Mindestens 55 Menschen sind in den letzten Tagen im sibirischen Irkutsk an Vergiftungen gestorben, mehr als zwei Dutzend liegen in Krankenhäusern. Ihr Zustand ist kritisch. Sie hatten einen Badezusatz mit Weißdorn getrunken. Er enthielt offenbar hochgiftiges Methanol. Aleksej Tretjakow, Toxikologe bei der regionalen Gesundheitsbehörde, sagte Journalisten:
"Das zentrale Nervensystem wird angegriffen. Charakteristisch ist, schon bei geringen Mengen, Blindheit."
Weißdorn, versetzt mit Alkohol als Schnapsersatz
Weißdorn ist auch in Deutschland als Heilpflanze bekannt, er soll unter anderem helfen, Herz und Kreislauf zu stabilisieren. In einigen russischen Regionen hingegen ist Weißdorn, versetzt mit Alkohol, unter armen Leuten auch ein beliebter Schnapsersatz. Es gibt ihn sogar aus dem Automaten. Immer wieder zeigte das Fernsehen in den vergangenen Tagen eine Box an einer Hauswand. Zwei mal zehn Rubel kostet ein Fläschchen des Elixiers dort, umgerechnet nicht mal vierzig Cent – weit weniger als eine Flasche Wodka. Die Behörden haben mittlerweile hunderte Verkaufsstellen in Irkutsk überprüft und tausende Liter beschlagnahmt. Ermittler meldeten, sie hätten zwei illegale Produktionsstätten entdeckt. In Moskau äußerte sich Premierminister Dmitrij Medwedew:
"Man muss den Handel mit derartigem Getränkeersatz einfach verbieten und diejenigen, die das halblegal verkaufen, zur Verantwortung ziehen."
Alkoholkonsum in der Gesellschaft per Gesetz eingrenzen
Die russische Regierung versucht seit Jahren, den Alkoholkonsum in der Gesellschaft per Gesetz einzugrenzen. Nachts darf kein Alkohol mehr verkauft werden. Die Steuer auf Alkohol wurde angehoben. Präsident Putin propagiert eine gesunde Lebensweise. Und in großen Städten wie Moskau hat man den Eindruck, dass tatsächlich weniger getrunken wird als noch vor Jahren. Offiziellen Angaben zufolge ist der Konsum reinen Alkohols seit 2007 in Russland von 9,7 auf 7,6 Liter pro Kopf und Jahr zurückgegangen. Doch in die Statistiken geht nur offiziell gehandelter Alkohol ein. Die Zeitung RBK schrieb jüngst, in Russland habe sich ein regelrechter Parallelmarkt für Alkohol entwickelt. Mehr als jeder zehnte Russe trinke regelmäßig Lotionen oder andere Kosmetikartikel statt Wodka, so die Zeitung. Gerade auf dem Land brennen viele Menschen außerdem wie zu Sowjetzeiten selbst Schnaps. Anna Popowa, Chefin der russischen Verbraucherschutzbehörde, räumte ein:
"Unser Monitoring hat ergeben, dass die Zahl von Vergiftungen mit Ersatzmitteln seit fünf Jahren kaum merklich sinkt. Zugleich steigt die Zahl von Vergiftungen mit Methanol."
14.000 Tote durch nicht zum Verzehr bestimmte Flüssigkeiten
Nach Angaben der Behörde starben in Russland im Jahr 2015 mehr als 14.000 Menschen, weil sie sich mit alkoholhaltigen nicht zum Verzehr bestimmten Flüssigkeiten vergiftet hatten. Präparate wie Weißdornlotion nun aber zu verbieten, nütze gar nichts, meint Viktor Dmitrijew vom Verband der Pharmazeutischen Industrie. Er sagte im Fernsehsender Doschd:
"Alkoholiker finden immer etwas zu trinken. Wenn wir Weißdorn verbieten, trinken sie Fensterputzmittel oder Frostschutzmittel. Alkoholismus kann man nicht mit Verboten bekämpfen. Man muss die soziale Lage der Menschen verbessern, muss Arbeitsplätze und Freizeitangebote schaffen."