Mehrere Monate nach der umstrittenen Videoaktion #allesdichtmachen gibt es nun eine weitere, ähnliche Aktion, in der unter anderem die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sowie die mediale Berichterstatung darüber kritisiert werden. Wie schon bei #allesdichtmachen gehört der Schauspieler Volker Bruch zu den Initiatoren der neuen Aktion.
Unter dem Hashtag #allesaufdentisch wurden rund 50 Interviewclips auf einer Website online gestellt. In diesen sprechen Bruch, sein Kollege Wotan Wilke Möhring und andere Künstlerinnen und Künstler mit verschiedenen Gesprächspartnern - etwa aus der Wissenschaft - über medizinische und gesellschaftliche Aspekte der Pandemie. Die Videos tragen Titel wie "Kollektive Angststörung", "Masken", "Meinungsfreiheit", "Gekaufte Forschung", "Wahrheitsdefinition" und "Kindeswohl".
Viele prominente Namen aus #allesdichtmachen nicht dabei
"Mit zunehmender Sorge beobachten wir die Entwicklung des politischen Handelns in der Coronakrise", hieß es in einem Statement, das Bruch auch bei Instagram teilte. Mit der Aktion wolle man "denjenigen Expert*innen Gehör verschaffen, die bisher, trotz ihrer oft hohen Reputation, in der öffentlichen Debatte kaum oder gar nicht wahrgenommen wurden".
In einer Pressemitteilung teilten die Initiatoren mit, dass auch Corona-Experten wie Christian Drosten, Lothar Wieler oder Karl Lauterbach angefragt wurden, ebenso die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx. Sie seien jedoch nicht zur Mitwirkung bereit gewesen. Auch die meisten prominenten Namen von #allesdichtmachen sind diesmal nicht dabei. Dafür wird der aus der Fernsehserie "Babylon Berlin" bekannte Bruch nun im Impressum der Internetseite von #allesaufdentisch genannt - gemeinsam mit der Regisseurin Jeana Paraschiva.
Leggewie: Pluralismus braucht Qualitätskontrolle
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hat im Deutschlandfunk davor gewarnt, die Aktion pauschal zu verurteilen: "An einigen Stellen ist sie ein guter Beitrag zur Meinungsbildung. An anderen Stellen ist sie völlig daneben." Zum Impfen oder auch zur Definition von Pandemien gebe es dort interessante Beiträge. Diese könnten auch dazu beitragen, sich in der Argumentation mit Maßnahmen-Skeptikern zu stärken. Problematisch sei aber unter anderem der Gesamteindruck, der vermittelt werde: Der Name "alles auf den Tisch" könne suggerien, dass bisher Dinge unter den Tisch gefallen seien. "Ich habe da nichts gehört, was ich nicht schon mal gehört hatte", sagte Leggewie, er habe aber aus Zeitgründen auch noch nicht alle Videos angesehen. Die angesprochenen Themen, beispielsweise zur Problematik von Lockdowns und dem Schutz der Demokratie, seien auch in öffentlich-rechtlichen Medien kontrovers diskutiert worden.
Die Aktion habe zudem ein problematisches Verständnis von Meinungspluralismus. Denn eine Voraussetzung für Pluralismus sei Qualitätskontrolle – die hätten die Initiatoren aber wegfallen lassen. "Man stellt alle möglichen wissenschaftlichen Meinungen nebeneinander und damit habe ich persönlich auch ganz schlechte Erfahrungen gemacht", sagte Leggewie. So habe in den USA die Republikanische Partei über Jahre hinweg die Schädlichkeit des Rauchens geleugnet und dabei auf einzelne Forscher verwiesen. Ähnlich sei es beim Klimawandel. "Also man kann nicht irgendwelche Meinungen einfach beliebig nebeneinander stellen", sagte Leggewie. Die "dissidentische Sturheit" einzelner Wissenschaftler habe zwar in manchen Fällen Fortschritt befördert. Häufiger sei es aber so, dass solches "Querulantentum" wissenschaftlichem Fortschritt und insbesondere auch politischen Konsequenzen im Weg stünden.
Kritik an der Initiative kommt auch vom Deutschen Journalisten-Verband djv. In einem Kommentar heißt es: "Was da serviert wird, ist teilweise schwer verdaulich." Der Kommentar bezieht sich unter anderem auf den Beitrag von Bruch, der mit dem Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Michael Meyen spricht. Das Video ist untertitelt mit Sätzen wie: "Faktenchecker sind Propagandamaschinen, die sich als Journalismus verkleiden. Das gilt auch für den Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks oder den Faktenfinder der Tagesschau, die es nur gibt, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht den Pluralismus liefert, für den wir ihn eigentlich bezahlen."
Desweiteren bezieht sich der djv auf ein Video von Möhring, in dem er mit dem Rechtsanwalt und Publizisten Joachim Steinhöfel über Meinungsfreiheit spricht, die sie in Gefahr sehen. "Den Gegenbeweis liefern die Macher der Aktion gleich mit", heißt es im djv-Kommentar von Paul Eschenhagen: "Als Meinung können Meyen, Bruch, Möhring, Steinhöfel und die anderen das alles selbstverständlich verbreiten. Anders als in Ländern, in denen die Presse- und Meinungsfreiheit tatsächlich bedroht ist, verfolgt sie hierzulande niemand dafür, niemand verhaftet oder bedroht sie, niemand verbietet es."
Politologe: Aktion befeuert "schädliches Narrativ"
Nach Ansicht eines Experten für Verschwörungsideologien befeuert die Aktion ein "schädliches Narrativ". Über die Schauspielenden und Kunstschaffenden verbreiteten sich wissenschaftliche Minderheitenmeinungen über die Pandemie-Leugner-Szene hinaus, diese würden als Mehrheitspositionen dargestellt, sagte der Politikwissenschaftler Josef Holnburger der dpa. "Durch einen wissenschaftlichen Anschein werden die Beiträge aufgewertet."
In den Videos kommen einige Menschen zu Wort, die Experten auf ihrem Gebiet sind, darunter der Medizinstatistiker Gerd Antes oder der Virologe Klaus Stöhr. Ihre Stimmen wurden in der Pandemie regelmäßig in großen Medien gehört. Mehrere der Gesprächspartner sind jedoch bereits durch Äußerungen aufgefallen, die die Gefahr durch das Coronavirus verharmlosen.
Hier eine Auswahl an Interviews mit Gerd Antes und Klaus Stöhr im Dlf
Quellen: Dlf, dpa