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"Alles, wirklich alles, über Krupp"

Krupp ist ein deutscher Mythos, allerdings mit zwei Gesichtern. Denn das Unternehmen, dass 200 Jahre Bestehen feiert, machte sein Geld zeitweise mit Waffen und rüstete auch schon einmal gegeneinander kämpfende Parteien mit Kanonen aus. Die Ausstellung "Mythos Krupp", in der Zeche Zollverein in Essen, rollt seit dem Wochenende den Mythos noch einmal auf.

Von Peter Backof |
    Was hat die Firma Krupp, gegründet 1812, mit dem Wilden Westen zu tun? Recht viel, denn Alfred Krupp - so nannte sich international der ebenfalls 1812 geborene Alfried - bestückte die Eisenbahnunternehmen Union und Central Pacific mit seinen nahtlosen Stahlrädern, versorgte anschließend zahlreiche Nationen mit Kanonen und prägte das Pickelhauben-Image der Preußen beziehungsweise Deutschen, bis heute. Heinrich Theodor Grütter:

    "Der Gründungsmythos der Firma Krupp besagt ja, dass die Firma aus kleinen Verhältnissen zum Weltkonzern gewachsen ist."

    Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhrmuseums, hat diese und andere Anekdoten drei Jahre lang gegen-recherchiert und weist, in "Mythos Krupp" nach, mit fünfzehnhundert Schaustücken, dass zum Beispiel Alfreds Vater Friedrich mit seinem Viermannbetrieb im Mittleren Westen Europas zunächst pleiteging, dass die Krupps in dieser Pampa, die noch niemand Ruhrgebiet nannte, seit Jahrhunderten gut- bis großbürgerliche Kaufleute waren, dass einige Details am Mythos Krupp so nicht ganz stimmen, wie sie kolportiert werden. Heinrich Theodor Grütter.

    "Der Mythos ist selbst produziert, der ist aus Marketing- und Verkaufserwägungen von dem eigentlichen Gründer Alfred befördert worden: Er hat ganz geschickt im 19. Jahrhundert die Neuen Medien, wie die Weltausstellung und die Fotografie, genutzt."

    Und nahezu jedes Foto von Arbeitern in seinen Hütten inszeniert oder geschönt.

    "Alfred ist ja nachts durch die Werkräume gegangen und hat auf jeder Werkbank, an der er vorbeikam, Zettelchen hinterlassen, wo draufstand: 'Mayer, morgen machen Sie das!' - Müller, morgen machen Sie das!' Das Werk und die Pflicht dafür, das war eins, das war sein Leben."

    Krupp-Biograf Thomas Rother in einer ZDF-Dokumentation. - Filme, von der populärwissenschaftlichen Dokumentation bis zum melodramatischen Spielfilm über Pflicht, Exzentrik, Homosexualität der Krupps in 200 Jahren, neben Gemälden und Dokumenten zu sehen, in Ausstellung und Begleitprogramm - am spektakulärsten vielleicht Luchino Viscontis "Die Verdammten", eine Parabel über das Verhältnis von Großindustrie und Nationalsozialismus. - 1945, einer der Tiefpunkte, 1912, der Höhepunkt. Heinrich Theodor Grütter:

    "Also das 100-jährige Firmenjubiläum ist das weltweit größte je gefeierte Jubiläum, umgerechnet hat es etwa 60 Millionen Euro verschlungen."

    Protzige Mörser und Schiffsschrauben in der Ausstellung illustrieren die Unbefangenheit, mit der man in den 1. Weltkrieg zog. Krupp beschäftigte 1918 bereits 168.000 Menschen. Karikaturen und Satiren, die vor Krieg warnen wollten, wirken kleinlaut. Und noch kleinlauter vor, während und nach dem 2. Weltkrieg. Die historische Tatsache: Krupp war ein Weltkriegskonzern mit Tausenden Zwangsarbeitern und Hitler als Kunde.

    In der Haft fragt ein junger US-Soldat Alfried, wie er angesprochen werden will, Herr von Bohlen, Herr Krupp von Bohlen und Halbach?
    Seine Antwort: Nennen Sie mich Krupp, wegen dieses Namens bin ich hier und diese Zelle ist mein Anteil am großen Krupp-Erbe.


    Heinrich Theodor Grütter:

    "Also da zahlt die Firma und der Firmeninhaber für diesen selbst geschaffenen Mythos, von dem man lange profitiert hat, weil man damit natürlich Waffen verkauft hat."

    Große Teile der Produktionsanlagen von den Besatzern gesprengt, den in der NS-Zeit unbelasteten Berthold Beitz als Manager verpflichtet, und: Neustart mit Edelstahl und Anlagenbau. Man kann mehrere Tage in dieser enzyklopädischen Ausstellung verbringen. Sie zeigt alles, wirklich alles, über Krupp. Heinrich Theodor Grütter

    "Zum Beispiel die Kartei Gustav Krupps, der Personen, die von ihm gefördert wurden, insgesamt 4000 Karteikarten. Das zeigt einen Grad an Mäzenatentum, den es wahrscheinlich, im industriellen Zuschnitt, weltweit nicht noch mal gibt."
    Krupp, ein Mythos, hier dämonisch, dort wohltätig. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts genossen die fähigsten Kruppianer Sozialleistungen "von der Wiege bis zur Bahre." - mussten dafür aber auch eine Extremform körperlicher Arbeit leisten. Mit Zangen und anderen Werkzeugen erzählt die Schau den Mythos auch aus der Perspektive der Arbeiter.