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Allan-Kaprow-Happenings in Berlin
Die Wand zwischen Betrachter und Künstler auflösen

Vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin werden Happenings von Allan Kaprow wieder aufgeführt. Sein Werk wird so in seiner Existenz verstetigt - und damit Teil jenes Kunstkanons, den Kaprow eigentlich konsequent bekämpfte. Kurator Udo Kittelmann will mit der Inszenierung weg von den klassischen Formaten, hin zu den ephemeren Praktiken, zum Performativen.

Von Carsten Probst |
    Udo Kittelmann, Direktor der Neuen Nationalgalerie, steht vor Allan Kaprows Installation "Fluids" vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
    Udo Kittelmann, Direktor der Neuen Nationalgalerie, vor Allan Kaprows "Fluids" vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin. (dpa/picture alliance/Jörg Carstensen)
    Mauern spielten schon früh im Werk von Allan Kaprow eine Rolle. Das Happening, dessen Begriff er erfand, war für ihn "ein Spiel, ein Abenteuer, das die Teilnehmer nur um des Spielens Willen spielen". Es gibt keinen Künstler, keinen Regisseur, der das Happening anleitet, alles geschieht interaktiv zwischen den Beteiligten, mit dem Ziel, die Barriere zwischen Künstler und Betrachter einzureißen. Kaprow bezog sich damit bewusst auf die klassische Theatertheorie Diderots und Molières, die von einer "vierten Wand" schrieben, die normalerweise bei einer traditionell aufgebauten Bühne das Publikum vom Schauspiel trennt. Seit der Moderne wurde für den Bereich der Kunst ein ganz ähnliches Verhältnis zwischen Bild und Betrachter konstatiert. Was Kaprow mit seinen Happenings seit den späten 1950er-Jahren also versuchte, war nichts anderes, als möglichst gezielt jene Wand zwischen Betrachter und Künstler aufzulösen, unter anderem beeinflusst von John Cage.
    Berlin muss ihm in dieser Hinsicht wie ein einziges Großhappening vorgekommen sein, als er 1970 im Rahmen des DAAD-Künstlerprogramms in der Stadt war. Die Berliner Mauer erhob die Rolle von Akteuren und Betrachtern in eine weltpolitische Mega-Metapher, sodass Kaprow damals praktisch gar nicht anders konnte, als in der Nähe dieser Mauer auch ein eigenes Mauer-Happening abzuhalten und einen "Sweet Wall" zu errichten. Doch die Backsteine waren nicht mit Mörtel zusammengefügt. Stattdessen verwendeten seine Helfer Butterbrot und Marmelade als Klebstoff. Und wer weiß, vielleicht war das ja ein sibyllinischer Kommentar zu den Lockstoffen, die der Westen auf die östliche Seite der Mauer schickte, um dort ein Begehren nach dem Einreißen der echten Mauer anzuheizen.
    Anschlussfähig an die derzeitige Flüchtlingsthematik
    Kaprows "Fluids" sind schon ein paar Jahre früher entstanden, 1967, und sie versinnbildlichen sozusagen par excellence, wie er sich das Verhältnis von Kunst und Publikum dachte. Die "Fluids" sind große, viereckig umbaute Räume, deren Wände aus Eisblöcken errichtet werden und folglich über kurz oder lang abschmelzen. Das Kunstwerk erscheint als ein temporäres Gebilde, das nur scheinbar eine hohe Schwelle besitzt, und auch seine Wahrnehmung durch den Betrachter ändert sich ständig. Damit beginnt aber auch zugleich das Problem mit der Wiederaufführung im Jahr 2015 vor der Neuen Nationalgalerie. Denn das wiederholte, flüchtige Werk wird in seiner Existenz nur verstetigt und damit gerade Teil jenes Kunstkanons, den Kaprow ja eigentlich gerade so konsequent bekämpfte. Um solche Feinheiten kümmert man sich allerdings ungern bei den Staatlichen Museen. Udo Kittelmann geht es generell um eine Erweiterung des Programms der Nationalgalerie, weg von den klassischen Formaten, hin zu den ephemeren Praktiken, zum Performativen. Er sagt, die etablierten Museen müssten sich dieser temporären Kunst stellen. Damit liegt er zumindest im Trend, der ja andererseits auch durch die Berufung des Kunstkurators Chris Dercon zum Intendanten der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unterstrichen wird.
    Kittelmann geht es auch darum, zu zeigen, dass Kaprow sozusagen als geistiger Vater der heutigen temporär arbeitenden Künstlergeneration fungiert. Eine Künstlerinnengruppe um Antje Majewski beispielsweise häuft nicht weit von Einrichtungen der Berliner Stadtmission am Hauptbahnhof Einrichtungsgegenstände zusammen, baut eine imaginäre Behausung im Freien, die hinterher über das Verschenken der Möbel wieder aufgelöst wird. Ahmet Ögüt wird die Wassermenge, die zum Errichten von Kaprows "Fluids" gefroren werden muss, nämlich exakt 12.420 Liter, in eine Wasserflaschenedition mit eigenem Künstlerlabel abfüllen und auf der Berliner Art Week verteilen. Alles mühelos anschlussfähig an die derzeitige Flüchtlingsthematik. Kaprow ist also immer noch aktuell, und die Staatlichen Museen haben mal wieder alles richtig gemacht.