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Allgemeine Dienstpflicht
"Der Staat soll sich mit seinem Zwang raushalten"

Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach hat den Vorschlag der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, eine allgemeine Dienstpflicht für junge Erwachsene einzuführen, als "flippige Idee" bezeichnet. Viel besser wäre es, die vorhandenen freiwilligen Dienste zu stärken, sagte Hengsbach im Dlf.

Friedhelm Hengsbach im Gespräch mit Britta Fecke | 01.12.2019
 Junge Frau neben einem Kind, das im Rollstuhl sitzt
Eine junge Frau kümmert sich um ein Kind im Rollstuhl. 40.000 meist junge Menschen absolvieren in Deutschland den Bundesfreiwilligendienst derzeit (imago stock&people)
Der jetzige Anstoß Kramp-Karrenbauers sei vergleichbar mit ihrem Vorschlag der Sicherheitszone in Syrien. "Diesen Knallkörper hat sie schon voriges Jahr losgelassen", sagte Friedhelm Hengsbach, der auch als Ökonom und Jesuit wirkt. Man habe den Eindruck, die CDU-Vorsitzende wolle ihre Umfragewerte verbessern. Jedenfalls habe sie kaum Zustimmung bei SPD und FDP gefunden.
Der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach ist einer der renommiertesten Sozialethiker Deutschlands, aufgenommen am 03.03.2013 in Köln.
Der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach (picture aliance / dpa / Horst Galuschka)
"Der Staat soll sich mit seinem Zwang heraushalten, denn die Zivilgesellschaft ist lebendig genug, um das, was der Staat falsch macht, entsprechend zu korrigieren. Sonst gebe es die Fridays-for-Future-Bewegung nicht oder die Sorge, dass die Politik nicht mehr tut, um das Klima aufrechtzuerhalten", sagte Hengsbach.
CDU-Politiker Wolfgang Bosbach
"Europarechtlich ist ein Zwangsdienst nicht erlaubt"
Für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht gebe es zahlreiche rechtliche Hürden, sagte Wolfgang Bosbach (CDU). Und selbst wenn man diese ausräumen könne, sei ein verpflichtender Dienst keine gute Idee.
"Ursachen der Spaltung liegen im politischen Versagen"
"Es wäre viel günstiger, wenn die freiwilligen Engagements, die es eh schon gibt, oder die jugendfreiwilligen Dienste gefördert und besser finanziert würden", sagte Hengsbach. "Diese Freiheit, diese selbstbestimmte Form der Wahl, sich gesellschaftlich zu betätigen, wäre viel wichtiger", meinte er. In Deutschland gibt es bereits den Bundesfreiwilligendienst, den hierzulande knapp 40.000 meist junge Menschen absolvieren.
Der soziale Zusammenhalt sei doch nicht in die Krise geraten, weil junge Menschen nicht mehr bereit seien, sich zu engagieren. Sie täten es in Lateinamerika, oder sie täten es in Deutschland - im Gesundheitsbereich auch im Pflegebereich. Hengsbach ist hingegen überzeugt: "Die Ursachen der Spaltung liegen doch im politischen Versagen, im Versagen des Staates, dass er sich treiben lässt von der Autoindustrie, den Finanzmärkten oder von denen, die die Umwelt zum Nulltarif in Anspruch nehmen."
Balance zwischen Industrielöhnen und Löhnen im Sorge-Bereich
Ansätze, um mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen, seien bereits da. Hengsbach nannte als Beispiele Bekämpfung der Alterarmut, Grundrente, Erhöhung der Mindestlöhne sowie Verbesserung der Tariflöhne im Gesundheitsbereich oder im Pflegebereich. "Es müsste eine Balance hergestellt werden zwischen den relativ hohen Industrielöhnen und denen im sozialen Bereich oder im Sorge-Bereich", so Hengsbach.