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"Alle Politiker sollen an ihren Taten gemessen werden"

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hat bekräftigt, dass er seine politische Zukunft an den Erfolg eines Umbaus des Gesundheitssystems knüpfen will. Er sei mit dem Ziel gestartet, ein effizientes Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen.

Philipp Rösler im Gespräch mit Silvia Engels | 03.02.2010
    Silvia Engels: Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler macht sich langfristig für einen grundlegenden Umbau der Finanzierung des Gesundheitssystems stark. Ihm schwebt ein Modell einer Gesundheitspauschale oder Kopfpauschale vor. Es sieht vor, dass jeder gesetzlich Versicherte den gleichen Beitrag zu zahlen hat. Geringverdiener sollen aus dem Steuertopf einen sozialen Ausgleich bekommen. Wie wichtig das für Philipp Rösler ist, konnten am Montag die Zuschauer der Sendung "Beckmann" in der ARD verfolgen. Dort sagte Rösler:

    O-Ton Philipp Rösler: Wenn es nicht gelingen kann, ein vernünftiges Gesundheitsversicherungssystem auf den Weg zu bringen, dann will mich keiner mehr als Gesundheitsminister haben. Davon gehe ich jedenfalls fest aus.

    Engels: Und der Bundesgesundheitsminister ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Rösler!

    Philipp Rösler: Guten Morgen, moin und hallo!

    Engels: Hallo! – Wollten Sie das am Montag im Fernsehen als indirekte Rücktrittsdrohung verstanden wissen?

    Rösler: So schnell scheint das hier in Berlin zu gehen. Aber richtig ist, dass ich darauf hingewiesen habe, dass ich daran gemessen werde, ob es gelingt, ein vernünftiges, das heißt stabiles und robustes Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen, und jetzt kommt der Hammer: Ich bin übrigens weiterhin fest davon überzeugt, dass alle Politiker von den Menschen danach gemessen werden, ob sie das, was sie ankündigen, am Ende auch erreichen oder nicht erreichen. Insofern bin ich etwas überrascht über die Reaktionen in der Öffentlichkeit.

    Engels: Ist es denn aber nicht strategisch betrachtet etwas früh, schon die eigene politische Zukunft in die Wagschale zu werfen, wenn Sie bis jetzt noch nicht einmal genauere Entwürfe für Ihr Gesundheitsmodell vorgelegt haben?

    Rösler: Noch mal: Ich weise nur darauf hin, dass alle Politiker an ihren Taten gemessen werden sollen, und das Schicksal eines jeden Politikers hängt an einem Handeln, nicht an einem Reden, und es ist wichtig, auch gerade in der heutigen Zeit nochmals darauf hinzuweisen. Aber in der Tat ist sicher meine Aufgabe, auch jetzt ein Modell vorzulegen. Im Februar wird die Regierungskommission ihre Arbeit aufnehmen, um an einer stabilen und robusten Finanzierung zu arbeiten, und zeitgleich ist es dann meine Aufgabe, mit meinen Kolleginnen und Kollegen dafür zu sorgen, dass wir auch ein effizientes Gesundheitssystem in Deutschland auf den Weg bringen können.

    Engels: Dann schauen wir auf Ihre Strategie. Wie soll es denn aussehen: Jetzt schon ein ganz großes Gesamtkonzept entwerfen und vielleicht auch mit dem Kopf durch die Wand, oder Reform in kleinen Schritten?

    Rösler: Es ist keine Kunst, ein, ich sage mal, ordnungspolitisch reines Modell aufzumalen und das dann politisch zu diskutieren. Aber die eigentliche Kunst in der Politik besteht doch, von dem Zustand heute zu dem Idealzustand morgen hinzukommen und auf dem Weg dahin niemanden zu überfordern, weder die Menschen, noch die sozialen Sicherungssysteme. Deswegen haben wir unser Modell geschrieben, aber jetzt geht es daran – und das ist Aufgabe der Regierungskommission -, den Weg dahin zu beschreiten, also die Größe der Umstellung, die Geschwindigkeit der Umstellung genau festzulegen.

    Engels: Das klingt ein bisschen nach kleinen Schritten. Jetzt haben Sie aber, Herr Rösler, die Ankündigung mehrerer gesetzlicher Krankenkassen, in diesem Jahr Zusatzbeiträge zu erheben, als unsozial bezeichnet. Aber dass jeder Versicherte pro Kopf eine kleine Prämie zahlt, das ist doch eigentlich in der Richtung Ihr Modell?

    Rösler: Zunächst mal sind kleine Schritte nichts falsches. Lieber kleine Schritte nach vorne, als einen großen zurück. Und diese Zusatzbeiträge, die wir kritisieren, haben den Fehler, dass sie eben zusätzlich sind, daher ja auch der Name Zusatzbeiträge. Das heißt, zu den 14,9 Prozent, die jeder Versicherte für seine gesetzliche Krankenversicherung bezahlt, kommen diese Zusatzbeiträge eben noch obendrauf und wir wollen ja, wenn es einen einkommensunabhängigen Beitrag gibt, also eine Prämie, dass wir diese Prämie langsam größer machen, dafür aber auch den prozentualen Anteil für die Arbeitnehmer kleiner, und insofern sagen wir, das jetzige System ist nicht zu Ende gedacht und wir fordern alle auf, die auch der Meinung sind, dass diese Zusatzbeiträge in das System nicht hineinpassen, eben mit daran zu helfen und mit daran zu arbeiten, ein besseres System auf den Weg zu bringen.

    Engels: Um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, könnten Sie aber auch einfach die Beitragsbemessungsgrenze anheben. Dann zahlen die Vermögenden mehr und die Geringverdienenden brauchen vielleicht keinen Steuerausgleich.

    Rösler: Es gibt ja nicht nur die Beitragsbemessungsgrenze, sondern auch die Versicherungspflichtgrenze, und dann würden viele erstens die gesetzliche Krankenversicherung verlassen und wären dann gar nicht mehr dabei in dem GKV-System, und zweitens hat das Verfassungsgericht auch klare Grenzen bei der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze gesetzt. Es muss nämlich einen Zusammenhang geben zwischen den Beiträgen in der Krankenkasse und den Leistungen der Krankenkasse selber für den einzelnen Versicherten. Das heißt also, man kann nicht beliebig den Beitrag oder die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen, zumal ja auch die Beitragsbemessungsgrenze sich nur auf das Lohneinkommen bezieht. Wenn wir einen steuerlichen Ausgleich haben, dann wird im Steuersystem jeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert, nicht nur mit 14,9 Prozent, und auch mit all seinen Einkünften, übrigens auch die Privatversicherten.

    Engels: Was sagen Sie denn eigentlich in diesem ganzen Zusammenhang zu Herrn Söder? Sie werben jetzt für Ihr Modell, aber der bayerische Gesundheitsminister von der CSU attackiert Sie eigentlich stärker als die Opposition und eigentlich für alles, was Sie sagen: für Ihren geplanten Umbau in Richtung Kopfpauschale, für die Zusatzbeiträge und auch für Ihre Pläne, nach kurzfristigen Sparmöglichkeiten im Pharmabereich zu schauen. Was sagen Sie ihm?

    Rösler: Das sehe ich ganz gelassen. Meine Aufgabe ist es nicht, anderen Kolleginnen und Kollegen zu gefallen – es gibt immerhin 16 Ländergesundheitsminister -, sondern meine Aufgabe ist es, für mehr als 80 Millionen Menschen ein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen, und da muss ich mir natürlich alle Bereiche ansehen, ob das nun Pharma ist, ob das andere Bereiche sind, und sehen, ob dort die Gelder effizient verwaltet werden, und wenn sie nicht effizient verwaltet werden, dann muss ich das System verbessern. Das ist meine Aufgabe, das wird nicht jedem gefallen, aber ich orientiere mich dabei erstens an unserem Koalitionsvertrag und der zweitens wiederum an den Bedürfnissen der Menschen.

    Engels: Aber am Ende brauchen Sie auch die Zustimmung des Bundesrats, und da haben Sie dann spätestens wieder mit Herrn Söder zu tun.

    Rösler: Da habe ich mit vielen anderen Bundesländern zu tun, aber ich glaube, wenn wir ein gutes System auf den Weg bringen, was ich dann den Kolleginnen und Kollegen vorstelle, und die Argumente dafür stimmen, dann werden alle diejenigen, die der Meinung sind, wir müssen dieses System verbessern, glaube ich, zustimmen. Es hängt von der Qualität meines Vorschlages am Ende ab.

    Engels: Entscheidend wird dann aber auch sein, ob Sie für Ihren Vorschlag die Zustimmung der Kanzlerin haben. Haben Sie die?

    Rösler: Ich brauche die Zustimmung der gesamten Koalition und die gute Nachricht ist, ich weiß, dass ich mehr als 80 Millionen Menschen auf meiner Seite habe, fünf Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Arbeitnehmer im Gesundheitswesen, und ich glaube, das sind gute Argumente für alle Koalitionäre in diesem Land.

    Engels: In den kommenden Wochen, Sie haben es angesprochen, Herr Rösler, soll sich eine Regierungskommission zusammensetzen. Markus Söder hat ihr hier im Deutschlandfunk gestern schon keine großen Erfolgschancen eingeräumt. Sie solle sich deshalb vor allen Dingen mit Entbürokratisierung beschäftigen. Wird sie das?

    Rösler: Die Aufgabe der Regierungskommission ist klar definiert, nämlich die Einnahmeseite neu zu gestalten, also den Weg, den wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, den im Detail auszuarbeiten. Das wird die Regierungskommission leisten. Da würde ich etwas mehr Mut von allen Kolleginnen und Kollegen erwarten. Aber wir trauen uns das jedenfalls zu.

    Engels: Wollen Sie sich denn auch mal mit Herrn Söder und Herrn Seehofer zusammensetzen, um die Vorstellungen im Gesundheitswesen abzugleichen und es nicht zur Eskalation kommen zu lassen?

    Rösler: Wir brauchen jetzt ja nicht ständig irgendwelche Sitzungen, zumal wir auch einen klaren Koalitionsvertrag haben. Wir sehen uns bei den verschiedensten Veranstaltungen, wie ich übrigens alle anderen Gesundheitsminister auch bei den verschiedensten Veranstaltungen sehe, und da redet man natürlich auch über die Gesundheitsreform.

    Engels: Aber hier ist ja vollkommen klar, dass hier die Züge mit voller Fahr aufeinander losfahren. Die CSU gibt sich hier gerade extrem unversöhnlich.

    Rösler: Ja, aber jeder wird wissen, dass die Menschen Politiker nicht wählen, um sich in der Öffentlichkeit schön zu streiten, sondern um die Probleme eines Landes zu lösen, und gerade in der Gesundheitspolitik, finde ich, sind die Probleme so groß, dass es sich nicht lohnt, darüber zu streiten, sondern wir sollten konstruktiv im Interesse der Versicherten arbeiten. Wir jedenfalls sind dazu bereit und tun das auch schon.

    Engels: Wie erklären Sie es sich denn, Herr Rösler, dass es zurzeit in so vielen Bereichen in der Koalition mit der Union knirscht, um es mal vorsichtig auszudrücken?

    Rösler: Wir sind in einer Koalition, trotzdem bleiben wir natürlich unterschiedliche Parteien, haben unterschiedliche Sichtweisen, haben auch unterschiedliche Argumente, bewerten Dinge auch anders, und da es gilt, dass die Diskussion die Mutter aller Dinge ist, ist das ein natürlicher Vorgang, dass man eben auch über inhaltliche Fragen streitet. Solange es um Inhalte geht und die Zielsetzung gleich ist, ich glaube, ist daran nichts Schlimmes zu sehen.

    Engels: Das Gesundheitssystem haben Sie sich als Hauptaufgabe natürlich gesetzt, das grundsätzlich zu reformieren. Drehen wir es noch einmal herum. Können Sie sich, wenn das nicht funktioniert, auch früher einen Ausstieg aus der Politik vorstellen, als Sie das immer angekündigt haben, erst mit Mitte 40?

    Rösler: Mein Ziel war ja, mit 45 aus der Politik dann auszusteigen. Da ist ja noch ein bisschen hin. Das sind übrigens noch zwei Legislaturperioden, ich werde jetzt demnächst erst 37. Insofern denke ich da auf keinen Fall an einen früheren Ausstieg.

    Engels: Und bis dahin haben Sie dann die Kopfpauschale beziehungsweise Gesundheitsprämie durchgesetzt?

    Rösler: Zumindest haben wir den Einstieg in das neue System gewagt und den Weg zu dem Gesamtsystem auch beschrieben. Das ist ein wichtiges Ziel und ich bin guter Dinge, dass das auch gelingen kann.

    Engels: Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler von der FDP. Wir sprachen über seine Zukunft in der Politik und über seine Vorstellungen zur Gesundheitsreform. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Rösler: Vielen Dank und tschüss!