Jochen Spengler: Gestern ist Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zurückgetreten. Die Bundesregierung will heute Abend im kleinen Kreis über seine Nachfolge beraten. Vor zehn Jahren hatte ihn Gerhard Schröder zum Bahn-Chef gemacht, hatte Hartmut Mehdorn den nach eigenen Worten zweitverrücktesten Job der Republik anvertraut. Damals galt die Bahn als marode und sanierungsreif. Mehdorn sanierte, sorgte für schwarze Zahlen und steuerte die Bahn Richtung Börsengang, Richtung Privatisierung. Daraus wurde nichts, aber das überstand Mehdorn ebenso wie den Machtkampf mit den Lokführern, das Problem mit den ICE-Achsen, das Hin und Her mit dem geplanten Bedienzuschlag, den Gegenwind der Öffentlichkeit, den Abgleich von Mitarbeiterdaten und denen von Lieferanten. Dann wurde eine neue Datenaffäre bekannt, wonach Mitarbeiter-E-Mails überwacht und Gewerkschafts-E-Mails gelöscht wurden. Gestern gab der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn auf – ohne Einsicht.
O-Ton Hartmut Mehdorn: "Es handelt sich hier nicht um einen Datenskandal, sondern um eine Kampagne zur Veränderung der Unternehmensführung und der Unternehmenspolitik. Anders kann ich das nicht werten."
Spengler: So weit Hartmut Mehdorn. – Am Telefon ist nun der Publizist Hugo Müller-Vogg, der den Bahn-Chef gut kennt und der vor zwei Jahren eine Gesprächsbiographie über ihn verfasst hat, deren Titel lautet "Diplomat wollte ich nie werden". Guten Morgen, Herr Müller-Vogg.
Hugo Müller-Vogg: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Hartmut Mehdorn hat im Laufe der zehn Jahre viel überstanden. Warum hat er am Ende doch aufgegeben?
Müller-Vogg: Weil er, glaube ich, gespürt hat, dass er nicht mehr den notwendigen politischen Rückhalt hat, den ein Bahn-Chef braucht, denn das Unternehmen ist ja doch eine halbstaatliche Institution, auch wenn sie formal privatisiert wurde. Hartmut Mehdorn war ein Mann der SPD, ein Mann Gerhard Schröders. Die SPD hat mit der Bahnpolitik Schröders ebenso gebrochen, wie sie mit der Agenda 2010 gebrochen hat. Dieser Kurs der Bahn ist nicht mehr im Sinne der SPD. Und die Kanzlerin stand vor der Frage, ob sie einen Mann stützt, der in der Bevölkerung nicht sonderlich mehr angesehen ist, und ich glaube, die Befürchtung im Kanzleramt war, wenn wir jetzt an Mehdorn festhalten, dann denken die Leute noch, das sei ein CDU-Mitglied und das geht dann sozusagen zu Lasten der Union.
Spengler: Die Kanzlerin hat lange an ihm festgehalten, weil sie nach der Wahl den Bahn-Chef gerne besetzen wollte ohne Mitsprache der SPD, oder?
Müller-Vogg: Also, ich weiß ja auch nicht, wie die Wahl ausgeht, aber die Kanzlerin hat an Mehdorn festgehalten, weil die Union den Kurs, der bei der Bahn von Mehdorn eingeschlagen worden ist, im Grunde unterstützt.
Spengler: Sie haben gesagt, die Politik hat sich abgewandt. Vorher hatten sich auch die Gewerkschaften abgewandt. Wie relevant war das?
Müller-Vogg: Ich glaube, mit der Rückendeckung der Politik hätte er den Konflikt mit den Gewerkschaften überstehen können.
Spengler: Das heißt, die Gewerkschaften waren nicht so relevant, aber man muss sagen, Mehdorn hatte lange Jahre die Rückendeckung der Mitarbeiter.
Müller-Vogg: Ja. Er war ja jemand, der die Bahn reformiert hat und dabei es geschafft hat, dass die Mitarbeiter mit an einem Strang gezogen haben. Er hat 70.000 Arbeitsplätze abgebaut, ohne eine einzige betriebsbedingte Entlassung. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen. Und da hatte er die Gewerkschaften durchaus auf seiner Seite.
Spengler: Wann kam denn der Bruch?
Müller-Vogg: Ich glaube, der Bruch kam mit dem Lokführerstreik und der Rivalität der drei Gewerkschaften im Unternehmen. Als dann die großen Gewerkschaften gesehen haben, dass die kleine Lokführergewerkschaft mit ihrer Erpressungstaktik erfolgreich war und Mehdorn da nachgeben musste, sind die großen auch auf Konfrontationskurs gegangen, und das war, glaube ich, dann doch sehr schwierig, zumal noch insgesamt in der Belegschaft nicht sehr gut ankam, dass er den früheren Vorsitzenden von TRANSNET, der größten Gewerkschaft, Hansen, in den Vorstand berufen hat. Das wurde vielfach angesehen als eine Belohnung für einen Gewerkschaftsführer, der den Kurs des Unternehmenschefs voll und ganz mitgetragen hat.
Spengler: Ich habe eben Gerhard Schröder zitiert, Herr Müller-Vogg. Der hat gesagt, der zweitverrückteste Job der Republik ist das. Wieso ist das so? Was ist so schwierig an diesem Job Bahn-Chef?
Müller-Vogg: Die Bahn ist ein ganz schwieriges Unternehmen. Das ist ein Zwitter. Das ist einerseits Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Leute sagen, die Bahn, das ist der Staat und der Staat hat für beste Leistungen zu sorgen zu möglichst geringen Preisen. Und gleichzeitig soll die Bahn diese Aufgabe wirtschaftlich erfüllen. Das ist immer ein Spagat. Eine Bahn, die jedes Dorf anfährt und nicht riesige Verluste macht, ist nicht vorstellbar, und dieser schmale Grat zwischen einer möglichst guten Bedienung der Kundenwünsche und gleichzeitig einer gewissen Wirtschaftlichkeit, das ist ein sehr schmaler Grat und die Öffentlichkeit neigt im Zweifel dazu zu sagen, die Bahn soll an jeder Milchkanne halten, was das kostet ist uns egal, solange das auf Kosten der Allgemeinheit geht.
Spengler: Weswegen fanden denn so viele Herrn Mehdorn so unsympathisch? Weswegen war er für viele ein rotes Tuch?
Müller-Vogg: Hartmut Mehdorn hat ja von sich selbst mal gesagt, er streitet sich gerne und er sage manchmal spaßeshalber, im Kollegenkreis ist irgendwo Ärger, dann gehen wir hin und streiten mit. Er ist ein Mann, der die Dinge direkt anspricht. Wir Deutschen leben ja in einer Konsensgesellschaft. Die Deutschen mögen keinen Streit. Deshalb ist ja auch die Große Koalition so beliebt, weil die mit weniger Streit verbunden ist als eine normale Regierungskonstellation mit einer starken Opposition. Da hat es jemand, der sagt was er denkt, von Vornherein schwer, und dann kommt halt noch hinzu, dass Hartmut Mehdorn ja selbst sagt, Diplomat wollte ich nie werden, man kann ein Unternehmen nicht mit Wattebäuschen an den Händen führen. Da war er manchmal dann doch etwas zu undiplomatisch. Man könnte allerdings auch sagen, er war manchmal einfach zu ehrlich.
Spengler: War er Ihnen sympathisch? Sie sind ja dicht rangekommen an ihn.
Müller-Vogg: Ich fand ihn eigentlich als sympathischen Kumpeltyp, ein Mann, der frei war von den Allüren, die manche Spitzenmanager haben, der kein Hehl daraus machte, dass er lieber zum Fußball geht als in eine Vernissage und von Schicki-Micki-Partys nichts hält, auch ein Mann, der in der Belegschaft ja in den ersten Jahren sehr gut ankam, weil er sich vor sie gestellt hat. Es gibt da Episoden, wo er in einem Zug war und wo Reisende den Schaffner angepöbelt haben, weil sie unzufrieden waren, und er sich dann dazwischen warf und vor den Schaffner stellte. Er hat immer so einen Touch gehabt, er hält zu den Schwachen und hält zu den Kleinen, und das hat ihm auch in der Belegschaft sehr viel Sympathie eingetragen.
Spengler: Was bleibt von ihm nach zehn Jahren?
Müller-Vogg: Was bleibt von Ihm? Es bleibt von ihm die Tatsache, dass er aus einer defizitären, angestaubten Beamtenbahn einen modernen, leistungsfähigen Logistikkonzern gemacht hat. Es bleibt, dass die Bahn ein Teil der Infrastruktur ist und damit auch ein Teil unserer Wirtschaftskraft. Es bleibt, dass er auf der Bahn mehr Personen, mehr Güter befördert als jemals zuvor, und es bleibt, dass er die Umstellungen geschafft hat ohne eine einzige betriebsbedingte Kündigung. Das ist, glaube ich, alles in allem keine schlechte Bilanz.
Spengler: Der Publizist Hugo Müller-Vogg im Deutschlandfunk-Gespräch über Hartmut Mehdorn. Danke, Herr Müller-Vogg.
Müller-Vogg: Gerne!
O-Ton Hartmut Mehdorn: "Es handelt sich hier nicht um einen Datenskandal, sondern um eine Kampagne zur Veränderung der Unternehmensführung und der Unternehmenspolitik. Anders kann ich das nicht werten."
Spengler: So weit Hartmut Mehdorn. – Am Telefon ist nun der Publizist Hugo Müller-Vogg, der den Bahn-Chef gut kennt und der vor zwei Jahren eine Gesprächsbiographie über ihn verfasst hat, deren Titel lautet "Diplomat wollte ich nie werden". Guten Morgen, Herr Müller-Vogg.
Hugo Müller-Vogg: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Hartmut Mehdorn hat im Laufe der zehn Jahre viel überstanden. Warum hat er am Ende doch aufgegeben?
Müller-Vogg: Weil er, glaube ich, gespürt hat, dass er nicht mehr den notwendigen politischen Rückhalt hat, den ein Bahn-Chef braucht, denn das Unternehmen ist ja doch eine halbstaatliche Institution, auch wenn sie formal privatisiert wurde. Hartmut Mehdorn war ein Mann der SPD, ein Mann Gerhard Schröders. Die SPD hat mit der Bahnpolitik Schröders ebenso gebrochen, wie sie mit der Agenda 2010 gebrochen hat. Dieser Kurs der Bahn ist nicht mehr im Sinne der SPD. Und die Kanzlerin stand vor der Frage, ob sie einen Mann stützt, der in der Bevölkerung nicht sonderlich mehr angesehen ist, und ich glaube, die Befürchtung im Kanzleramt war, wenn wir jetzt an Mehdorn festhalten, dann denken die Leute noch, das sei ein CDU-Mitglied und das geht dann sozusagen zu Lasten der Union.
Spengler: Die Kanzlerin hat lange an ihm festgehalten, weil sie nach der Wahl den Bahn-Chef gerne besetzen wollte ohne Mitsprache der SPD, oder?
Müller-Vogg: Also, ich weiß ja auch nicht, wie die Wahl ausgeht, aber die Kanzlerin hat an Mehdorn festgehalten, weil die Union den Kurs, der bei der Bahn von Mehdorn eingeschlagen worden ist, im Grunde unterstützt.
Spengler: Sie haben gesagt, die Politik hat sich abgewandt. Vorher hatten sich auch die Gewerkschaften abgewandt. Wie relevant war das?
Müller-Vogg: Ich glaube, mit der Rückendeckung der Politik hätte er den Konflikt mit den Gewerkschaften überstehen können.
Spengler: Das heißt, die Gewerkschaften waren nicht so relevant, aber man muss sagen, Mehdorn hatte lange Jahre die Rückendeckung der Mitarbeiter.
Müller-Vogg: Ja. Er war ja jemand, der die Bahn reformiert hat und dabei es geschafft hat, dass die Mitarbeiter mit an einem Strang gezogen haben. Er hat 70.000 Arbeitsplätze abgebaut, ohne eine einzige betriebsbedingte Entlassung. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen. Und da hatte er die Gewerkschaften durchaus auf seiner Seite.
Spengler: Wann kam denn der Bruch?
Müller-Vogg: Ich glaube, der Bruch kam mit dem Lokführerstreik und der Rivalität der drei Gewerkschaften im Unternehmen. Als dann die großen Gewerkschaften gesehen haben, dass die kleine Lokführergewerkschaft mit ihrer Erpressungstaktik erfolgreich war und Mehdorn da nachgeben musste, sind die großen auch auf Konfrontationskurs gegangen, und das war, glaube ich, dann doch sehr schwierig, zumal noch insgesamt in der Belegschaft nicht sehr gut ankam, dass er den früheren Vorsitzenden von TRANSNET, der größten Gewerkschaft, Hansen, in den Vorstand berufen hat. Das wurde vielfach angesehen als eine Belohnung für einen Gewerkschaftsführer, der den Kurs des Unternehmenschefs voll und ganz mitgetragen hat.
Spengler: Ich habe eben Gerhard Schröder zitiert, Herr Müller-Vogg. Der hat gesagt, der zweitverrückteste Job der Republik ist das. Wieso ist das so? Was ist so schwierig an diesem Job Bahn-Chef?
Müller-Vogg: Die Bahn ist ein ganz schwieriges Unternehmen. Das ist ein Zwitter. Das ist einerseits Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Leute sagen, die Bahn, das ist der Staat und der Staat hat für beste Leistungen zu sorgen zu möglichst geringen Preisen. Und gleichzeitig soll die Bahn diese Aufgabe wirtschaftlich erfüllen. Das ist immer ein Spagat. Eine Bahn, die jedes Dorf anfährt und nicht riesige Verluste macht, ist nicht vorstellbar, und dieser schmale Grat zwischen einer möglichst guten Bedienung der Kundenwünsche und gleichzeitig einer gewissen Wirtschaftlichkeit, das ist ein sehr schmaler Grat und die Öffentlichkeit neigt im Zweifel dazu zu sagen, die Bahn soll an jeder Milchkanne halten, was das kostet ist uns egal, solange das auf Kosten der Allgemeinheit geht.
Spengler: Weswegen fanden denn so viele Herrn Mehdorn so unsympathisch? Weswegen war er für viele ein rotes Tuch?
Müller-Vogg: Hartmut Mehdorn hat ja von sich selbst mal gesagt, er streitet sich gerne und er sage manchmal spaßeshalber, im Kollegenkreis ist irgendwo Ärger, dann gehen wir hin und streiten mit. Er ist ein Mann, der die Dinge direkt anspricht. Wir Deutschen leben ja in einer Konsensgesellschaft. Die Deutschen mögen keinen Streit. Deshalb ist ja auch die Große Koalition so beliebt, weil die mit weniger Streit verbunden ist als eine normale Regierungskonstellation mit einer starken Opposition. Da hat es jemand, der sagt was er denkt, von Vornherein schwer, und dann kommt halt noch hinzu, dass Hartmut Mehdorn ja selbst sagt, Diplomat wollte ich nie werden, man kann ein Unternehmen nicht mit Wattebäuschen an den Händen führen. Da war er manchmal dann doch etwas zu undiplomatisch. Man könnte allerdings auch sagen, er war manchmal einfach zu ehrlich.
Spengler: War er Ihnen sympathisch? Sie sind ja dicht rangekommen an ihn.
Müller-Vogg: Ich fand ihn eigentlich als sympathischen Kumpeltyp, ein Mann, der frei war von den Allüren, die manche Spitzenmanager haben, der kein Hehl daraus machte, dass er lieber zum Fußball geht als in eine Vernissage und von Schicki-Micki-Partys nichts hält, auch ein Mann, der in der Belegschaft ja in den ersten Jahren sehr gut ankam, weil er sich vor sie gestellt hat. Es gibt da Episoden, wo er in einem Zug war und wo Reisende den Schaffner angepöbelt haben, weil sie unzufrieden waren, und er sich dann dazwischen warf und vor den Schaffner stellte. Er hat immer so einen Touch gehabt, er hält zu den Schwachen und hält zu den Kleinen, und das hat ihm auch in der Belegschaft sehr viel Sympathie eingetragen.
Spengler: Was bleibt von ihm nach zehn Jahren?
Müller-Vogg: Was bleibt von Ihm? Es bleibt von ihm die Tatsache, dass er aus einer defizitären, angestaubten Beamtenbahn einen modernen, leistungsfähigen Logistikkonzern gemacht hat. Es bleibt, dass die Bahn ein Teil der Infrastruktur ist und damit auch ein Teil unserer Wirtschaftskraft. Es bleibt, dass er auf der Bahn mehr Personen, mehr Güter befördert als jemals zuvor, und es bleibt, dass er die Umstellungen geschafft hat ohne eine einzige betriebsbedingte Kündigung. Das ist, glaube ich, alles in allem keine schlechte Bilanz.
Spengler: Der Publizist Hugo Müller-Vogg im Deutschlandfunk-Gespräch über Hartmut Mehdorn. Danke, Herr Müller-Vogg.
Müller-Vogg: Gerne!