Alle reden um den heißen Brei in diesem Film, meinen etwas anderes als das, was sie sagen. Gaelle zum Beispiel macht sich jeden Abend auf die - meist enttäuschende - Suche nach ihrem Traummann. Ihrem Bruder Thierry, mit dem sie zusammenlebt, erzählt sie nichts von ihrer Sehnsucht nach dem Glück. Und er ihr nichts von seinen Nächten mit den erotischen Videos von Charlotte. Und so fällt Gaelles Reaktion heftig aus, als sie ihn beim Fernsehen überrascht. Aber sie erzählt auch von ihrer eigenen Traurigkeit.
"Das ist Charlotte. Ganz sicher. - Thierry was siehst Du dir an, darf ich das erfahren. - Gaelle. Du bist schon zurück. - Was war das. Wo kommt das her. - Aus der Kiste. Ich hab rumgezappt. Und dann. Wie können die so was bloß senden. Das ist ja schauderhaft. Ich liebe diese Scherze nicht. - Sekunde, das heißt: du hast dir ganz allein eine Kassette angesehen mit nem Porno. Das ist jämmerlich Thierry. Und vor allem traurig. Unfassbar traurig."
"Herzen" erzählt natürlich nicht nur von Sex, Lügen und Videos. Selbst eine schlichte Wohnungsbesichtigung enthüllt noch Beziehungsgeheimnisse. Nicole möchte mit ihrer Suche nach einer neuen Wohnung eigentlich etwas anderes erreichen. Ein großes Schlafzimmer soll ihre Beziehung kitten. Eine Arbeit hat Ehemann Dan auch nicht. Trotzdem erschwert er die Wohnungssuche, weil er unbedingt ein Arbeitszimmer will. Wieder ein verschobener Dialog. Nicole und Dan reden eigentlich nicht über eine Wohnung, sondern über ihre Beziehung und wissen beide, dass diese schon längst keine Zukunft mehr hat.
" "Wie oft soll ich dir noch sagen: ich brauche ein Arbeitszimmer. Ich überlass dir gern das Wohnzimmer, das größte Zimmer und das schönste Bad. - Meine Rede. Du lässt mich mit allem allein. Auf dem Arbeitszimmer. Entschuldige. Bestehe ich. Ich will mein Arbeitszimmer. Basta. - Ich weiß immer noch nicht, was du damit willst. "
So ideal auseinander genommen, wie das hier zum besseren Verständnis geschieht, erzählt der Film seine vier Liebesgeschichten nicht. Resnais erzählt vielmehr gleichzeitig und im Wechsel der Szenen von sieben Personen, die gefangen sind in den Spinnennetzen ihrer Lebenslügen. Wir beobachten sie bei ihren Befreiungsversuchen und wie sie sich dabei immer weiter verstricken. Alain Resnais, heute 85, ist bekannt dafür, das Leben wie einen Roman zu sehen, oder wie ein Chanson, oder wie ein Melodram, jedenfalls als meist vergnügliches Spiel mit den Lebens- und Liebesmöglichkeiten.
Seine Filme gleichen daher oft Versuchsanordnungen, die die Strukturen des Lebens erfassen sollen. Hinter allem aber, sozusagen als die geheime Lebenslinie, liegt eine fein gesponnen Textur des sexuellen Begehrens, weshalb das friedliche Lächeln des Großvaters nach Charlottes Besuch, sie bezeichnet sich als sehr religiös, gar nicht so ein großes Rätsel ist.
""Er hat Sie am Fußende seines Bettes tanzen sehen. - Tanzen? - Nackt - Tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen dürfen. Ist ja furchtbar unangenehm für Sie. - Nackt getanzt? - Ja - und das ist nicht alles, glauben Sie mir. Die Liste ist lang. Dinge, die man nicht erzählen sollte. Vor allem nicht Ihnen, Charlotte. "