Selbst kleinste Mengen Erdnuss im Hausstaub oder in der Luft können schwere Reaktionen wie Atemnot oder Kreislaufversagen auslösen. Das Allergen bekommt daher zu Recht große Aufmerksamkeit findet Dr. Lars Lange. Er ist Kinderarzt am St. Marien Hospital in Bonn und auf Nahrungsmittelallergien spezialisiert.
"Also tatsächlich weiß man, dass die Allergie gegen Erdnuss deutlich gefährlicher ist als andere. Es gibt einige Studien aus den USA, dass die Erdnuss das häufigste tödlichste Allergen ist. Und auch bei uns, wenn man sich die schweren allergischen Reaktionen anguckt, bei Kindern und Jugendlichen, steht die Erdnuss mit weitem Abstand als das Allergen da, das die meisten allergischen Reaktionen hervorruft, gefolgt interessanterweise von Haselnuss und Cashew."
Wegweisende Studie stellt bisherige Theorien auf den Kopf
Wissenschaftler untersuchen deshalb seit einiger Zeit, wie dieser schweren Allergie besser vorgebeugt werden kann. Als wegweisend gilt dabei die sogenannte LEAP-Studie, die Anfang 2015 im Fachblatt New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Sie stellt das vorherige Denken auf den Kopf. Kinder mit hohem Risiko für eine Erdnussallergie profitieren demnach davon, wenn sie möglichst früh erdnusshaltige Nahrung bekommen. Sie entwickelten in der Studie weniger Allergien als Kinder, die sich bis zum fünften Lebensjahr ausschließlich ohne Erdnuss ernährten.
"Weltweit wurde diese Studie, die wirklich interessant ist und faszinierend ist, so gefeiert, dass überall Empfehlungen rausgegeben wurden, die gesagt haben: Boah, jetzt müssen wir allen Kindern früh Erdnuss geben."
So auch kürzlich in den USA: Die bestehende Leitlinie zu Nahrungsmittelallergien wurde am 5. Januar aktualisiert. Sie gibt nun konkrete Empfehlungen, wann Eltern ihre Kinder das erste Mal mit Erdnussallergenen in Kontakt bringen sollen. Unterschieden werden dort drei Gruppen, für die jeweils eigene Empfehlungen gelten.
Kinder mit Allergierisiko sollen früh erdnusshaltige Nahrung essen
Zur ersten Gruppe zählen Kinder mit hohem Risiko für eine Erdnussallergie – also solche, die schon eine Allergie gegen Hühnerei oder heftige allergische Hautausschläge haben. Diesen sollten Eltern nach einem negativen Allergietest schon ab dem vierten bis sechsten Monat regelmäßig erdnusshaltige Nahrung füttern. In der US-Leitlinie gilt zusammenfassend: Je höher das Risiko des Kleinkindes, desto eher sollte Erdnuss gegeben werden.
Alastair Sutcliffe ist Professor für Pädiatrie am University College in London und sieht die USA mit ihrer neuen Leitlinie in einer Vorreiterposition.
"Die Ergebnisse der LEAP-Studie sind sehr wichtig. Es ist daher wissenschaftlich fundiert, dass die Amerikaner ihre Leitlinie überarbeitet haben. Und das ist gut so. Denn mit dieser Veröffentlichung geben sie allen anderen ein Signal: Das ist der Weg, den wir gehen müssen."
Trotz der Schlagkraft der zugrunde liegenden Studie stellt sich die Frage, inwiefern die Ergebnisse auch für andere Länder gelten und konkret in Leitlinien aufgenommen werden sollten. Für Deutschland beispielsweise fehlen noch offizielle Zahlen für die Wahrscheinlichkeit, eine Erdnussallergie zu bekommen. Während man in Großbritannien von einer Wahrscheinlichkeit von ein bis zwei Prozent ausgeht, schätzt sie Lars Lange für Deutschland auf circa 0,5 Prozent. Hierzulande entwickelt momentan also circa eines von 200 Kindern eine Erdnussallergie.
"Hier in Deutschland waren wir ein bisschen vorsichtiger und haben gesagt: 'Hm, wir wissen ja gar nicht so genau, ob das hier auch gilt, weil wir eben ganz andere Zahlen an Erdnussallergien haben. Vielleicht führt das auch zu Erdnussallergien, wenn alle Kinder auf einmal Erdnüsse essen, die vorher keinen Kontakt gehabt hätten mit Erdnüssen.' Dementsprechend betrachten wir das jetzt nicht so ganz global, wie die Amerikaner das vielleicht empfehlen."
Präventionsleitlinie könnte auch in Deutschland geändert werden
Hierzulande gilt weiterhin die S3-Präventionsleitlinie aus dem Jahr 2014, also aus Zeiten vor der wichtigen LEAP-Studie. Der Bonner Kinderarzt ist sich aber sicher: In der nächsten Auflage der Leitlinie wird die Studie sicher berücksichtigt. Ob und wie eine explizite Empfehlung wie in den USA auch in Deutschland ausgesprochen wird, bleibt noch offen.
Sicher ist aber auch jetzt schon: Es ist nicht zu empfehlen, den Kontakt zu Nahrungsmittelallergenen, also auch zu Erdnüssen, im Kindesalter zu unterbinden. Das könnte eine Allergie sogar erst entstehen lassen. Eltern, die Kleinkinder mit einem hohen Risiko für eine Erdnussallergie haben, empfehlen Experten den Besuch bei einem Allergologen. Fällt der Allergietest negativ aus, sollte Ihnen vorbeugend zum Beispiel Erdnussbrei gefüttert werden – und zwar mehrmals pro Woche.