Er ist als Politologe und Historiker einer der gefragtesten Polit-Auguren und wurde bereits das "Orakel von Washington" genannt: Allan Lichtman von der American University in Washington DC hat bereits vor Jahren eine ziemlich ausgefeilte Methodik entwickelt, um den Ausgang von Präsidentschaftswahlen vorherzusagen - und lag dabei fast ausnahmslos richtig. So war er 2016 einer der ganz wenigen, die gegen den Trend sämtlicher Umfragen den Wahlsieg von Donald Trump voraussagten. Bei den Zwischenwahlen ist er nun entschieden vorsichtiger.
"Für die Zwischenwahlen verfüge ich über keine Formel. Da geht es um 470 Sitze im Repräsentantenhaus und ein Drittel der Sitze im Senat – bei dieser Vielzahl von Sitzen eine Voraussage zu treffen, wäre schlicht verrückt. Ich würde keine Wette darauf setzen – und ich würde Ihren Hörern raten, es auch nicht zu tun."
Aber es gibt ein Szenario, das Allan Lichtman für wahrscheinlich hält: Die Demokraten hätten so viel Rückenwind, dass es ihnen immerhin gelingen könnte, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückzuholen.
"Ich nehme an, dass die Republikaner sehr knapp den Senat halten werden und die Demokraten das Repräsentantenhaus zurückerobern. Aber nochmal: In diesem denkbar unvorhersehbaren Wahljahr ist alles möglich."
Das Maß aller aller Dinge: Trump
Allan Lichtman hält Donald Trump für den entscheidenden Faktor bei diesen Zwischenwahlen - der Präsident steht zwar nicht zur Abstimmung, die Zwischenwahlen sind jedoch ein erstes Referendum über Donald Trump, den Lichtman für den polarisierendsten Präsidenten der jüngeren amerikanischen Geschichte hält.
Donald Trump werde insofern zum Maß aller Dinge bei diesen Zwischenwahlen, weil sich an ihm die Wahlbeteiligung entscheide - und damit die Frage, wie viele Wähler er für oder gegen sich mobilisiert.
"Die Midterms werden immer durch die Mobilisierung der Wähler entschieden. Weil bei den Zwischenwahlen durchschnittlich weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen, verfallen in der Regel 140 Millionen Stimmen. Wer immer die meisten Stimmen aus dieser Gruppe der Nichtwähler für sich gewinnen kann, hat die besseren Karten."
Vor diesem Hintergrund sieht Allan Lichtman die äußerst gespannte und immer gereiztere Atmosphäre in den vergangenen Tagen: Donald Trump sah sich nach der Serie der Paketbomben und nach dem tödlichen Anschlag in einer Synagoge in Pittsburgh dem Vorwurf ausgesetzt, mit seiner Hassrhetorik das Klima der Gewalt zu begünstigen. Trump lenkte keinesfalls ein, sondern antwortet mit immer drastischeren Initiativen zur Einwanderungspolitik, um auf diese Weise seine Basis zu mobilisieren. Das ist allerdings eine zweischneidige Sache, sagt Lichtman: Es könne durchaus sein, dass Trump damit auch seine politischen Gegner mobilisiert.
Wer kommt ins Repräsentantenhaus?
Wenn es den Demokraten gelingt, zumindest das Repräsentantenhaus zurückzuholen, hätten sie künftig wieder eine wirkungsvolle Basis, um dem Präsidenten eine parlamentarische Kontrolle entgegenzusetzen. Die Demokraten könnten im Repräsentantenhaus sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten auf den Weg bringen – allerdings im Wissen, dass sie dann im Senat nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit finden würden. Ganz anders sähe indes das politische Szenario aus, wenn die Republikaner sich in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheiten sichern könnten, also im Repräsentantenhaus und im Senat.
"Das hieße, dass die republikanische Partei Donald Trumps über die gesamte Kontrolle der nationalen Regierung verfügen würde. Die Republikaner hätten das Weiße Haus, sie hätten den Kongress und sie hätten die Mehrheit im Verfassungsgericht der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit dem Ergebnis, dass es in den nächsten zwei Jahren keinerlei Handhabe für die Kontrolle der Instinkte Donald Trumps geben würde."
Donald Trump hätte dann weitere zwei Jahre lang eine praktisch unerschütterliche Machtbasis, um mit langem Atem zum Sprung in die zweite Amtszeit anzusetzen. Denn die Zwischenwahlen sind nicht nur ein Stimmungsbarometer nach den ersten beiden Jahren einer Amtszeit. Sie sind auch ein Sprungbrett in den nächsten Präsidentschaftswahlkampf, der bereits unmittelbar nach dem 6. November beginnt.