Frühling liegt in der Luft. Doch in der Hamburger Admiralitätsstrasse 54 ist davon wenig zu spüren. In der obersten Etage des Hauses öffnet Ursula Caberta schwungvoll die Türen zu ihren Büroräumen. In der einen Hand ein Telefon, in der anderen das Handy, die Haare leicht zersaust, platziert sie ihre Besucher an einen runden Tisch und verschwindet wieder in einen anderen Raum. Überall ist englisches Stimmengewirr zu hören, die Luft ist schwer von Zigarettenqualm - die Spannung ist förmlich greifbar. Ursula Caberta leitet die Arbeitsgruppe Scientology des Hamburger Innensenats und steht heute mächtig unter Strom.
Die jährliche Arbeitstagung steht bevor, mit hochrangigen prominenten Scientology-Aussteigern und ausgerechnet jetzt lädt die Hamburger Scientology-Organisation zu einer Pressekonferenz ein und droht, Ursula Caberta zu verklagen - schon wieder. Dieses Mal, weil sie ein Filmteam beraten hat. Für einen Spielfilm. "Bis nichts mehr bleibt" wird kommenden Mittwoch in der ARD ausgestrahlt:
"Liebe Freunde, wir haben Euch eine Botschaft mitgebracht aus Flag. Produziert mehr, verbessert eure Statistiken, arbeitet noch mehr nach Policy. Nur so können wir unser großes Ziel erreichen: Clear Germany!"
Der Film erzählt die Geschichte eines Aussteigers, der Frau und Kind durch Scientology verliert. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Scientology ist in Deutschland seit Anfang der 70er-Jahre aktiv. Seitdem ist die Organisation, die sich selber als Kirche bezeichnet, immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil Aussteiger und das Bundesamt für Verfassungsschutz der Gruppe demokratiefeindliche und menschenverachtende Praktiken vorwerfen.
Scientology stellte der Presse am Donnerstag - als Antwort auf den ARD-Spielfilm - einen eigenen 40-minütigen Film vor, der belegen soll: Es handelt sich nur um eine groß angelegte Kampagne gegen die Scientology-Kirche. Der Aussteiger habe die Trennung von Frau und Kind selber provoziert, er sei eigenverantwortlich für das, was geschehen sei. Gegen den Spielfilm will Scientology aber nicht klagen; dafür gegen die Stadt Hamburg, als Arbeitgeberin von Ursula Caberta. Die lächelt bei dieser Ankündigung. Seit fast 17 Jahren macht sie den Job und kennt diese Drohungen zur Genüge.
"Dass es irgendwelche Reaktionen gab war ja klar. Es war ja von Anfang an was, wo man die Macher des Films nur loben kann von Anfang an, sehr klar, dass man so lange wie möglich das unterm Deckel halten muss, damit nicht schon während der Dreharbeiten oder wegen sonstiger Geschichten Störmanöver sind und sie haben das wohl ziemlich verpennt und jetzt reagieren sie entsprechend wie immer."
Erstmals beschäftigt sich nun ein Spielfilm kritisch mit der Organisation - zur Freude der Aussteiger, die bei der Jahrestagung in Hamburg dabei sind. Obwohl: Die Geschichte des deutschen Filmes ist im Verhältnis fast noch harmlos zu dem, was sie selbst erlebt haben während ihrer Zeit bei Scientology.
Hana Withfield ist eine zierliche Frau. Mit Bedacht faltet sie ihre Hände und schaut aufmerksam ihr Gegenüber an. Sie gehört zu denen, die den Gründer von Scientology, Lafayette Ron Hubbard, hautnah erlebt haben. Die junge Krankenschwester aus Simbabwe ist Mitte der 60er-Jahre fasziniert von Hubbards Standardbuch "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand". Sie schließt sich Scientology an und steigt schnell in der Hierarchie auf. Sie wird Kapitän eines Kommandoschiffes, von dem aus Hubbard teilweise seine Organisation geführt hat. Doch die anfängliche Faszination verschwindet bald:
"Er bekam sehr leicht einen Schreianfall. Das wurde bei ihm schnell ausgelöst. Er bekam Wutanfälle, die Stunden anhielten und durch Kleinigkeiten ausgelöst wurden. Ich lernte sehr schnell, dass ich ihm nicht vertrauen konnte, was er als nächstes tun würde. Gleichzeitig verzieh ich ihm, denn schließlich wusste er ja, was er tat, und ich hatte kein Recht einen Mann zu hinterfragen, der spirituell so fortgeschritten war, wie er."
Der spirituelle Hubbard entpuppt sich in Hana Withfields Augen bald als unnachgiebiger und strenger Führer.
"Ein anderes Mal steckte er Leute, die ungehorsam waren, in die alten Wassertanks des Schiffes. Diese Tanks waren leer und nicht mehr in Gebrauch, alt und rostig und die alte Farbe war noch an den Innenwänden. Die Leute mussten einen, zwei, drei, vier und manche sogar sechs Tage und Nächte die Farbe von den Wänden kratzen. Es war ihnen nicht erlaubt zu schlafen. Sobald einer einzudösen drohte, schlug der Wächter mit einem Eisenstab über die Metallwände."
Hubbard ist offenbar durchaus erfindungsreich, wenn es darum geht, vermeintlich ungehorsame Scientologen zu bestrafen:
"Die Leute wurden zur Bestrafung für zwei, drei, vier Tage und Nächte in einen Kettenschrank gesperrt. Es gab wenig zu Essen, kein Toilettenpapier und es war ihnen nicht erlaubt ins Badezimmer zu gehen, sie mussten dort machen. Sie konnten sich nicht die Hände waschen, gar nichts. Nachts war es in diesem großen Metall-Schrank, wo all die Schiffsketten untergebracht waren, sehr kalt. Extra Anziehsachen oder Decken bekamen sie nicht."
Damals beginnt Hana Withfield zu zweifeln: an Hubbards Verhalten und an der Lehre selbst. Mittlerweile ist sie zu einem sogenannten Operierenden Thetan der Stufe drei ernannt worden, ist also schon recht weit auf der scientologischen Erfolgsleiter aufgestiegen. Was sie nun lernt, lässt sie stutzig werden. Denn nach der Lehre Hubbards ist jeder Mensch von vielen, vielen Außerirdischen Seelen "besetzt", diese gelte es eine nach der anderen "auszutreiben". Also zweifelt sie nicht an Scientology - sie zweifelt an sich selbst:
"Aber wenn ich daran zweifele, dann war es mein Fehler zu zweifeln. Es war immer mein Fehler, mein Fehler, mein Fehler."
Hana Withfield bekommt damals Kopfschmerzen, die immer wiederkehren - aus scientologischer Sicht ein weiteres Zeichen dafür, dass sie noch nicht weit genug ist, nicht alles verinnerlicht hat, was Hubbard lehrt. Die Kopfschmerzen werden unerträglich.
"Ich habe nicht verstanden, dass das meine Kopfschmerzen verursacht hat: ein Kampf zwischen meinem Willen, zu verstehen und diese Dinge loszuwerden. 1982 ging es mir so schlecht, dass ich Selbstmordgedanken entwickelte. Ich bekam Panikattacken und wusste, dass ich nicht den Gedanken verlieren durfte, zu gehen. Andernfalls wäre ich wirklich in Versuchung geraten, vom Gebäude in Clearwater zu springen. Ich weiß nicht, warum ich es nicht getan haben, aber ich ging hoch in den 13. Stock, schaute nach unten und sagte mir: Das ist der einzige Weg, damit die Kopfschmerzen aufhören."
Hana Withfield verlässt Scientology 1984, nach fast 20 Jahren Mitgliedschaft, und steht damit vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie hat nichts mehr: keine Freunde, kein Geld, keine Arbeit. Vier Jahre nach ihrem Ausstieg lernt sie ihren heutigen Mann kennen. Sie werden engagierte Kritiker und unterstützen über 15 Jahre lang Menschen, die auch einen Weg aus Scientology heraussuchen.
"Scientology mochte das natürlich nicht. Sie verfolgten uns mit Privatdetektiven, verklagten uns und drohten uns - es war schrecklich. 15 Jahre später habe ich zu meinem Mann gesagt: Ich kann das nicht mehr aushalten."
Heute engagiert sie sich dennoch wieder, berichtet während der Jahrestagung der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology - die heute zu Ende gegangen ist -, was ihr widerfahren ist.
Neben ihr sitzt Mark Headly. Er war schon im vergangenen Jahr hier und schaut kämpferisch in die Runde. Der 37-Jährige mit den strahlend blauen Augen war durch seine Mutter schon als siebenjähriger zu Scientology gekommen. Vor fünf Jahren hat er den Absprung geschafft. Zu seiner Scientology-Zeit und bis heute wird die Organisation von Hubbards Nachfolger David Miscavige geleitet. Miscavige - so scheint es - führt die Traditionen des Gründers in vielfältiger Weise weiter fort.
"Als ich da war, sah ich bei vielen, vielen Gelegenheiten, wie er körperlich Menschen angriff. Er versetzte ihnen Fausthiebe, würgte sie, trat sie - und das nur, wenn man ihn verärgerte oder etwas sagte, das er nicht hören wollte, dann machte er sie fertig. Er war wie eine Zeitbombe: Man machte etwas und er hörte auf - alles könnte ihn verärgern, dann schlug er jemanden. Er kam buchstäblich in ein Meeting und begann, Menschen zu schlagen, nur weil sie etwas nicht getan hatten, von dem er gesagt hatte, dass es hätte erledigt werden müssen. Wenn das passierte, bestrafte er die Leute."
Auch er wird von Miscavige angegriffen und lässt das mehr oder minder wehrlos über sich ergehen.
"Es ist so tief verwurzelt in den Menschen, besonders bei den Mitarbeitern Scientologys, dass alles was passiert, der eigene Fehler ist. Wenn du in einen Autounfall verwickelt bist, ist es dein Fehler. Selbst wenn das nicht stimmt, du nur in deinem Auto sitzt und jemand anderes fährt in dich hinein - es ist dein Fehler. Es ist wie Karma. Du hast etwas gemacht und bekommst nun die Quittung dafür. Und sie glauben das. Also, wenn David Miscavige dich schlägt, dann hast du wohl etwas getan, womit du das verdient hast."
15 Jahre arbeitet er für Scientology, 100 Stunden in der Woche. Freie Tage oder Pausen gab es kaum, und immer nur wenige Stunden Schlaf, sagt er. Sein Stundenlohn: 38 Cent. Und seine Arbeitsbedingungen seien kein Einzelfall gewesen. Dann geschieht allerdings etwas, was Headley das Blut in den Adern gefrieren lässt.
"Im Jahr 2005 drohten sie mir an, mich in das Rehabilitation Project Force zu bringen, das ist wie ein Sklaven-, wie ein Arbeitslager, das sie betreiben. In den 15 Jahren, die ich da war, wollte ich so oft gehen. Und es bestand die ständige Gefahr, dass mir ein Unglück zustoßen würde, während ich da war. Und ich wollte gehen. Aber der Gedanke: Was passiert dir, wenn du gehst, war beinahe schlimmer, als da zu sein."
Die Aussicht in solch ein Lager zu kommen - das es nach offiziellen Scientology-Angaben nicht in dieser Form gibt - reicht dem jungen Mann. Er flieht.
"Am nächsten Morgen setzte ich mich auf mein Motorrad. Als ich davonfuhr, folgte mir das Sicherheitspersonal bis auf die Autobahn. Sie hatten einen Geländewagen, mit dem sie mich von der Straße drängten. Der einzige Grund, warum ich fliehen konnte war, dass ein Autofahrer dies sah und die Polizei rief. Zwei Polizeiautos eskortierten mich in die sechs Meilen entfernte Stadt. Und selbst dann verfolgten uns noch zwei Wagen. Die Polizei musste sie stoppen und sagen: Sie können diesen Mann nicht folgen."
Weg von Scientology macht er dieselbe Erfahrung, wie schon Hana Withfield mehr als 20 Jahre zuvor.
"Es war dem Grunde nach so, als ob mein Leben erst mit 32 Jahren begonnen hätte, alles andere bis zu diesem Zeitpunkt war genau genommen nutzlos, war weg. Ich hatte nichts: kein Geld, keine Ersparnisse, keine Ausbildung. Ich wusste noch nicht einmal, wie das wirkliche Leben funktionierte, ich hatte keine Kreditkarte, ich hatte nichts. Ich musste buchstäblich wie ein Baby alles neu lernen."
Heute ist Mark Headley verheiratet. Vor Kurzem veröffentlichte er ein Buch über seine Jahre in der Organisation. Und er verklagt Scientology, wegen der aus seiner Sicht unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Entlohnung. Eröffnet wurde das Verfahren im vergangenen Jahr, im November soll der Fall verhandelt werden.
"Selbst wenn sie eine Religion wären, macht es keinen Unterschied, ob es ein religiöses Unternehmen oder nur ein Unternehmen ist. Wer ein Unternehmen hat, muss sich auch an die entsprechenden Gesetze halten - doch sie verstecken sich hinter ihrer Religion. Aber in diesem Fall spielt die Religion nicht unbedingt eine Rolle, weil sie immer noch ein Unternehmen sind. Es geht nur ums Geld, das ist alles was sie machen. Am Ende geht es nur ums Geld."
Das ist nicht der einzige Prozess, der im Moment in den USA gegen Scientology geführt wird. Ohnehin steht der erste Mann Scientologys, David Miscavige, vermutlich unter großem Druck: Seine eigene Nichte stieg 2005 bei Scientology aus. Doch damit nicht genug: In den letzten Jahren kehrten sowohl der Geheimdienstchef als auch der Finanzchef der Organisation den Rücken. Die rechte und linke Hand von Miscavige, wie die beiden gerne genannt wurden. Und einer der beiden erhebt ebenfalls den Vorwurf, dass Miscavige Scientology-Mitglieder körperlich angreift.
"Das haben wir schon Anfang der 90er-Jahre von Aussteigern gehört. Nur in der Massivität, wie es jetzt Aussteiger formulieren, haben wir das noch nicht gehört, auch in der Menge der Aussteiger, die ähnliche oder gleiche Geschichten erzählen","
sagt Ursula Caberta. Die Situation in den Staaten wirkt sich indirekt auch auf Deutschland aus - auch hier verschlechtert sich das Image der Organisation zusehends. Zuverlässige deutsche Mitgliedszahlen gibt es nicht, aber Schätzungen vom Verfassungsschutz: 5000 bis 6000 Mitglieder sollen es sein.
Seit Mitte der 90er-Jahre wird die Organisation vom Verfassungsschutz überwacht - wogegen sie mit fast allen juristischen Mitteln vorgegangen ist. Doch seit dem Jahr 2008 ist höchstrichterlich entschieden: Scientology darf vom Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden, weil, laut Urteil, tatsächlich Anhaltspunkte dafür vorliegen, "dass in einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen die Wahrung der Menschenwürde und des Gleichbehandlungsgebots nicht gewährleistet ist".
Dabei war ein Jahr zuvor, im Jahr 2007, die Stimmung der deutschen Scientologen noch sehr optimistisch. Mit mehreren tausend Gästen wurde die neue Zentrale in Berlin eingeweiht, die zum Vorzeigeprojekt in Europa avancieren sollte. Doch die mit großem Presseinteresse begleitete Eröffnung, blieb offenbar ohne große Wirkung auf die Mitgliederzahlen, wie Scientology-Experte und Rechtsanwalt Ingo Heinemann feststellt. Wobei er deutlich zwischen den enger angebundenen Mitgliedern und den eher interessierten Anhängern unterscheidet.
""Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Scientology einen gewaltigen Aufschwung genommen hätte. Es gibt aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die gewaltig noch an Mitgliedern verloren hätten. Das wäre auch kaum möglich, weil gegenüber früher haben sie, seit sie durch den Verfassungsschutz beobachtet werden, gewaltig an Anhängern verloren - aber gewaltig! Ich würde sagen, danach hatten sie noch zehn Prozent der Anhänger, die sie vorher hatten."
Auch der Auftritt ihres Vorzeige-Prominenten, Tom Cruise, bescherte der Organisation nicht den vermutlich erhofften positiven Werbeeffekt. Als Hollywoodstar ist er wichtigstes Aushängeschild und Sympathieträger der Scientologen. Heftig umstritten war aber, dass ausgerechnet er in "Operation Walküre", den Hitler-Attentäter Stauffenberg spielte, einen Kämpfer gegen ein totalitäres System.
In den Feuilletons wurde zwar mit spitzer Feder notiert, dass ein Schauspieler nicht für seine Religion diskriminiert werden dürfe. Dass Cruise für Scientology allerdings immer wieder wirbt und eintritt, geriet dabei in den Hintergrund. Als er dann auch noch den "Mut-Bambi" verliehen bekam, stockte so manchem Scientology-Kritiker der Atem. Obwohl, sagt Ursula Caberta, im Nachhinein könne sie dem sogar noch etwas Positives abgewinnen:
"Ja, ich hab mir das angeguckt und gedacht, Tom Cruise hat seinen Job für Scientology in der Phase gut gemacht, aber ich glaube nicht, dass das dazu gleich immer führt, dass dann Scientology auch wieder positiv gesehen wurde, das denk ich führt nicht unweigerlich dazu. Allerdings, das Feuilleton war ja etwas schwierig in der Zeit, aber es hat ja dazu geführt, wenn ich Herrn Bergengruen vom SWR richtig verstanden hab, der hat gesagt: Jetzt müssen wir einen Spielfilm machen über Scientology. Also danke, Tom Cruise, hat ja gut geklappt, jetzt haben wir den Spielfilm."
Ein Film, der am nächsten Mittwoch zur besten Sendezeit in der ARD zu sehen sein wird. Hoffentlich entsteht dann wieder eine politische Debatte darüber, ob Scientology in Deutschland verboten werden sollte, meint der Scientology-Experte Ingo Heinemann, denn auch zurzeit müsse man noch vermuten, dass:
"noch eben mindestens mehrere 100, vielleicht auch mehrere 1000 Leute im Jahr gewaltig geschädigt werden durch Scientology, in der Regel hauptsächlich finanziell, aber andere auch durchaus psychisch. Unter diesem Aspekt muss man sagen, dass nach wie vor Interesse am Verbot besteht, denn die bisherigen Gesetze, die vorhandenen Gesetze, greifen da eben nicht."
Und vielleicht trägt der Spielfilm ja auch seinen Teil dazu bei, dass neben der Diskussion über die "Scientology-Kirche" im Ganzen auch das Schicksal der einzelnen Mitglieder wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt wird.
Die jährliche Arbeitstagung steht bevor, mit hochrangigen prominenten Scientology-Aussteigern und ausgerechnet jetzt lädt die Hamburger Scientology-Organisation zu einer Pressekonferenz ein und droht, Ursula Caberta zu verklagen - schon wieder. Dieses Mal, weil sie ein Filmteam beraten hat. Für einen Spielfilm. "Bis nichts mehr bleibt" wird kommenden Mittwoch in der ARD ausgestrahlt:
"Liebe Freunde, wir haben Euch eine Botschaft mitgebracht aus Flag. Produziert mehr, verbessert eure Statistiken, arbeitet noch mehr nach Policy. Nur so können wir unser großes Ziel erreichen: Clear Germany!"
Der Film erzählt die Geschichte eines Aussteigers, der Frau und Kind durch Scientology verliert. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Scientology ist in Deutschland seit Anfang der 70er-Jahre aktiv. Seitdem ist die Organisation, die sich selber als Kirche bezeichnet, immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil Aussteiger und das Bundesamt für Verfassungsschutz der Gruppe demokratiefeindliche und menschenverachtende Praktiken vorwerfen.
Scientology stellte der Presse am Donnerstag - als Antwort auf den ARD-Spielfilm - einen eigenen 40-minütigen Film vor, der belegen soll: Es handelt sich nur um eine groß angelegte Kampagne gegen die Scientology-Kirche. Der Aussteiger habe die Trennung von Frau und Kind selber provoziert, er sei eigenverantwortlich für das, was geschehen sei. Gegen den Spielfilm will Scientology aber nicht klagen; dafür gegen die Stadt Hamburg, als Arbeitgeberin von Ursula Caberta. Die lächelt bei dieser Ankündigung. Seit fast 17 Jahren macht sie den Job und kennt diese Drohungen zur Genüge.
"Dass es irgendwelche Reaktionen gab war ja klar. Es war ja von Anfang an was, wo man die Macher des Films nur loben kann von Anfang an, sehr klar, dass man so lange wie möglich das unterm Deckel halten muss, damit nicht schon während der Dreharbeiten oder wegen sonstiger Geschichten Störmanöver sind und sie haben das wohl ziemlich verpennt und jetzt reagieren sie entsprechend wie immer."
Erstmals beschäftigt sich nun ein Spielfilm kritisch mit der Organisation - zur Freude der Aussteiger, die bei der Jahrestagung in Hamburg dabei sind. Obwohl: Die Geschichte des deutschen Filmes ist im Verhältnis fast noch harmlos zu dem, was sie selbst erlebt haben während ihrer Zeit bei Scientology.
Hana Withfield ist eine zierliche Frau. Mit Bedacht faltet sie ihre Hände und schaut aufmerksam ihr Gegenüber an. Sie gehört zu denen, die den Gründer von Scientology, Lafayette Ron Hubbard, hautnah erlebt haben. Die junge Krankenschwester aus Simbabwe ist Mitte der 60er-Jahre fasziniert von Hubbards Standardbuch "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand". Sie schließt sich Scientology an und steigt schnell in der Hierarchie auf. Sie wird Kapitän eines Kommandoschiffes, von dem aus Hubbard teilweise seine Organisation geführt hat. Doch die anfängliche Faszination verschwindet bald:
"Er bekam sehr leicht einen Schreianfall. Das wurde bei ihm schnell ausgelöst. Er bekam Wutanfälle, die Stunden anhielten und durch Kleinigkeiten ausgelöst wurden. Ich lernte sehr schnell, dass ich ihm nicht vertrauen konnte, was er als nächstes tun würde. Gleichzeitig verzieh ich ihm, denn schließlich wusste er ja, was er tat, und ich hatte kein Recht einen Mann zu hinterfragen, der spirituell so fortgeschritten war, wie er."
Der spirituelle Hubbard entpuppt sich in Hana Withfields Augen bald als unnachgiebiger und strenger Führer.
"Ein anderes Mal steckte er Leute, die ungehorsam waren, in die alten Wassertanks des Schiffes. Diese Tanks waren leer und nicht mehr in Gebrauch, alt und rostig und die alte Farbe war noch an den Innenwänden. Die Leute mussten einen, zwei, drei, vier und manche sogar sechs Tage und Nächte die Farbe von den Wänden kratzen. Es war ihnen nicht erlaubt zu schlafen. Sobald einer einzudösen drohte, schlug der Wächter mit einem Eisenstab über die Metallwände."
Hubbard ist offenbar durchaus erfindungsreich, wenn es darum geht, vermeintlich ungehorsame Scientologen zu bestrafen:
"Die Leute wurden zur Bestrafung für zwei, drei, vier Tage und Nächte in einen Kettenschrank gesperrt. Es gab wenig zu Essen, kein Toilettenpapier und es war ihnen nicht erlaubt ins Badezimmer zu gehen, sie mussten dort machen. Sie konnten sich nicht die Hände waschen, gar nichts. Nachts war es in diesem großen Metall-Schrank, wo all die Schiffsketten untergebracht waren, sehr kalt. Extra Anziehsachen oder Decken bekamen sie nicht."
Damals beginnt Hana Withfield zu zweifeln: an Hubbards Verhalten und an der Lehre selbst. Mittlerweile ist sie zu einem sogenannten Operierenden Thetan der Stufe drei ernannt worden, ist also schon recht weit auf der scientologischen Erfolgsleiter aufgestiegen. Was sie nun lernt, lässt sie stutzig werden. Denn nach der Lehre Hubbards ist jeder Mensch von vielen, vielen Außerirdischen Seelen "besetzt", diese gelte es eine nach der anderen "auszutreiben". Also zweifelt sie nicht an Scientology - sie zweifelt an sich selbst:
"Aber wenn ich daran zweifele, dann war es mein Fehler zu zweifeln. Es war immer mein Fehler, mein Fehler, mein Fehler."
Hana Withfield bekommt damals Kopfschmerzen, die immer wiederkehren - aus scientologischer Sicht ein weiteres Zeichen dafür, dass sie noch nicht weit genug ist, nicht alles verinnerlicht hat, was Hubbard lehrt. Die Kopfschmerzen werden unerträglich.
"Ich habe nicht verstanden, dass das meine Kopfschmerzen verursacht hat: ein Kampf zwischen meinem Willen, zu verstehen und diese Dinge loszuwerden. 1982 ging es mir so schlecht, dass ich Selbstmordgedanken entwickelte. Ich bekam Panikattacken und wusste, dass ich nicht den Gedanken verlieren durfte, zu gehen. Andernfalls wäre ich wirklich in Versuchung geraten, vom Gebäude in Clearwater zu springen. Ich weiß nicht, warum ich es nicht getan haben, aber ich ging hoch in den 13. Stock, schaute nach unten und sagte mir: Das ist der einzige Weg, damit die Kopfschmerzen aufhören."
Hana Withfield verlässt Scientology 1984, nach fast 20 Jahren Mitgliedschaft, und steht damit vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie hat nichts mehr: keine Freunde, kein Geld, keine Arbeit. Vier Jahre nach ihrem Ausstieg lernt sie ihren heutigen Mann kennen. Sie werden engagierte Kritiker und unterstützen über 15 Jahre lang Menschen, die auch einen Weg aus Scientology heraussuchen.
"Scientology mochte das natürlich nicht. Sie verfolgten uns mit Privatdetektiven, verklagten uns und drohten uns - es war schrecklich. 15 Jahre später habe ich zu meinem Mann gesagt: Ich kann das nicht mehr aushalten."
Heute engagiert sie sich dennoch wieder, berichtet während der Jahrestagung der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology - die heute zu Ende gegangen ist -, was ihr widerfahren ist.
Neben ihr sitzt Mark Headly. Er war schon im vergangenen Jahr hier und schaut kämpferisch in die Runde. Der 37-Jährige mit den strahlend blauen Augen war durch seine Mutter schon als siebenjähriger zu Scientology gekommen. Vor fünf Jahren hat er den Absprung geschafft. Zu seiner Scientology-Zeit und bis heute wird die Organisation von Hubbards Nachfolger David Miscavige geleitet. Miscavige - so scheint es - führt die Traditionen des Gründers in vielfältiger Weise weiter fort.
"Als ich da war, sah ich bei vielen, vielen Gelegenheiten, wie er körperlich Menschen angriff. Er versetzte ihnen Fausthiebe, würgte sie, trat sie - und das nur, wenn man ihn verärgerte oder etwas sagte, das er nicht hören wollte, dann machte er sie fertig. Er war wie eine Zeitbombe: Man machte etwas und er hörte auf - alles könnte ihn verärgern, dann schlug er jemanden. Er kam buchstäblich in ein Meeting und begann, Menschen zu schlagen, nur weil sie etwas nicht getan hatten, von dem er gesagt hatte, dass es hätte erledigt werden müssen. Wenn das passierte, bestrafte er die Leute."
Auch er wird von Miscavige angegriffen und lässt das mehr oder minder wehrlos über sich ergehen.
"Es ist so tief verwurzelt in den Menschen, besonders bei den Mitarbeitern Scientologys, dass alles was passiert, der eigene Fehler ist. Wenn du in einen Autounfall verwickelt bist, ist es dein Fehler. Selbst wenn das nicht stimmt, du nur in deinem Auto sitzt und jemand anderes fährt in dich hinein - es ist dein Fehler. Es ist wie Karma. Du hast etwas gemacht und bekommst nun die Quittung dafür. Und sie glauben das. Also, wenn David Miscavige dich schlägt, dann hast du wohl etwas getan, womit du das verdient hast."
15 Jahre arbeitet er für Scientology, 100 Stunden in der Woche. Freie Tage oder Pausen gab es kaum, und immer nur wenige Stunden Schlaf, sagt er. Sein Stundenlohn: 38 Cent. Und seine Arbeitsbedingungen seien kein Einzelfall gewesen. Dann geschieht allerdings etwas, was Headley das Blut in den Adern gefrieren lässt.
"Im Jahr 2005 drohten sie mir an, mich in das Rehabilitation Project Force zu bringen, das ist wie ein Sklaven-, wie ein Arbeitslager, das sie betreiben. In den 15 Jahren, die ich da war, wollte ich so oft gehen. Und es bestand die ständige Gefahr, dass mir ein Unglück zustoßen würde, während ich da war. Und ich wollte gehen. Aber der Gedanke: Was passiert dir, wenn du gehst, war beinahe schlimmer, als da zu sein."
Die Aussicht in solch ein Lager zu kommen - das es nach offiziellen Scientology-Angaben nicht in dieser Form gibt - reicht dem jungen Mann. Er flieht.
"Am nächsten Morgen setzte ich mich auf mein Motorrad. Als ich davonfuhr, folgte mir das Sicherheitspersonal bis auf die Autobahn. Sie hatten einen Geländewagen, mit dem sie mich von der Straße drängten. Der einzige Grund, warum ich fliehen konnte war, dass ein Autofahrer dies sah und die Polizei rief. Zwei Polizeiautos eskortierten mich in die sechs Meilen entfernte Stadt. Und selbst dann verfolgten uns noch zwei Wagen. Die Polizei musste sie stoppen und sagen: Sie können diesen Mann nicht folgen."
Weg von Scientology macht er dieselbe Erfahrung, wie schon Hana Withfield mehr als 20 Jahre zuvor.
"Es war dem Grunde nach so, als ob mein Leben erst mit 32 Jahren begonnen hätte, alles andere bis zu diesem Zeitpunkt war genau genommen nutzlos, war weg. Ich hatte nichts: kein Geld, keine Ersparnisse, keine Ausbildung. Ich wusste noch nicht einmal, wie das wirkliche Leben funktionierte, ich hatte keine Kreditkarte, ich hatte nichts. Ich musste buchstäblich wie ein Baby alles neu lernen."
Heute ist Mark Headley verheiratet. Vor Kurzem veröffentlichte er ein Buch über seine Jahre in der Organisation. Und er verklagt Scientology, wegen der aus seiner Sicht unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Entlohnung. Eröffnet wurde das Verfahren im vergangenen Jahr, im November soll der Fall verhandelt werden.
"Selbst wenn sie eine Religion wären, macht es keinen Unterschied, ob es ein religiöses Unternehmen oder nur ein Unternehmen ist. Wer ein Unternehmen hat, muss sich auch an die entsprechenden Gesetze halten - doch sie verstecken sich hinter ihrer Religion. Aber in diesem Fall spielt die Religion nicht unbedingt eine Rolle, weil sie immer noch ein Unternehmen sind. Es geht nur ums Geld, das ist alles was sie machen. Am Ende geht es nur ums Geld."
Das ist nicht der einzige Prozess, der im Moment in den USA gegen Scientology geführt wird. Ohnehin steht der erste Mann Scientologys, David Miscavige, vermutlich unter großem Druck: Seine eigene Nichte stieg 2005 bei Scientology aus. Doch damit nicht genug: In den letzten Jahren kehrten sowohl der Geheimdienstchef als auch der Finanzchef der Organisation den Rücken. Die rechte und linke Hand von Miscavige, wie die beiden gerne genannt wurden. Und einer der beiden erhebt ebenfalls den Vorwurf, dass Miscavige Scientology-Mitglieder körperlich angreift.
"Das haben wir schon Anfang der 90er-Jahre von Aussteigern gehört. Nur in der Massivität, wie es jetzt Aussteiger formulieren, haben wir das noch nicht gehört, auch in der Menge der Aussteiger, die ähnliche oder gleiche Geschichten erzählen","
sagt Ursula Caberta. Die Situation in den Staaten wirkt sich indirekt auch auf Deutschland aus - auch hier verschlechtert sich das Image der Organisation zusehends. Zuverlässige deutsche Mitgliedszahlen gibt es nicht, aber Schätzungen vom Verfassungsschutz: 5000 bis 6000 Mitglieder sollen es sein.
Seit Mitte der 90er-Jahre wird die Organisation vom Verfassungsschutz überwacht - wogegen sie mit fast allen juristischen Mitteln vorgegangen ist. Doch seit dem Jahr 2008 ist höchstrichterlich entschieden: Scientology darf vom Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden, weil, laut Urteil, tatsächlich Anhaltspunkte dafür vorliegen, "dass in einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen die Wahrung der Menschenwürde und des Gleichbehandlungsgebots nicht gewährleistet ist".
Dabei war ein Jahr zuvor, im Jahr 2007, die Stimmung der deutschen Scientologen noch sehr optimistisch. Mit mehreren tausend Gästen wurde die neue Zentrale in Berlin eingeweiht, die zum Vorzeigeprojekt in Europa avancieren sollte. Doch die mit großem Presseinteresse begleitete Eröffnung, blieb offenbar ohne große Wirkung auf die Mitgliederzahlen, wie Scientology-Experte und Rechtsanwalt Ingo Heinemann feststellt. Wobei er deutlich zwischen den enger angebundenen Mitgliedern und den eher interessierten Anhängern unterscheidet.
""Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Scientology einen gewaltigen Aufschwung genommen hätte. Es gibt aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die gewaltig noch an Mitgliedern verloren hätten. Das wäre auch kaum möglich, weil gegenüber früher haben sie, seit sie durch den Verfassungsschutz beobachtet werden, gewaltig an Anhängern verloren - aber gewaltig! Ich würde sagen, danach hatten sie noch zehn Prozent der Anhänger, die sie vorher hatten."
Auch der Auftritt ihres Vorzeige-Prominenten, Tom Cruise, bescherte der Organisation nicht den vermutlich erhofften positiven Werbeeffekt. Als Hollywoodstar ist er wichtigstes Aushängeschild und Sympathieträger der Scientologen. Heftig umstritten war aber, dass ausgerechnet er in "Operation Walküre", den Hitler-Attentäter Stauffenberg spielte, einen Kämpfer gegen ein totalitäres System.
In den Feuilletons wurde zwar mit spitzer Feder notiert, dass ein Schauspieler nicht für seine Religion diskriminiert werden dürfe. Dass Cruise für Scientology allerdings immer wieder wirbt und eintritt, geriet dabei in den Hintergrund. Als er dann auch noch den "Mut-Bambi" verliehen bekam, stockte so manchem Scientology-Kritiker der Atem. Obwohl, sagt Ursula Caberta, im Nachhinein könne sie dem sogar noch etwas Positives abgewinnen:
"Ja, ich hab mir das angeguckt und gedacht, Tom Cruise hat seinen Job für Scientology in der Phase gut gemacht, aber ich glaube nicht, dass das dazu gleich immer führt, dass dann Scientology auch wieder positiv gesehen wurde, das denk ich führt nicht unweigerlich dazu. Allerdings, das Feuilleton war ja etwas schwierig in der Zeit, aber es hat ja dazu geführt, wenn ich Herrn Bergengruen vom SWR richtig verstanden hab, der hat gesagt: Jetzt müssen wir einen Spielfilm machen über Scientology. Also danke, Tom Cruise, hat ja gut geklappt, jetzt haben wir den Spielfilm."
Ein Film, der am nächsten Mittwoch zur besten Sendezeit in der ARD zu sehen sein wird. Hoffentlich entsteht dann wieder eine politische Debatte darüber, ob Scientology in Deutschland verboten werden sollte, meint der Scientology-Experte Ingo Heinemann, denn auch zurzeit müsse man noch vermuten, dass:
"noch eben mindestens mehrere 100, vielleicht auch mehrere 1000 Leute im Jahr gewaltig geschädigt werden durch Scientology, in der Regel hauptsächlich finanziell, aber andere auch durchaus psychisch. Unter diesem Aspekt muss man sagen, dass nach wie vor Interesse am Verbot besteht, denn die bisherigen Gesetze, die vorhandenen Gesetze, greifen da eben nicht."
Und vielleicht trägt der Spielfilm ja auch seinen Teil dazu bei, dass neben der Diskussion über die "Scientology-Kirche" im Ganzen auch das Schicksal der einzelnen Mitglieder wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt wird.