Gesundheit
Auf Alkohol komplett verzichten – sinnvoll oder nicht?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät, keinen Alkohol zu trinken – jeder Tropfen sei zu viel. Suchtforscher und -berater unterstützen das, kritisieren die Leitlinie aber auch. Die Wirtschaft reagiert - wenig überraschend - mit Kopfschütteln.

Saubere Schnappsglaeser in Form von Bierkruegen, aufgenommen in Berlin, 22.01.2025.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sagt, es gibt bei Alkohol kein "safe level", also keine gesundheitlich unbedenkliche Menge. (picture alliance / photothek.de / Amrei Schulz)
Wie viel Alkoholkonsum ist vertretbar – gesundheitlich, gesellschaftlich? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind das eine, das andere die Erfahrungen in der Praxis. Alkohol ist ein Kulturgut mit langer historischer Tradition. Er ist in der Gesellschaft omnipräsent. Kommt man dem Trinken und seinen Gefahren mit harten Leitlinien wie „null Konsum“ bei? Dazu gibt es verschiedene Meinungen in der medizinischen Forschung, der Suchtforschung, von Seiten der Suchtberatung und der Alkoholindustrie.

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 Wie gefährlich ist Alkoholkonsum??

Die eindeutige Botschaft der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) lautet: Es gibt kein sicheres Trinken von Alkohol. Margrit Richter, wissenschaftliche Leiterin der neuen DGE-Leitlinie in Sachen Alkohol, fasst die Position der Gesellschaft so zusammen: „Es gibt keine Menge, die als gesundheitlich sicher und risikofrei anzusehen ist. Und weil das so ist, empfehlen wir erstmal keinen Alkohol zu trinken.“ Damit hat die DGE – eine politisch unabhängige Fachgesellschaft – ihren bisherigen Standpunkt über Bord geworfen.
Richter sagt, in Beobachtungsstudien sehe man, „dass es bestimmte Krankheiten gibt – dazu gehören auch Krebserkrankungen, zum Beispiel Brustkrebs – die eben häufiger auftreten bei Menschen, die Alkohol trinken. Und das ist auch gültig für Menschen, die sehr wenig Alkohol trinken. Und insofern empfehlen wir, Alkohol nicht zu trinken.“
Bislang wurde seitens der DGE noch unterschieden zwischen einem risikoarmen und risikoreichem Alkoholkonsum. Zur Orientierung gab es Angaben, wie viel Glas Bier oder Wein das pro Tag bedeute. Als Empfehlung fürs Trinken war das zwar nie gemeint, wurde aber oft fälschlich so verstanden, erklärt Margrit Richter.
Die Botschaft, keinen Alkohol zu trinken, vertritt auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Mehr als 200 gesundheitliche Risiken von Alkoholkonsum sind vielfach belegt, wie etwa Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Jeder neunte Sterbefall in Europa geht laut der WHO auch auf den Konsum von Alkohol zurück.
Dennoch werden in der DGE-Leitlinie klare Angaben dazu gemacht, wie es gelingen kann, Alkohol zu trinken, ohne sich unmittelbar zu schaden. Margrit Richter sagt dazu: Man wollte die Menschen mit ihren Trinkgewohnheiten nicht alleine lassen. Alkohol sei altes Kulturgut und werde nun mal konsumiert. Deshalb zeigen bunte Grafiken jetzt, wie es gefahrloser gehen kann – wie gehabt: umgerechnet in Gläsern Alkohol pro Tag bzw. Woche.

Wie viel Alkohol wird in Deutschland getrunken?

Margrit Richter von der DGE sagt, Deutschland sei ein Alkohol-Hochkonsumland. Die WHO habe im Sommer eine Erhebung herausgebracht. Deutschland sei dort im Schnitt sehr hoch positioniert. „Gerade Männer haben einen sehr hohen Konsum. Und auch wenn wir sehen, dass es bei jungen Menschen zurückgeht, ist es trotzdem wichtig, sich da klar zu positionieren.“
Ulrich Frischknecht, Sucht- und Persönlichkeitspsychologe an der Katholischen Hochschule NRW, erläutert, dass in puncto Trinkmengen angebliche Mittelwerte kursierten, wie: „Der Durchschnittsdeutsche trinkt 10,6 oder 10,7 Liter Reinalkohol pro Jahr.“
Dabei, so Frischknecht, gebe es den durchschnittlichen deutschen Konsumierenden gar nicht. Circa 20 Prozent der Bevölkerung hätten in den letzten 30 Tagen gar keinen Alkohol getrunken, und nochmals circa 60 Prozent hätten das getan, was man früher "risikoarmen Konsum" genannt habe.
Das sei „wirklich sehr, sehr wenig“ und bedeute vielleicht zwei Gläser bis maximal fünf Gläser in der Woche und nie mehr als sechs. „Nur eine sehr, sehr kleine Gruppe von Menschen in Deutschland trinkt relativ viel.“ Diese Vieltrinker, das sind etwa acht Millionen Erwachsene.
Bei Jugendlichen fällt auf: Das Bingedrinking, „Komatrinken“, das vor einigen Jahren viel diskutiert wurde, ist dort zurzeit kein großes Thema. Das zeigte zuletzt eine Studie der KKH Krankenkasse. Auch der Anteil an alkoholfreien Bieralternativen steigt bei den Jüngeren stetig an, meldete Anfang des Jahres der Deutsche Brauer Bund.


Was sagen Suchtforscher und Suchtberater zu Alkohol?

Suchtforscher und Suchtberater blicken zum Teil mit einer gewissen Skepsis auf die harte Linie der DGE. Für Suchtforscher Ulrich Frischknecht gibt es zwar keinen Zweifel daran, dass Alkohol der Gesundheit schadet und viele Menschen abhängig macht. Eine absolute Leitlinie aber, eine Null-Alkohol-Empfehlung, die für alle und jeden gelten soll, sei auch keine Lösung des Problems. Denn die Menschen konsumieren eben sehr unterschiedlich.
Carolin Wolter aus Ratingen bei Düsseldorf, eine Suchtberaterin der dortigen Diakonie, arbeitet in Präventionsprogrammen mit Schülern zum Thema Alkoholkonsum. Sie bietet in Schulen etwa Alkoholparcours an. Die Schüler durchlaufen Stationen und erfahren praktisch, etwa mit dem Tragen von Alkoholbrillen, was das Trinken bewirken kann.
Aus ihrer Arbeit mit Jugendlichen weiß Wolter: Prävention kann erfolgreich sein – mit gezielter Aktion, selbstentdeckend, möglichst früh im Leben und am besten nicht nur einmalig. Aber klar ist auch: Mit einer Empfehlung, keinen Alkohol mehr zu trinken – wie es die DGE gemacht hat –, kann man Jugendliche kaum erreichen.
Dennoch befürworten die meisten Institutionen in der Suchthilfe die Aussage, dass es keinen risikofreien Konsum gibt. Unter anderem die Organisation Guttempler oder die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen nutzen die neue Leitlinie der DGE.

Welche Position hat die Alkoholwirtschaft?

Die Alkohol-Lobby ist naturgemäß nicht begeistert von der strikten Position der DGE. Beim Deutschen Weinbauverband etwa hat sie für Kopfschütteln gesorgt. In wirtschaftlich angespannter Lage müssen Händler und Hersteller jetzt mit der DGE-Aussage umgehen.
Der Weinbauverband vertritt die Interessen von rund 15.000 Betrieben und Winzern im Land, darunter viele mittelständische Familienbetriebe. Der Verband kritisiert vor allem eine einseitige Auswertung der Studienlage. Positive Effekte, die maßvolles Weintrinken habe, seien von der DGE in der öffentlichen Bewertung ausgeblendet worden, sagt Verbandsgeschäftsführer Christian Schwörer.
In der Differenzierung der Leitlinie zum risikoarmen und risikoreichen Konsum mit Mengenangaben sieht Schwörer weitere Unstimmigkeiten der DGE-Position.   

Was wird gegen Alkohlabusus getan?

Ein ganzer Katalog an Forderungen richtet sich – auch dank der DGE-Leitlinie – jetzt an die Politik im Bund. Auch Ulrich Frischknecht von der Katholischen Hochschule NRW sieht viel Handlungsbedarf: Die DGE-Leitlinie könne ein Argument für die politischen Akteure sein, sich stärker gegen die Einflüsse der Alkohollobby zu positionieren, um dort „längst überfällige Maßnahmen einzuleiten“.
Frischknecht nennt die Anhebung von Altersschwellen für den Verkauf von Alkohol, Werbeverbote und Steuererhöhungen. Auch der Verkauf an Tankstellen wird manchmal kritisiert. Bei sogenannter Schockwerbung – wie es sie bei Zigaretten seit Jahren gibt, also ein Banner auf jeder Flasche Alkohol, das mit grellen Bildern vor den Risiken warnt – winkt Suchtexperte Frischknecht ab. Bei Zigaretten sei der Effekt, das wisse man, nicht so groß, wie er zunächst plausibel erscheinen mag.
Mehr bewirken würden dagegen höhere Steuern auf Alkohol, sagt Jakob Manthey vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg. Höhere Steuern könnten dazu beitragen, den Konsum insgesamt zu reduzieren und zugleich die Einnahmen des Staates deutlich zu verbessern, glaubt Manthey. Er hält das für geboten: Vieltrinken bis hin zu abhängigem Trinken kostet die Gesellschaft bis zu 57 Milliarden Euro jährlich – Krankheitskosten, Suchthilfe, Rehamaßnahmen, aber auch Arbeitsausfälle infolge von Alkoholmissbrauch werden hier zusammengezählt.
Das ist weit mehr als der Alkohol an Steuern in die öffentlichen Kassen zurückspült: nämlich gerade einmal 3,2 Milliarden Euro.
Und wie steht es um Präventionsinitiativen der Industrie selbst? Viele, aber nicht alle Experten sind skeptisch. Sie sehen vor allem Eigeninteressen am Werk, wenn beispielsweise die Weinhersteller auf mäßigen, kultivierten Genuss setzen. Andererseits: Die Initiative „Wine in moderation“ vom Deutschen Weinbauverband mit Vorschlägen für maßvolles Trinken findet Zuspruch: Eine lange Liste von Erzeugern, Organisationen und Händlern hat sich dem Vorhaben angeschlossen, etwa einen risikoarmen Konsum zu bewerben oder sich an Werbebeschränkungen zu halten.
Christian Schwörer vom Weinbauverband moniert, schon jetzt hätten Fastenzeiten und alkoholfreie Monate gravierende Umsatzeinbußen in der Branche bewirkt – nach bereits mageren Vorjahren im Verkauf. Noch mehr davon sei ruinös. Beim Thema Prävention von Missbrauch setzt er auf das Eigenengagement seiner Branche und sieht ein freiwilliges Agreement mit der Politik.
Nichts davon ist schriftlich und verbindlich, aber, so Schwörer, man habe „mit der Politik irgendwo eine Vereinbarung, die sagt: Ihr betreibt Prävention. Solange das Prinzip dann tatsächlich funktioniert, dass dadurch Exzesse verhindert werden, kommen keine Werbeverbote oder Warnhinweise. Dann ist in steuerlicher Hinsicht auch weniger die Diskussion da, dass man Verfügbarkeit einschränken müsste.“

Katrin Sanders, aha