Wenn ab heute in vielen Teilen Deutschlands wieder die Jecken und Narren regieren, dann wird auch viel gefeiert und viel getrunken, und nicht alle kennen dabei ihr Limit. Auch viele Jugendliche unterschätzen die Wirkung von Alkohol, und dass er süchtig machen kann, will in diesen Tagen niemand hören. Daher ist dem Blauen Kreuz besonders die Präventionsarbeit an Schulen wichtig, damit schon möglichst früh der richtige Umgang mit Alkohol gelernt, sensibilisiert wird, darüber informiert wird, wie er eben wirken kann. "blu:prevent" heißt das Präventionsprojekt, das Schülerinnen und Schüler aufklären will. Dirk Höllerhage koordiniert die Schulbesuche.
Kate Maleike: Sie sind jetzt gerade wieder an Schulen oder an einer Schule im Harz unterwegs. Wie ist das denn eigentlich, wenn man da als Vertreter des Blauen Kreuzes kommt und erst mal über Alkohol und dessen Wirkung spricht, wie offen sind die Arme, und wie offen sind die Ohren, auf die Sie dann stoßen?
Dirk Höllerhage: Was wir mitkriegen: Zu Anfang machen die Schüler ein langes Gesicht, wenn die hören, da kommt jemand vom Blauen Kreuz, Suchtprävention, und denken, ach je, schon wieder was Langweiliges. Wenn wir dann aber in der Klasse sind und loslegen, dann erleben wir seit 17 Jahren durchweg begeisterte Schüler, weil wir ein tolles Programm, und die staunen dann, wie man auch dieses Thema spannend anpacken kann. Man kann ihnen dann wirklich auf tolle Art und Weise wirklich ins Gewissen reden, ihnen Mut machen, vernünftig mit Alkohol umzugehen und einen spannenden Unterricht anbieten. Von daher sind die Schulen sehr geeignet, weil da einfach die Kinder sitzen.
Maleike: Wenn Sie sagen, wir bereiten das Thema besonders interessant auf, dann heißt das, Sie kommen nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger daher. Wie machen Sie das denn dann?
Höllerhage: Nein, das ist uns ganz wichtig. Kein Frontalunterricht, wir sitzen im Stuhlkreis, und wir haben Betroffene dabei. Ich habe damals, als ich anfing, überlegt, wie muss ein Unterricht aussehen, damit ich nicht einschlafe oder innerlich abschalte. Dann sind daraus so drei Schulstunden geworden – wir machen auch manchmal vier oder fünf –, die sehr spannend sind, mit Experimenten, Zucker und Wasser, Zucker und Alkohol, Lebensgeschichten. Mit ganz einfachen Gegenständen versuchen wir Sachen, wie kommt man in eine Sucht, mit einem Bindfaden zum Beispiel kann man das deutlich machen, wenn man die Hände umwickelt oder mit Filmdöschen, wie die Synapsen blockiert werden, was passiert, wenn man betrunken ist. Ganz beliebt ist natürlich auch so die Rauschbrille, das ist natürlich auch ein kleiner Gag, wenn die Kinder dann selber mal erfahren können, durch eine Brille, die ein, drei Promille zeigt - wie einfachste Dinge nicht mehr passieren, wenn man angetrunken ist.
"Komasaufen, das ist immer noch sehr verbreitet"
Maleike: Das ist ja ein sehr spielerischer Umgang mit einem sehr ernsten Thema. Was beobachten Sie denn in puncto Alkoholkonsum mit besonderer Sorge bei den Schülern und Schülerinnen?
Höllerhage: Das ist eine gute Frage, denn man hat festgestellt, zu meiner Zeit – ich bin jetzt 60 –, als ich 14, 15, 16 war, hat man fast genauso viel getrunken wie heute, aber dieses berühmte Komasaufen, das ist immer noch sehr verbreitet. Das heißt, heute trifft man sich ganz bewusst, um sich zu besaufen. Früher haben wir auch viel getrunken, aber da waren immer Pausen dazwischen, und wir haben noch andere Sachen noch dazu gemacht, aber heute kauft man ein und schüttet sich das Zeug hinein. Man möchte schnell und heftig besoffen sein, und dieses schnelle, unkontrollierte Trinken, das ist ein sehr, sehr großes Problem, weil die Leute dann die Kontrolle verlieren und oft Dinge tun, die einfach nicht gut sind für andere und auch für sich.
Maleike: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die veröffentlicht ja jedes Jahr Zahlen zum Alkoholkonsum in Deutschland. Im letzten Bericht stand, dass der Konsum bei Jugendlichen rückläufig ist, bei jungen Erwachsenen aber leicht ansteigt. Bedeutet das für Sie, das Problem ist weiter ernst?
Höllerhage: Natürlich. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig mit Statistiken. Man hört es manchmal so, man hört es manchmal so, je nachdem, wo und wie gefragt wird. Wir gehen jetzt seit 17 Jahren an Schulen, und durchweg merken wir, es wird getrunken, auch schon bei Jugendlichen 13, 14, Jahre ist oft das Einstiegsalter, und da mag es Verschiebungen geben, mal hier, mal dort, aber generell kann man sagen, ist das ein großes Problem in Deutschland, was wenig erkannt wird. Man redet viel drüber, aber es wird wenig gemacht. Alkohol ist überall verfügbar, ist billig, und jeder kommt dran, und es wird konsumiert auf Partys, es gehört dazu. Wenn wir ehrlich sind, in kleinen Mengen macht es Spaß, es macht Freude, man wird lustig, aber dann wird auch oft eine Linie überschritten. Da gibt es viele negative Erfahrungen. Also es ist nach wie vor ein großes, großes Problem in unserem Land.
"Können das Thema ganz anders anpacken"
Maleike: Und aus Ihrer Sicht auch ein Aufgabenfeld für die Schule?
Höllerhage: Absolut, absolut. Die Schulen sind auch sehr dankbar, wenn wir kommen, das merken wir immer wieder, weil sie sagen, externe Leute, die auch Erfahrung haben, die können das Thema ganz anders anpacken. Lehrer, die dort jetzt unterrichten und sollen dann Suchtprävention machen, ist manchmal sehr schwierig, sich in das Thema reinzuarbeiten, deshalb ist man sehr dankbar, wenn wir von außerhalb kommen und wirklich wissen auch, worüber wir reden.
Maleike: Jetzt ist ja Präventionsarbeit schwierig messbar. Was wissen Sie denn darüber, wie Ihre Arbeit wirkt?
Höllerhage: Wie weit bringt Prävention etwas. Ich habe mit der Polizei gesprochen im Landkreis Osterode, da kann man tatsächlich messen, die hatten bis vor vielen Jahren, große Probleme waren unter den Top drei, was Alkohol- und Drogenkonsum an Jugendlichen betrifft, und man hat durch eine flächendeckende Prävention wirklich diese Topplätze verlassen können. Ungefähr zwei Drittel der erfolgten Behandlungen bei Jugendlichen durch Alkoholmissbrauch im Krankenhaus konnte runtergefahren werden. Also da ist schon viel passiert. Dann erleben wir immer wieder, wenn wir an Schulen gehen, dass die Schulleitung sagt, Mensch, seitdem ihr hier kontinuierlich arbeitet, sind die Klassenkonferenzen bezüglich Drogen- und Alkoholmissbrauch wirklich messbar zurückgegangen. Ich finde wichtig zu reden, über die Sachen aufzuklären. Das ist für mich auch Menschsein. Eine Sache finde ich ganz spannend, und das macht mir immer wieder Mut, dass wir oft angerufen werden. Wir verteilen so Kärtchen, seit ungefähr drei Jahren, und wir haben einen Chat, und wir haben an die 70.000 Karten schon verteilt in Deutschland an den Schulen, und die können sich dort melden mit Problemen. Montags bis freitags sind wir erreichbar, und da merken wir, dass ein Riesenzulauf ist, dass die Leute zugehört haben und viele Schüler anrufen und einfach Fragen haben zu ihrem Leben, oder wenn Mama oder Papa trinken oder der Freund und wir da helfen können.
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