Mario Dobovisek: Im Brandenburgischen kämpfen hunderte Feuerwehrleute weiter gegen die Flammen. Die meisten von ihnen machen das freiwillig, ehrenamtlich, ohne Bezahlung. Denn Berufsfeuerwehren gibt es nur in großen Städten, und auch dort werden sie von Ehrenamtlichen unterstützt. So sind es vor allem Freiwillige Feuerwehren, die das Hilfeleistungssystem in Deutschland tragen, gemeinsam mit Ehrenamtlichen von Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz und anderen Hilfsorganisationen. Doch alle haben eines gemeinsam: Ihnen fehlen die Freiwilligen. Spätestens mit dem Aussetzen der Wehrpflicht ist das schwieriger geworden, denn damit fielen auch Ersatz- und Zivildienst weg. Mancherorts sind in den großen Einsatzfahrzeugen nur noch die Fensterplätze besetzt, scherzen die Retter ironisch. Auch in der Pflege zum Beispiel fehlt es an Personal, in Kitas, an Schulen.
Viel diskutiert wird dieser Tage unter anderem deshalb ein verpflichtendes Dienstjahr, und zwar für alle, für Männer und Frauen, und seit diesem Wochenende – so schlägt es CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer vor – auch für Flüchtlinge und Asylbewerber – zur besseren Integration, wie sie sagt.
Am Telefon begrüße ich Albrecht Broemme. Er war Chef der Berliner Feuerwehr und ist Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, des THW. Guten Morgen, Herr Broemme.
Wegfall der Wehrpflicht hat "Delle bei den Mitgliederzahlen verursacht"
Albrecht Broemme: Guten Morgen.
Dobovisek: Wie sehr fehlen den Feuerwehren und dem THW ehrenamtliche Helfer?
Broemme: Das ist regional sehr unterschiedlich. Wir wünschen uns natürlich generell ein automatisches Interesse. Das war so, als die Wehrpflicht noch bestand. Aber da kamen natürlich auch nur junge Männer, viele auf den letzten Drücker zum THW und haben gesagt, können wir nicht bei euch mitmachen, dann müssen wir nicht zur Bundeswehr. Was wir jetzt genießen sind Menschen, die aus rein freiwilligen Stücken, aus Interesse an der Aufgabe kommen, und da sind es in einigen Regionen weniger als früher. Aber wir haben es ganz gut geschafft, auch ohne Wehrpflicht, den Dienst beim THW einmal attraktiv und einmal aufrecht zu erhalten, und es ist dadurch auch die Anzahl der Frauen gestiegen, weil jetzt nicht nur Männer kommen, sondern weil wir natürlich Männer wie Frauen, Jung und Alt gleichermaßen ansprechen. Der Wegfall der Wehrpflicht war nicht der Garaus für das System, aber er hat eine Delle bei den Mitgliederzahlen verursacht, von der wir uns noch nicht ganz wieder erholt haben – mit regionalen Unterschieden.
Dobovisek: Welche Tendenz lesen Sie ab für die nächsten Jahre?
Broemme: Es heißt, die Bevölkerung nimmt ab. Wir haben immer mehr alte Menschen. Und das hat schon mal zur Folge gehabt, dass wir beim THW gesagt haben, wir lassen mal die sogenannte obere Altersgrenze, die immer 60 Jahre war (dafür gab es auch gute Gründe), völlig weg. Und die untere Altersgrenze haben wir auf sechs Jahre gesenkt, so dass wir eine Minijugend und dann das richtige THW haben. Und wir haben auch ältere Menschen, die Interesse haben zu helfen, zu arbeiten, die dann zum THW auch kommen, wenn sie vielleicht schon 50 oder 60 oder älter sind. Natürlich kann man nicht nur mit Alten arbeiten; wir brauchen auch ein paar Leute, die Sandsäcke schleppen können. Und natürlich brauchen wir immer wieder genug Leute, die überhaupt erst mal das Interesse haben und sagen, Mensch, helfen können ist gut. Spontanhelfer sind auch nett, das ist klar, aber sie haben keine Ausbildung und sie sind nur sehr begrenzt einsetzbar.
"Ich bin dafür, dass wir über das Thema Dienstpflicht nachdenken"
Dobovisek: Da hören wir auch aus der Feuerwehr zum Beispiel, dass gerade die Pflicht, die in der Vergangenheit herrschte, immer ein Einstieg dazu war, dann auch freiwillig zu bleiben. Das ist weggefallen. Sie sind vor wenigen Wochen zum Vorsitzenden einer parteiübergreifenden Initiative von Bundestagsabgeordneten gewählt worden, dem Zukunftsforum öffentliche Sicherheit. Wie lautet Ihre Empfehlung, Herr Broemme? Braucht die Zukunft der öffentlichen Sicherheit ein Dienstjahr für alle?
Broemme: Erstens einmal wäre es mein Wunsch, dass wir auch in Deutschland ein paar John McCain hätten, die mit klarer Sicht und auch mit konsequenter Haltung bestimmte Dinge durchdenken und dann auch durchsetzen. Wir haben leider das Problem, dass viele Fragen sehr politisch gestellt werden, parteipolitisch gestellt werden, und wir brauchen mehr die fachliche Begründung.
Ja, ich bin dafür, dass wir über das Thema Dienstpflicht nachdenken. Das würde eine Verfassungsänderung bedeuten. Ja, und zwar nicht nur, weil dadurch das THW und die Feuerwehr wieder mehr Leute automatisch bekämen, sondern weil wir dadurch eine gewisse Verpflichtung jedes Menschen hätten, dass er sich irgendwann mal mit dem Staat beschäftigt, in dem wir leben und dem jeder eigentlich auch ein Stückchen dienen sollte.
Das, was er wieder zurückbekommt durch die Hilfsmöglichkeiten, auch durch Dankbarkeit, das ist auch ein wunderbarer Teil, den ich vielen Menschen gönnen würde für sein Leben, so etwas zu versuchen und zu genießen.
Dobovisek: Fliegt uns das Hilfeleistungssystem in Deutschland sonst auf absehbare Zeit um die Ohren, weil ohne Pflicht weniger Freiwillige kommen?
Broemme: Dieses "wenn, dann" sehe ich so nicht, weil es auch andere Möglichkeiten gibt, Leute für das THW, für die Feuerwehr, fürs Rote Kreuz zu interessieren. Diese Wege sind natürlich mühsam. Man muss auf die Leute zugehen. Man muss ihnen sagen, dass es außer Karriere, Familie und Geld verdienen noch andere Ziele gibt. Das würde durch so etwas wie eine Dienstpflicht deutlich erleichtert werden.
Integrationskraft des Katastrophenschutzes
Dobovisek: Kommen wir zum jüngsten Punkt in der Debatte um das Dienstjahr: Flüchtlinge und Asylbewerber. Das THW arbeitet schon länger auch mit Migranten zusammen. Wie sehr könnte ein solches Dienstjahr bei deren Integration helfen?
Broemme: Die Integration ist ja nicht eine abstrakte Integration in die Gesellschaft, sondern das ist sehr konkret. Wir haben Teams. In Deutschland sind es rund 700 THW-Standorte. Die Feuerwehr hat über 20.000 Feuerwachen. Das sind Teams, wo Menschen arbeiten aus allen Schichten. Da spielt es auch keine Rolle, was man für einen Titel hat, was man für einen Beruf hat, für eine Ausbildung. Man interessiert sich für das Technische Hilfswerk, für die Beleuchtungsgruppe oder für andere Dinge. Man macht die Ausbildung, ist im Team zusammen, wo man sich duzt, wo man miteinander arbeitet, wo man sich auch wertschätzt.
Diese Integrationskraft, die der Katastrophenschutz generell hat, ist eine ganz wunderbare Geschichte, und hierzu jedem die Tür zu öffnen, das haben wir schon begonnen. Wir haben fast 400 Flüchtlinge aufgenommen beim THW, egal was sie für einen Status haben oder mal haben werden. Die fühlen sich wohl. Sie haben vor allen Dingen auch Deutsch gelernt. Sie haben gelernt zu helfen, zu arbeiten und auch ein paar praktische Dinge, die sie in jedem Berufsleben dann gebrauchen können.
Dobovisek: Soweit der Mann aus der Praxis. Albrecht Broemme, Präsident des Technischen Hilfswerks, vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.