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Alle guten Dinge sind drei

Zum Abschluss der "Stücke", der 34. Mülheimer Theatertage, ist der mit 15.000 Euro dotierte Mülheimer Dramatikerpreis verliehen worden: Ausgezeichnet wurde Elfriede Jelinek für ihr Drama "Rechnitz (Der Würgeengel)". Sie bekam den Preis damit zum dritten Mal. Den undotierten Publikumspreis erhielt René Pollesch für "Fantasma".

Von Uli Deuter |
    Den Mülheimer Dramatikerpreis bekam schon oft wenn nicht der falsche, so doch nicht der jeweils wirklich beste Autor.

    Diesmal aber hat die Jury alles richtig gemacht. Weil sie nichts falsch machen konnte. Elfriede Jelineks Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)" ist nämlich so preiswürdig wie zwei oder drei andere Stücke der diesjährigen Auswahl - bei aller Unterschiedlichkeit der Machart. Gutes und Durchschnittliches, aber keine Überraschungen - das ist das Fazit des diesjährigen Wettbewerbs.

    Sibylle Berg, Oliver Bukowski; René Pollesch, Roland Schimmelpfennig; Ulrike Syha und eben Jelinek - das waren die von einem Auswahlgremium nominierten Dramatiker. Sechs etablierte Namen des deutschsprachigen Theaterbetriebs. Wobei eine Überraschung doch dabei war, die Nummer sieben: Lutz Hübner.

    Der 45-Jährige ist der an deutschen Bühnen meistgespielte Gegenwartsdramatiker, und genau das wohl hinderte ihn bislang daran, nach Mülheim eingeladen zu werden. Gebrauchsschauspiele, so lautet der Vorwurf der Theaterkritik. Nun also doch: Hübners "Geisterfahrer" zu Gast bei den Theatertagen. Mag sein, dass da jemand ein Zeichen setzen wollte, weg von elaborierten Sprachspielen unter Kunstfiguren, hin zu ein bisschen mehr normalem Leben auf der Bühne. Hübner einzuladen war mutiger als Jelinek auszuzeichnen. Für Lutz Hübner jedenfalls war die Nominierung ein Grund zu ironisch verhaltener Freude:

    "Ich hab natürlich mit Freunden immer Witze gemacht: Wenn ich mal nach Mülheim eingeladen bin, habe ich was falsch gemacht. In irgendeiner Form nimmt man das natürlich wahr. Aber letztendlich würde ich eher sagen, ich arbeite im Betrieb und ich arbeite an Theatern. Und ich glaube, man kann auch nicht arbeiten mit Blick auf Festivals, zu denen man eingeladen wird oder nicht, da macht man sich verrückt. Insofern habe ich mir gesagt: Das ist nun einmal so, dass ich hier nicht vorgesehen bin. Und genau so freue ich mich jetzt, dass ich dabei bin. Ich sehe das etwas pragmatisch."

    In gewisser Weise ist Hübners Well made play über drei Paare mittleren Alters mit ihren erstorbenen Sehnsüchten, ihrer verlorenen Fähigkeit zum Neuanfang - in gewisser Weise also ist Hübners "Geisterfahrer" paradigmatisch für das, was deutschsprachige Dramatiker im letzten Jahr für die Bühne verfasst haben. Zumindest für das, was von den Mülheimer Scouts als das Beste ausgesucht wurde. Loser, Pechvögel, Nichtskönner; Paare, die sich eher zufällig finden, eher lustlos verbinden. Oder deren traurige Zukunft schon mit an der Hochzeitstafel sitzt. Das ist das Personal, das wir gezeigt bekommen, der Spiegel, der uns vorgehalten wird.

    Was offenbarte sich da, ein Trend? Peter Michalzik, Mitglied des Auswahl-Gremiums, widerspricht:

    "Es gibt kein gemeinsames Thema. Die Stücke sind auch nicht zeitdiagnostisch. Aber wenn man sie [...] so einmal vor dem inneren Auge passieren lässt, stellt man fest, dass es wahrscheinlich relativ viele Stücke gibt, die so was wie Selbstverständigung über uns selbst sind. Also: dass es relativ viele Stücke gibt, mit denen wir uns über uns selbst verständigen, so die Frage: In welchem Zustand befinden wir uns eigentlich gerade?"

    Dieser Zustand aber lautet Ratlosigkeit, Resignation, Schicksalsergebenheit - es sei denn, man wollte das, was in der letzten Saison geschrieben, uraufgeführt und eingeladen wurde, als gänzlich zufällig ansehen. Lediglich das Siegerstück von Elfriede Jelinek sprengte das vorherrschende Bild, "Rechnitz" folgt, wie immer bei der österreichischen Nobelpreisträgerin, einem dezidiert politischen Thema. Ist doch Rechnitz das burgenländische Schloss, wo im März 1945 eine Bande Edel-Nazis zum krönenden Abschluss einer Party 180 jüdische Zwangsarbeiter erschoss; die Hauptverantwortlichen wurden nie belangt.

    Mehr noch als mit dem Massenmord selbst setzt sich das Stück mit der Verleugnung danach auseinander. Mittels der Jelinek-typischen Sprachbildbrüche und Kalauerkaskaden, die atemlos um eine Wahrheit dahinter ringen. Ein Drama, das aber auf jeden Fall auch eines ist: politisch korrekt.

    So waren die Mülheimer Theatertage wieder einmal das, was sie im besten Fall sein können: eine Momentaufnahme, die sich über die Jahre hin zu einem Überblick über die deutsche Gegenwartsdramatik fügt. Ohne Mülheim wäre dieser Überblick sehr viel schwieriger. Darin liegt das Verdienst dieses Uraufführungs-Festivals. Seit 1976. Und im nächsten Jahr wieder.