die Wupper gehen. Wir haben hier ein Potenzial, ein gigantisches Potenzial an Unternehmensinsolvenzen, weil sie die Energiekosten nicht mehr tragen können.

"Ich fand gut, dass Scholz Putin angerufen hat"

Finthammer: Aber ich höre von Ihnen keine Kritik an Wladimir Putin. Wie bewerten Sie denn die Abstimmung in der UN-Vollversammlung, wo sich 134 Staaten gegen Putins erneute Raketenangriffe auf die Zivilsten in der Ukraine ausgesprochen haben? Sind Sie dann bei den fünf, die dagegen gestimmt haben?
Weidel: Nein, darum geht es letztendlich nicht. Ich bin weder bei den fünf, warum sollte ich das sein, ich habe den Krieg in jeder Rede und auch in jedem Statement öffentlich verurteilt, er ist völkerrechtswidrig, nur, es sind Prozesse angestoßen worden, die wir nicht werden beeinflussen können. Und darum treten wir für Friedensverhandlungen ein. Dementsprechend unterstütze ich zum Beispiel auch Olaf Scholz. Ich fand den Schritt gut, dass er damals einfach mal den Wladimir Putin angerufen hat, um mal mit ihm zu reden, nicht wahr. Weil lieber – um es wie Helmut Schmidt zu halten – hundert Stunden umsonst verhandelt zu haben, als eine Minute schießen, das muss doch unser Credo sein, weil, in einem Krieg verliert jeder. Und dieser Krieg ist völkerrechtswidrig, also muss er so schnell wie möglich beendet werden.
Finthammer: Aber im Zwiegespräch mit Agnes Strack-Zimmermann bei Sandra Maischberger, haben Sie es abgelehnt, Putin vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen, warum?
Weidel: Weil es völlig unrealistisch ist. Die Frage stellt sich gar nicht. Das wäre unter einem Szenario der Fall, dass die NATO in den Krieg eintritt – so –, gegen eine Atommacht Russland. Und dass das ein völliges Harakiri wäre, das müssen wir ja wohl alle verstehen. Und dementsprechend halte ich, dieses Szenario überhaupt zu diskutieren, für völlig unrealistisch und auch unseriös. Das ist nicht die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, sondern die Kriegshandlungen müssen sofort eingestellt werden. Und auch die Ukraine muss in die Pflicht genommen werden. Es kann nicht sein, dass der Westen völlig unreflektiert die ukrainischen Maximalforderungen übernimmt.

Wie steht die AfD zur Atomkraft?

Finthammer: Frau Weidel, den geplanten Gaspreisdeckel der Bundesregierung haben Sie schon erwähnt, den lehnen Sie ab. Warum?
Weidel: Ja, Sie haben hier natürlich eine staatliche Lenkung und auch eine Ausweitung der staatlichen Tätigkeit. Das Ganze kommt auch viel zu spät. Was hätte man machen müssen, Herr Finthammer? Man hätte und man muss sich hinstellen und alle bestehenden Kapazitäten in der Bundesrepublik Deutschland zur Energieangebotsausweitung ausschöpfen. Dazu gehört, die drei Atomkraftwerke unbegrenzte weiterlaufen zu lassen, die Atomkraftwerke, die letzte Jahr abgestellt wurden, anzustellen – das geht nämlich, hat der TÜV auch selbst gesagt – und auch unbegrenzt weiterlaufen zu lassen. Da frage ich mich, warum wird das nicht gemacht? Das wäre eine kurzfristige Lösung. Und dann ...
Finthammer: Aber Sie haben die Öffnung von Nord Stream 2 gefordert.
Weidel: Ja, das fordere ich auch immer noch, das ist auch ganz, ganz richtig. Um es ganz klar zu sagen, es geht hier um die Entlastung der deutschen Bürger und auch der deutschen Unternehmen, denen die Energiekosten durch die Decke gehen. Und dementsprechend ist auch hier alles auszuschöpfen, was eben geht, im Interesse unseres Landes.

"Unsere Energie-Produktionskosten sind nicht mehr wettbewerbsfähig"

Finthammer: Sie fordern ja auch plakativ den Wiedereinstieg in den Ausbau der Atomkraft und die Energiewende in Deutschland wieder rückgängig zu machen, haben Sie vorhin schon gesagt, der Flatterstrom, der zu viel in Deutschland produziert wird. Frankreich betreibt 56 Atomkraftwerke, davon waren aufgrund der Trockenheit im vergangenen Sommer aber nur noch 25 am Netz, weil der Rest nicht ausreichend gekühlt werden konnte. Aber Frankreich war froh, dass man die Lücke mit erneuerbarem Strom aus Deutschland füllen konnte und auch bei uns sind in diesem Sommer viele Flüsse trockengefallen. Angesichts der Klimawende ist es doch eine Illusion zu glauben, dass mit neuen Atomkraftwerken in der Grundlast die Energiekrise beherrscht werden könnte. Da machen wir uns doch was vor, da machen Sie doch den Menschen etwas vor?
Weidel: Also, ich sehe das natürlich völlig anders, denn ich sage, dass das Gegenteil der Fall ist. Grundlastfähige Kraftwerke sind Kernkraftwerke. Und Deutschland hatte die modernsten Kernkraftwerke weltweit, überhaupt gar nicht vergleichbar mit den Atommeilern, die in Frankreich herumstehen oder in Polen, die wir jetzt natürlich über deren Strom also auch importieren. Also, wir importieren Atomstrom aus den Nachbarländern, von deutlich unmoderneren Kraftwerken als wir sie hatten. Also, das ist natürlich eine völlig widersinnige Politik und die Leidtragenden sind die deutschen Bürger und vor allen Dingen der deutsche Mittelstand, die kleinen mittleren Betriebe, die darunter zu leiden haben, aber auch größere Werke.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus der Chemieindustrie. Die Chemieindustrie hat letztes Jahr, obwohl sie schon nicht mehr wettbewerbsfähig war, 15 Prozent des Umsatzes für Energiekosten ausgegeben. Heute liegt der Anteil des Umsatzes an Energiekosten bei 65 Prozent. Das heißt, wir sind in den Produktionskosten überhaupt gar nicht mehr wettbewerbsfähig und liegen dann wirklich so um die 50 Prozent über dem Weltpreis. Und das heißt, wir verlieren alle unsere Kunden, die steigen auf andere Unternehmen um. Und das heißt dann letztendlich, dass diese Unternehmen entweder Insolvenz anmelden oder ins Ausland gehen. Und, Herr Finthammer, das Dramatische ist, ich sehe überhaupt gar keinen Lösungsansatz von der Politik, von dieser Bundesregierung, um da überhaupt glaubwürdig gegenzusteuern.
Finthammer: Wir haben noch nicht über ein weiteres Unternehmen gesprochen, dem Sie persönlich angehören, nämlich der AfD. Es ist kein Unternehmen, es ist eine Partei, aber wir müssen auch noch über den wahren Parteichef der AfD zu sprechen kommen, wie der Spiegel das in dieser Woche geschrieben hat, auf den Thüringer Landeschef, Björn Höcke. Der hat ja auf dem letzten Bundesparteitag in Riesa, vor gut drei Monaten, seine Macht nicht nur gefestigt, sondern faktisch auch vergrößert, weil bis zu 60 Prozent der Delegierten, die konnte er hinter sich versammeln, auch im neuen Bundesvorstand gehören zwei Drittel mehr oder weniger dem Höcke-Lager an. Damit ist doch der rechtsextreme Flügel, der zwar nicht mehr so heißen darf, den es aber informell immer noch gibt, Frau Weidel, stärker den je und ein Grund für den Verfassungsschutz, da noch genauer hinzusehen. Welche Zukunft hat Björn Höcke in Ihrer Partei?
Weidel: Also, zunächst einmal ist das gar nicht maßgeblich, was der Spiegel schreibt. Wir haben schon öfter erlebt, dass die Einschätzungen, was unsere Partei anbelangt, falsch sind. Und das hat auch mit der Einschätzung zu tun, wie sich auch der Bundesvorstand – Sie haben das jetzt ja gerade so als Beispiel genannt – zusammensetzt. Das ist natürlich mitnichten der Fall. Es sind sehr, sehr gute Leute, mit einer guten Berufserfahrung, sehr gut ausgebildete Leute, die bei uns im Bundesvorstand sitzen. Wir arbeiten sehr gut zusammen, es ist ein guter Bundesvorstand. Und das hat mitnichten etwas mit dem Flügel oder sonst mit irgendwem zu tun. Herr Höcke repräsentiert einen Teil der AfD, ist erfolgreich in Thüringen, hat gute Umfragewerte und wird auch bei den Wahlen in Thüringen 2024 – da haben wir ja Sachsen, Brandenburg und Thüringen, Landtagswahlen –, da wird er natürlich gefragt und gefordert sein und da wird er auch einen sehr guten Wahlkampf machen.

Wir steht Alice Weidel zum Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke?

Finthammer: Aber in Gera stand Björn Höcke jüngst mit Vertretern der Freien Sachsen auf der Bühne, bei einer gemeinsamen großen Veranstaltung, mit mehreren Tausend Besuchern. Dabei steht die eigentlich auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Wie geht das zusammen? Wird das einfach hingenommen, dass er sich immer weiter nach rechts orientiert? Spielt das für Sie keine Rolle?
Weidel: Na gut, also die Freien Sachsen, die haben ja auch während der Landratswahlen, dieses Jahr in Sachsen, einen hohen Prozentsatz eingefahren, und das muss man erstmal konzedieren. Und wenn Herr Höcke dort auftritt, auf seiner Demonstration, dann kann er das machen. Aber grundsätzlich ist es so, dass wir das natürlich auch aufnehmen, also das ist auch ein strategisch wichtiges Thema. Und das werden wir am nächsten Wochenende auf unserer Klausurtagung besprechen.
Finthammer: Was ist da zu erwarten? Wo wollen Sie da hin?
Weidel: Wie wir uns positionieren.
Finthammer: Die Freien Sachsen sind inzwischen so eine starke Konkurrenz in Sachsen wie einst PEGIDA. Da hat man doch eher das Gefühl, die AfD fängt an, sich mit dieser Vereinigung gemein zu machen, um nicht den Anschluss im rechten Lager zu verlieren?
Weidel: Ja, eben darüber werden wir diskutieren, und zwar intern. Wir haben eine Bundesvorstands-/Landesvorstandskonferenz nächstes Wochenende und da werden diese Fragen natürlich auch aufgeworfen. Weil es für uns eben auch relevant ist für die Landtagswahlen 2024.

Weidel: Antifa-Milieu, "das sind ja auch Terroristen", im Thüringer Landtag

Finthammer: In der Bevölkerung sind die Ansichten jedoch klar: 68 Prozent der Bürger antworten auf die Frage, ob die AfD eine rechtsextreme Partei ist mit Ja, nur 24 Prozent sehen das nicht so und acht Prozent sind unentschieden. Das heißt, Sie begeben sich ja da offenbar in ein Fahrwasser, was die AfD noch viel stärker ins rechte Lager drücken könnte?
Weidel: Wissen Sie, ich bin ja schon sehr, sehr lange in dieser Partei. Ich bin seit 2013 in der AfD, also jetzt schon fast zehn Jahre. Ich kenne unsere Partei, glaube ich, sehr gut, und ich habe festgestellt, dass von jedem Parteitag zu jedem nachfolgendem Parteitag die AfD immer weiter nach rechts geschrieben wurde. Also, ich weiß gar nicht, wie weit wir noch nach rechts rücken sollen. Also, das ist alles auch für mich ein ganz großes Fragezeichen auch, wie die Berichterstattung über unsere Partei auch ausfällt.
Finthammer: Aber was die ostdeutschen Landesverbände angeht, kann man das kaum bestreiten.
Weidel: Ja, doch, natürlich kann man das bestreiten. Also, wir sind ja mittlerweile im Osten auch stärkste Kraft und das heißt, dass wir auch die richtige Politik in den Landtagen haben. Schauen Sie mal, sie haben in Thüringen dort einen Linken Ramelow sitzen, mit so einer Regenbogenkoalition, und das ist ja, ich meine, alles andere als seriös. Also, Sie haben da auch teilweise da Leute aus dem Antifa-Milieu sitzen, das sind ja auch Terroristen und da sollte mal der Verfassungsschutz sehr genau hingucken. Also, ich finde das alles recht, recht fragwürdig. Und seien wir mal ehrlich, der Verfassungsschutz ist natürlich politisch komplett instrumentalisiert, um die AfD von einem fairen politischen Wettbewerb auch rauszuhalten.

Wie ist der Stand in der AfD-Spendenaffäre?

Finthammer: Von wegen „instrumentalisiert“, Frau Weidel, auch die Spendenaffäre lässt Sie ja offenbar nicht los. Ihre Partei hat bereits knapp 400.000 Euro an die Bundestagsverwaltung zahlen müssen, für illegale Parteispenden, die Sie aus der Schweiz erhalten haben. Sie haben damals immer alle Schuld von sich gewiesen, obwohl sogar nachweislich deutsche Strohmänner gekauft wurden, um diese illegale Herkunft zu verdecken. Ende September gab es erneut Hausdurchsuchungen der Staatsanwaltschaft in Ihrer Parteizentrale und an sechs weiteren Orten in Deutschland, darunter auch in Privatwohnungen. Man erhofft sich Aufklärung über weitere Spenden für Online-Kampagnen, die dort geflossen sind. Und Ihre Spendenaffäre hat ja bereits gezeigt, dass die Ermittler stets auf der richtigen Fährte waren. Wollen Sie auch hier wieder alles bestreiten und sagen, da ist nichts dran, an den Untersuchungen, die es gegeben hat, wie Sie es im ersten Moment ja getan haben?
Weidel: Ja, ich glaube, wir müssen hier zwei Dinge auseinanderhalten. Also, erstmal das Verfahren, was Sie da eben angesprochen haben, also, es sind Spenden geflossen an meinen Kreisverband, die aber zurückgezahlt wurden. Das heißt, es hat den Steuerzahler nie etwas gekostet. Und ich hoffe, ...
Finthammer: Aber Sie waren illegal.
Weidel: Ja, aber die wurden zurückgezahlt – leider zu spät, weil wir arbeiten eben auch mit Ehrenamtlichen. Und es ist auch einfach so, dass wir aus den Fehlern lernen. Wir haben es intern aufgeklärt. Wir haben vernünftige Spenden- und Compliance-Richtlinien aufgrund des Vorfalles aufgesetzt. So etwas kann passieren. Aber letztendlich hat es den Steuerzahler überhaupt nichts gekostet. Die Sachen, die sind ja zurückgeflossen. Moment. Und ich würde mir diese gleiche Akribie auch wünschen, wenn es um Cum-Ex und Warburg-Spendenskandale geht, was unseren Bundeskanzler anbelangt.
Finthammer: Alles vor Gericht untersucht.
Weidel: Ja, hoffentlich. Denn das hat es den Steuerzahler zweistellige Millionenbeträge gekostet. Also, da muss man reingehen, anstatt permanent hier auf, ich sage jetzt mal, auf dieser Sachen da drauf zu zeigen. Und das Zweite ist, diese Hausdurchsuchung ... Herr Finthammer, ja, Sie wollten etwas fragen?

AfD stellt sich auf weitere Strafzahlungen ein

Finthammer: Ja. Auch die Rechenschaftsberichte Ihrer Partei sollen ja nach Erkenntnissen der Ermittler mutmaßliche Fehler enthalten. Also, das Finanzangaben verschleiert oder nicht richtig wiedergegeben wurden.
Weidel: Ja, diese Zuflüsse, die wurden ursprünglich nicht korrekt verbucht. Aber das wurde alles korrigiert und da ist auch überhaupt gar kein Fehlverhalten dran. Das wurde ja alles schon lange gemacht. Und jetzt hatte wir eine Hausdurchsuchung aufgrund eines ganz anderen Vorganges. Und ich glaube, da geht es um Plakatwerbung während des Meuthen-Wahlkampfes und auch Frauke Petry.
Finthammer: Um Onlinewerbung, die finanziert wurde.
Weidel: Genau, und Onlinewerbung. Und da hätte uns auch die Staatsanwaltschaft auch gerne fragen können. Wir kooperieren ja, also, das ist ja ... ich meine, alles, was man braucht, das händigen wir aus.
Finthammer: Stellen Sie sich auf weitere Strafzahlungen ein?
Weidel: Das muss man ... also, wir handeln natürlich nach dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip und da muss man das natürlich tun. Denn hier wird ja offensichtlich so mit allen Mitteln gearbeitet, um uns irgendwie klein zu kriegen.
Finthammer: Ja, aber die Ermittler haben bislang immer richtig gelegen mit ihrer Fährte. Es gab die illegalen Spenden, daran ist ja nun mal nichts zu leugnen, das hat ja mit Kleinkriegen wenig zu tun: Illegal bleibt illegal.
Weidel: Ja, das ist schön, dass Sie das sagen, dass die Ermittler immer auf der richtigen Spur waren – darum wurde das Ermittlungsverfahren gegen mich ja nach zwei Jahren auch eingestellt.

Wo will die AfD mitregieren?

Finthammer: Frau Weidel, die AfD wird im nächsten Jahr zehn Jahre alt, welches Ziel haben Sie denn vor Augen? Jörg Meuthen wollte ja bis zur nächsten Bundestagswahl zumindest koalitionsfähig sein – das Gegenteil scheint ja im Moment eher der Fall zu sein. Wo wollen Sie denn hin?
Weidel: Es ist natürlich so, dass wir als Partei den Anspruch haben, an der Regierung beteiligt zu sein. Wenn wir jetzt von der Bundesregierung sprechen, dann wird das noch einige Jahre dauern, das hat auch etwas mit Akzeptanz zu tun. Aber ich glaube, dass man langfristig an der Alternative für Deutschland gar nicht mehr vorbei kommt. Und ich glaube, dass wir die erste Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben 2024 im Osten, also entweder in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg.
Finthammer: Aber das ist dann nicht die bürgerliche AfD, für die Sie eigentlich stehen wollten, das ist dann eine eher rechtsextreme AfD, die im Moment noch aktiv vom Verfassungsschutz beobachtet wird?
Weidel: Der Verfassungsschutz ist aus meiner Sicht politisch instrumentalisiert. Und die AfD ist überall gleich, im Westen als auch im Osten.
(*) Wir haben den ursprünglich falsch geschriebenen Vornamen von Herrn Höcke korrigiert.
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