Liebrenz: "Das, das. Ja, genau. Das ist die Reihenfolge."
Feller: "Also, das kommt auch mit rein."
Liebrenz: "Das kommt auch mit rein. Genau."
Feller: "Und wir würden das auf die zwei Vitrinen verteilen ..."
Die Oberkörper in eine große Glasvitrine gebeugt, treffen Arabist Boris Liebrenz und Restauratorin Ute Feller die letzten Absprachen darüber, wie ein Dutzend vergilbter Blätter präsentiert werden sollen. Es sind Briefbögen, die im Jahre 1853 zwischen Damaskus, Leipzig und Dresden hin- und hergingen. Ohne diese Korrespondenz wären über 450 kostbare handgeschriebene arabische Buchschätze nicht nach Leipzig gelangt, von denen etwa 50 seit heute in der Universitätsbibliothek gezeigt werden.
Der Briefwechsel führt uns zurück ins Jahr 1853 nach Damaskus. Ein brodelndes Wirtschaftszentrum mit langen Basarstraßen, Karawansereien und Bädern, errichtet von reichen Kaufleuten. Zu dieser Zeit streifte auch der preußische Konsul Johann Gottfried Wetzstein gern durch die engen Gassen der Altstadt. Neben seinen dienstlichen Aufgaben war der promovierte Arabist immer auf der Suche nach alten Handschriften. In einem der prächtigen Wohnhäuser lernte der kontaktfreudige Diplomat den betagten Gelehrten Umar ar-Rifa'i al Hamawi kennen, der ihm seine über Generationen zusammengetragene Familienbibliothek zeigte.
Von dem kostbaren Fund überwältigt, schrieb Wetzstein im März an seinen ehemaligen Professor in Leipzig, den damals bedeutendsten deutschen Orientforscher Heinrich Leberecht Fleischer: "Es dürfte in ganz Syrien eine gleiche Sammlung nicht existieren." Nach einem für damalige Zeiten sensationell schnellen Briefverkehr wurde man rasch handelseinig. Schon kurz vor Weihnachten 1853 hielt ein überglücklicher Leberecht Fleischer die Schätze in seinen Händen. Ein einmaliger Querschnitt über das literarische Leben in Damaskus, schwärmt Verena Klemm vom Leipziger Orientalischen Institut.
"Und sie hat auch einen völlig anderen Charakter, als es die Bibliotheken von Moscheen und Madrasen – also religiösen Lehranstalten – haben, die hauptsächlich aus religiöser Literatur bestehen, aus Koran, Korankommentar, islamischem Recht. Das haben wir hier selbstverständlich auch vertreten. Aber wir haben hier ein ganz breites Spektrum weltlicher Literatur. Schöne Literatur, Reisebücher, Bücher über die Jagd, Bücher über die Wissenschaften wie Medizin, Pharmakologie, Mathematik. Wir haben historische Werke. Wir haben biografische Werke. Wir haben Werke über Erotik, sogar drei in dieser Bibliothek. Wir haben einen Kosmos des literarischen Lebens, sowohl, was die eigentlichen Werke betrifft, als auch, was eben diese Zeugnisse, die diese vielfältigen Leserschaften darin hinterlassen haben."
Lange wurden die einzelnen Handschriften ausschließlich für das Quellenstudium genutzt. 2008 begannen die Wissenschaftler unter Klemms Leitung, sich die Sammlung – die Refa'iya - selbst genauer anzusehen. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft machten sich Institut, Bibliothek und Rechenzentrum der Uni Leipzig an die Erfassung, Digitalisierung und Erforschung einer einzigartigen vormodernen Bibliotheks- und Buchkultur vom frühen Mittelalter bis in die Osmanenzeit. Am Spannendsten waren dabei die unzähligen Notizen, die Leser, Besitzer und Käufer darin hinterlassen haben. Diese Geschichten am Rande faszinieren Boris Liebrenz:
"Die meisten Leute sind tatsächlich Gelehrte. Aber es hat praktisch jeder gelesen. Wir haben Handwerker. Es gibt Militärs. Es gibt Leute, die offensichtlich nicht wirklich richtig schreiben konnten, die offensichtlich die Grundlagen der Grammatik, der arabischen Grammatik gar nicht richtig beherrscht haben. Die letztlich gekritzelt haben dort rein, aber die trotzdem sich dokumentiert haben wollten, die trotzdem gesagt haben wollten: Ich habe dieses Buch gelesen."
Was heute für den wahren Buchliebhaber Frevel gleichkommt – in ein Buch zu kritzeln – war damals gang und gäbe. Ein Glück für die Forschung. Wir hätten nie erfahren, wer damals in Damaskus was las.
"Dass zum Beispiel Militärs ganz stark an Poesie und Geschichte interessiert waren. Das waren die Gelehrten sicherlich auch, aber bei den Militärs findet man das eben sehr konzentriert. Dass natürlich Ärzte auch sehr stark an Naturwissenschaften interessiert waren, daneben aber auch an Poesie und Geschichte."
Liebrenz wurde vor allem in den Exemplaren fündig, die zuvor zu Leihbibliotheken gehört hatten. Hier haben sich besonders viele Leser auch mit Details aus ihrem Alltag verewigt.
"Wenn sie sehen: Da ist so eine kleine Lücke und dann geht das tatsächlich in einen richtigen Schuldschein, der den Kauf von großen Mengen Seife regelt. Tatsächlich sind die Bücher benutzt worden, um alle möglichen Informationen, Notizen, Verträge auch zu notieren."
Rezepte, Geburten, alles Wichtige im Alltag wurde hineingeschrieben, wenn gerade kein anderes Papier bei der Hand war. So erfährt man etwa, dass auch eine Frau zu den Besitzern der Handschriften gehörte, dass sich so mancher unfreiwillig von seinen Büchern trennen musste, weil das Geld knapp wurde oder dass die islamischen Schriften von Moslems, Juden und Christen gleichermaßen gelesen wurden. Zeugnisse von diesem respektvollen Umgang miteinander finden sich auch dort, wo gelesen wurde. In der Ausstellung vermitteln große Bilder vom 200 Jahre alten Damaskuszimmer, das in Dresden zu sehen ist, einen optischen Eindruck: Mit Ornamenten und Texten reich und farbenfroh verzierte Wände und Decken. Die Forscher stießen hier beim Gedicht des Mystikers el-Ghasali auf etwas Besonderes, erklärt Restauratorin Anke Scharrahs, die seit 1998 in den Häusern der Altstadt von Damaskus arbeitet.
"Dass alle Verse, wo der Prophet Mohamed direkt angerufen ist oder stärker muslimischer Inhalt ausgesprochen ist, dass genau diese Verse weggelassen sind, dass Gäste einer anderen Religionszugehörigkeit sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen sollten."
Dass die Handschriftenbücher in Leipzig überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert werden können, ist Ute Feller zu verdanken. Die erfahrene Restauratorin hat die zerlesenen Schätze in mühsamer Kleinarbeit konserviert, Ledereinbände, Risse im Papier und auseinandergefallene Heftungen repariert.
"Also die Bücher sind härtere Brocken als mittelalterliche Einbände. Diese orientalischen Handschriften machen wesentlich mehr Arbeit. Das ist eine sehr kostbare Angelegenheit."
Diese weltweit einzige erhaltene Damaszener Familienbibliothek soll auch virtuell zu neuem Leben erweckt und im Internet allen zugänglich gemacht werden.
Übrigens hatte Umar ar-Refa'i für die Sammlung 70.000 Piaster, umgerechnet 4375 Reichstaler, erhalten. Ein guter Preis. Die Summe entsprach vier Monatsgehältern von Leberecht Fleischer. Der gottesfürchtige Efendi soll sich von dem Geld einen Garten im fruchtbaren Umland von Damaskus gekauft haben.
Feller: "Also, das kommt auch mit rein."
Liebrenz: "Das kommt auch mit rein. Genau."
Feller: "Und wir würden das auf die zwei Vitrinen verteilen ..."
Die Oberkörper in eine große Glasvitrine gebeugt, treffen Arabist Boris Liebrenz und Restauratorin Ute Feller die letzten Absprachen darüber, wie ein Dutzend vergilbter Blätter präsentiert werden sollen. Es sind Briefbögen, die im Jahre 1853 zwischen Damaskus, Leipzig und Dresden hin- und hergingen. Ohne diese Korrespondenz wären über 450 kostbare handgeschriebene arabische Buchschätze nicht nach Leipzig gelangt, von denen etwa 50 seit heute in der Universitätsbibliothek gezeigt werden.
Der Briefwechsel führt uns zurück ins Jahr 1853 nach Damaskus. Ein brodelndes Wirtschaftszentrum mit langen Basarstraßen, Karawansereien und Bädern, errichtet von reichen Kaufleuten. Zu dieser Zeit streifte auch der preußische Konsul Johann Gottfried Wetzstein gern durch die engen Gassen der Altstadt. Neben seinen dienstlichen Aufgaben war der promovierte Arabist immer auf der Suche nach alten Handschriften. In einem der prächtigen Wohnhäuser lernte der kontaktfreudige Diplomat den betagten Gelehrten Umar ar-Rifa'i al Hamawi kennen, der ihm seine über Generationen zusammengetragene Familienbibliothek zeigte.
Von dem kostbaren Fund überwältigt, schrieb Wetzstein im März an seinen ehemaligen Professor in Leipzig, den damals bedeutendsten deutschen Orientforscher Heinrich Leberecht Fleischer: "Es dürfte in ganz Syrien eine gleiche Sammlung nicht existieren." Nach einem für damalige Zeiten sensationell schnellen Briefverkehr wurde man rasch handelseinig. Schon kurz vor Weihnachten 1853 hielt ein überglücklicher Leberecht Fleischer die Schätze in seinen Händen. Ein einmaliger Querschnitt über das literarische Leben in Damaskus, schwärmt Verena Klemm vom Leipziger Orientalischen Institut.
"Und sie hat auch einen völlig anderen Charakter, als es die Bibliotheken von Moscheen und Madrasen – also religiösen Lehranstalten – haben, die hauptsächlich aus religiöser Literatur bestehen, aus Koran, Korankommentar, islamischem Recht. Das haben wir hier selbstverständlich auch vertreten. Aber wir haben hier ein ganz breites Spektrum weltlicher Literatur. Schöne Literatur, Reisebücher, Bücher über die Jagd, Bücher über die Wissenschaften wie Medizin, Pharmakologie, Mathematik. Wir haben historische Werke. Wir haben biografische Werke. Wir haben Werke über Erotik, sogar drei in dieser Bibliothek. Wir haben einen Kosmos des literarischen Lebens, sowohl, was die eigentlichen Werke betrifft, als auch, was eben diese Zeugnisse, die diese vielfältigen Leserschaften darin hinterlassen haben."
Lange wurden die einzelnen Handschriften ausschließlich für das Quellenstudium genutzt. 2008 begannen die Wissenschaftler unter Klemms Leitung, sich die Sammlung – die Refa'iya - selbst genauer anzusehen. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft machten sich Institut, Bibliothek und Rechenzentrum der Uni Leipzig an die Erfassung, Digitalisierung und Erforschung einer einzigartigen vormodernen Bibliotheks- und Buchkultur vom frühen Mittelalter bis in die Osmanenzeit. Am Spannendsten waren dabei die unzähligen Notizen, die Leser, Besitzer und Käufer darin hinterlassen haben. Diese Geschichten am Rande faszinieren Boris Liebrenz:
"Die meisten Leute sind tatsächlich Gelehrte. Aber es hat praktisch jeder gelesen. Wir haben Handwerker. Es gibt Militärs. Es gibt Leute, die offensichtlich nicht wirklich richtig schreiben konnten, die offensichtlich die Grundlagen der Grammatik, der arabischen Grammatik gar nicht richtig beherrscht haben. Die letztlich gekritzelt haben dort rein, aber die trotzdem sich dokumentiert haben wollten, die trotzdem gesagt haben wollten: Ich habe dieses Buch gelesen."
Was heute für den wahren Buchliebhaber Frevel gleichkommt – in ein Buch zu kritzeln – war damals gang und gäbe. Ein Glück für die Forschung. Wir hätten nie erfahren, wer damals in Damaskus was las.
"Dass zum Beispiel Militärs ganz stark an Poesie und Geschichte interessiert waren. Das waren die Gelehrten sicherlich auch, aber bei den Militärs findet man das eben sehr konzentriert. Dass natürlich Ärzte auch sehr stark an Naturwissenschaften interessiert waren, daneben aber auch an Poesie und Geschichte."
Liebrenz wurde vor allem in den Exemplaren fündig, die zuvor zu Leihbibliotheken gehört hatten. Hier haben sich besonders viele Leser auch mit Details aus ihrem Alltag verewigt.
"Wenn sie sehen: Da ist so eine kleine Lücke und dann geht das tatsächlich in einen richtigen Schuldschein, der den Kauf von großen Mengen Seife regelt. Tatsächlich sind die Bücher benutzt worden, um alle möglichen Informationen, Notizen, Verträge auch zu notieren."
Rezepte, Geburten, alles Wichtige im Alltag wurde hineingeschrieben, wenn gerade kein anderes Papier bei der Hand war. So erfährt man etwa, dass auch eine Frau zu den Besitzern der Handschriften gehörte, dass sich so mancher unfreiwillig von seinen Büchern trennen musste, weil das Geld knapp wurde oder dass die islamischen Schriften von Moslems, Juden und Christen gleichermaßen gelesen wurden. Zeugnisse von diesem respektvollen Umgang miteinander finden sich auch dort, wo gelesen wurde. In der Ausstellung vermitteln große Bilder vom 200 Jahre alten Damaskuszimmer, das in Dresden zu sehen ist, einen optischen Eindruck: Mit Ornamenten und Texten reich und farbenfroh verzierte Wände und Decken. Die Forscher stießen hier beim Gedicht des Mystikers el-Ghasali auf etwas Besonderes, erklärt Restauratorin Anke Scharrahs, die seit 1998 in den Häusern der Altstadt von Damaskus arbeitet.
"Dass alle Verse, wo der Prophet Mohamed direkt angerufen ist oder stärker muslimischer Inhalt ausgesprochen ist, dass genau diese Verse weggelassen sind, dass Gäste einer anderen Religionszugehörigkeit sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen sollten."
Dass die Handschriftenbücher in Leipzig überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert werden können, ist Ute Feller zu verdanken. Die erfahrene Restauratorin hat die zerlesenen Schätze in mühsamer Kleinarbeit konserviert, Ledereinbände, Risse im Papier und auseinandergefallene Heftungen repariert.
"Also die Bücher sind härtere Brocken als mittelalterliche Einbände. Diese orientalischen Handschriften machen wesentlich mehr Arbeit. Das ist eine sehr kostbare Angelegenheit."
Diese weltweit einzige erhaltene Damaszener Familienbibliothek soll auch virtuell zu neuem Leben erweckt und im Internet allen zugänglich gemacht werden.
Übrigens hatte Umar ar-Refa'i für die Sammlung 70.000 Piaster, umgerechnet 4375 Reichstaler, erhalten. Ein guter Preis. Die Summe entsprach vier Monatsgehältern von Leberecht Fleischer. Der gottesfürchtige Efendi soll sich von dem Geld einen Garten im fruchtbaren Umland von Damaskus gekauft haben.