"Heilignüchtern" ist dieser "Parsifal" von Hartmut Haenchen gedeutet. Selten, aber dann um so zwingender, muss man auf das Wort in Friedrich Hölderlins Gedicht "Hälfte des Lebens" zurückgreifen, um etwas zu beschreiben, das so ganz und gar unpathetisch, schlicht, still und leise auftritt und dennoch oder gerade deswegen so wundersam und jenseitig wirkt. Eben wie ein glatter kühler See im Herbst, der die Hitze des Sommers und die organischen Gärungsprozesse des Lebens hinter sich hat. Die Erinnerungsstoffe haben sich am Grund abgesetzt, das Wasser ist wieder klar. So hat auch Haenchen die Partitur des Bühnenweihfestspiels gefiltert und die Feststoffe, um nicht zu sagen: die Fäulnis einer einseitigen Deutungstradition beseitigt. Hier wird nichts mehr zelebriert, der kunstreligiöse Dampf, das Leidens- und Mitleidspathos sind abgesaugt. Es geht nur noch um reine Klang- und Motivverwandlung, akustische Transsubstantiation ohne größere Aufregung.
Hartmut Haenchen hat jedoch keinen eigenen Parsifal-Klang erfunden, sondern nur versucht die Komposition im Sinne Wagners, nach dessen Probeanweisungen bei der Uraufführung 1882 und unter Zuhilfenahme anderer Wagner-Dokumente zu gestalten. Das betrifft vor allem das Tempo. Die Uraufführung hatte vier Stunden und vier Minuten gedauert, im 20. Jahrhundert dehnten Toscanini, Furtwängler und Levine auf bis zu vier Stunden und 42 Minuten. Hartmut Haenchen dagegen beschleunigt auf drei Stunden und 55 Minuten, also eine dreiviertel Stunde kürzer als Toscanini. Und keine einzige Sekunde hat man das Gefühl, dass gehetzt oder eilig über etwas hinweggegangen wird, im Gegenteil: Ruhe und Maß für diese Musik des Übergangs wirken natürlich und lebendig. Alles Breite macht Haenchen schlank, alles Laute leise. Wagner-Diät in Paris. Und das bekommt dem Stück sehr gut. Orchester, Gesang, Schauspiel und Szenerie kommunizieren wieder auf Augenhöhe. Der Text wird verständlicher, die Musik will nicht mehr überrumpeln oder den Verstand einnebeln, sondern uns fast kammermusikalisch zur ästhetischen Einsicht führen. Auch kleine Veränderungen dienen dazu, etwa indem das Vibrato über manche Strecken fast ganz herausgenommen wird. Leider nicht im Gesang, der aber dennoch mit Franz Josef Selig einen wohlklingenden Gurnemanz fand.
Alexander Marco-Buhrmester als Amfortas, Evgeny Nikitin als Klingsor, Waltraut Meier als Kundry und Christopher Ventris als Parsifal spielten und sangen im Sinne der musikalischen Verschlankung gut mit.
Wobei sich Waltraut Meier im zweiten Aufzug etwas schwer tat. Ihr hochdramatischer Sopran wurde bei so viel Enthaltsamkeit in den plötzlichen lauten Höhen eng und schrill.
Schlimmes war bei der Inszenierung zu befürchten gewesen. Krystof Warlikowski hatte kürzlich in München Tschaikowskis "Eugen Onegin" gnadenlos auf homoerotisch getrimmt. Bei der Männergesellschaft der Gralsburg im "Parsifal" hätte derselbe Zugriff nahe gelegen. Aber Gott sei dank hat Warlikowski die Finger davon gelassen. Die Gralsburg ist bei ihm ein Internat oder eine Hochschule unserer Tage. Der normale Gralsritter ist Student und hört den Professoren, Gurnemanz, Amfortas und so weiter, zu. Die Leibfeindlichkeit des Campussystems rächt sich, immer mehr laufen zum Lustbetrieb des Klingsor über, der ebenfalls totalitär regiert wird. Vor dem dritten Aufzug, wenn also Klingsors Reich am Boden und die Gralsgemeinschaft in Agonie liegen, lässt Warlikowski einen Schwarzweißfilm projizieren. Ein Junge geht durch die Trümmerlandschaft einer im Zweiten Weltkrieg zerstörten Stadt. Der dritte Aufzug spielt dann in der Szenerie der Trümmerliteratur. Wenn Parsifal jetzt die Führung der Schule übernimmt, wird er aber nicht zum neuen Führer. Die Volksgemeinschaft der Gralsritter ist aus dem Blickfeld verbannt, und Parsifal, Kundry, Amfortas und Gurnemanz versöhnen sich bei Kerzenschein und Rotwein zu einem sympathischen Freundeskreis. Die Väter und ihre Ideologien sind tot. Es lebe die Toscanafraktion. Das ist stimmig inszeniert und aktuell für einen polnischen Regisseur, dem die kommunistische Diktatur noch im Magen liegt. Dennoch ist das Großereignis in Paris die Musik.
Hartmut Haenchen hat jedoch keinen eigenen Parsifal-Klang erfunden, sondern nur versucht die Komposition im Sinne Wagners, nach dessen Probeanweisungen bei der Uraufführung 1882 und unter Zuhilfenahme anderer Wagner-Dokumente zu gestalten. Das betrifft vor allem das Tempo. Die Uraufführung hatte vier Stunden und vier Minuten gedauert, im 20. Jahrhundert dehnten Toscanini, Furtwängler und Levine auf bis zu vier Stunden und 42 Minuten. Hartmut Haenchen dagegen beschleunigt auf drei Stunden und 55 Minuten, also eine dreiviertel Stunde kürzer als Toscanini. Und keine einzige Sekunde hat man das Gefühl, dass gehetzt oder eilig über etwas hinweggegangen wird, im Gegenteil: Ruhe und Maß für diese Musik des Übergangs wirken natürlich und lebendig. Alles Breite macht Haenchen schlank, alles Laute leise. Wagner-Diät in Paris. Und das bekommt dem Stück sehr gut. Orchester, Gesang, Schauspiel und Szenerie kommunizieren wieder auf Augenhöhe. Der Text wird verständlicher, die Musik will nicht mehr überrumpeln oder den Verstand einnebeln, sondern uns fast kammermusikalisch zur ästhetischen Einsicht führen. Auch kleine Veränderungen dienen dazu, etwa indem das Vibrato über manche Strecken fast ganz herausgenommen wird. Leider nicht im Gesang, der aber dennoch mit Franz Josef Selig einen wohlklingenden Gurnemanz fand.
Alexander Marco-Buhrmester als Amfortas, Evgeny Nikitin als Klingsor, Waltraut Meier als Kundry und Christopher Ventris als Parsifal spielten und sangen im Sinne der musikalischen Verschlankung gut mit.
Wobei sich Waltraut Meier im zweiten Aufzug etwas schwer tat. Ihr hochdramatischer Sopran wurde bei so viel Enthaltsamkeit in den plötzlichen lauten Höhen eng und schrill.
Schlimmes war bei der Inszenierung zu befürchten gewesen. Krystof Warlikowski hatte kürzlich in München Tschaikowskis "Eugen Onegin" gnadenlos auf homoerotisch getrimmt. Bei der Männergesellschaft der Gralsburg im "Parsifal" hätte derselbe Zugriff nahe gelegen. Aber Gott sei dank hat Warlikowski die Finger davon gelassen. Die Gralsburg ist bei ihm ein Internat oder eine Hochschule unserer Tage. Der normale Gralsritter ist Student und hört den Professoren, Gurnemanz, Amfortas und so weiter, zu. Die Leibfeindlichkeit des Campussystems rächt sich, immer mehr laufen zum Lustbetrieb des Klingsor über, der ebenfalls totalitär regiert wird. Vor dem dritten Aufzug, wenn also Klingsors Reich am Boden und die Gralsgemeinschaft in Agonie liegen, lässt Warlikowski einen Schwarzweißfilm projizieren. Ein Junge geht durch die Trümmerlandschaft einer im Zweiten Weltkrieg zerstörten Stadt. Der dritte Aufzug spielt dann in der Szenerie der Trümmerliteratur. Wenn Parsifal jetzt die Führung der Schule übernimmt, wird er aber nicht zum neuen Führer. Die Volksgemeinschaft der Gralsritter ist aus dem Blickfeld verbannt, und Parsifal, Kundry, Amfortas und Gurnemanz versöhnen sich bei Kerzenschein und Rotwein zu einem sympathischen Freundeskreis. Die Väter und ihre Ideologien sind tot. Es lebe die Toscanafraktion. Das ist stimmig inszeniert und aktuell für einen polnischen Regisseur, dem die kommunistische Diktatur noch im Magen liegt. Dennoch ist das Großereignis in Paris die Musik.