Thoraya wäscht ein Bund Blätter im sandigen Wasser am Ufer des Nils. Ihr Korb ist gefüllt mit Spinat und dünnen Karotten. Das Gemüse hat sie den Familien aus ihrem Viertel abgekauft. Sie will es später auf dem Markt weiterverkaufen.
Zwischen 500 und 1000 Pfund verdiene sie pro Tag, erzählt Thoraya, also etwa zwei bis drei Euro. An guten Tagen könnten es auch sechs oder sogar neun Euro werden.
Davon muss die 38-Jährige ihre Familie ernähren: insgesamt neun Personen. Sie leben in einer Lehmhütte am Rande der südsudanesischen Hauptstadt Juba.
"Wir sparen, wo wir können – und überleben mit dem wenigen, das wir verdienen."
Wie viele Menschen im Südsudan ist Thoraya auf Nothilfe angewiesen. Internationale Organisationen verteilen Nahrungsmittel oder versorgen die Südsudanesen mit Samen und Setzlingen. Damit können sie in ihren Gärten oder auf einem kleinen Stückchen Land Gemüse anbauen – für den eigenen Bedarf. Denn was es im Südsudan zu kaufen gibt, können sich nur wenige leisten, sagt Bernd Serway von der Diakonie Katastrophenhilfe in Juba:
"Südsudan ist zu hundert Prozent auf Importe angewiesen, also sämtliche Nahrungsmittel kommen aus den Nachbarregionen. Die Hühnchen, die wir hier essen, die kommen aus Brasilien, der Fisch kommt aus China, sonstige Nahrungsmittel viel aus Uganda, Kenia und Äthiopien. Im Südsudan lokal wird kaum etwas für die generelle Notwendigkeiten angebaut."
Ein Drittel der Bevölkerung ist auf der Flucht
Das hat einen Grund: Fast ein Drittel der Bevölkerung ist auf der Flucht. Nach einem Jahrzehnte langen Bürgerkrieg erlangte der Südsudan 2011 zwar die Unabhängigkeit vom Sudan. Aber bereits zwei Jahre später begannen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen im jüngsten Land der Welt, um Gebiete und Ressourcen zu kämpfen. Ihre Konflikte trugen sie mit Maschinengewehren und anderen Waffen aus; fast 400.000 Menschen kamen allein in den vergangenen sechs Jahren ums Leben. Die zaghafte Entwicklung in den Jahren nach der Unabhängigkeit machten die Bürgerkriegsparteien schnell wieder zunichte.
"Zum Beispiel die Hauptstadt Juba hat keine Wasserversorgung, hat keine Abwasserversorgung, hat keine Stromversorgung, hat keine vernünftige Infrastruktur, also Wasser, was man zum Beispiel braucht, was man bei uns eben aus der Leitung kommt, das wird hier mit Tankwagen angefahren, das Abwasser dann, die Fäkalien, werden mit dem Tankwagen eben abgefahren, und das ist eben extrem teuer und aufwendig, und von daher: So eine Situation wie in Juba habe ich in einer anderen Hauptstadt weltweit bisher auch nicht gesehen, also dass es so wenig entwickelt war."
Im ganzen Land, das etwa eineinhalb Mal so groß ist wie die Bundesrepublik, gibt es gerade einmal 250 Kilometer geteerte Straße. Selbst in Juba müssen die Autos oft Schlangenlinien fahren, um den Schlaglöchern auszuweichen. Bereits wenige Kilometer außerhalb des Zentrums leben die Menschen in Lehmhütten oder Baracken aus Wellblech – und das bei Temperaturen, die 30 Grad nur selten unterschreiten.
Auch ihre Familien haben nun Zugang zu Trinkwasser
Eine Wasserpumpe auf dem weiten Schulgelände – für Lehrerin Grace ist das ein Segen. Die Hilfsorganisation Malteser International hat sie vor kurzem installiert – und damit den Alltag von mehr als 700 Schülern und Lehrern enorm erleichtert.
"Das macht einen großen Unterschied, denn früher hatten wir kein Wasser. Die Schüler haben darunter gelitten und mussten weit laufen, um Wasser zu holen. Das brauchen sie, um Essen zu kochen und um sich zu waschen. Das war ein großes Problem für die Schule. Aber seit das Problem behoben wurde, müssen wir nicht mehr weit laufen. Das ist eine gute Sache, wir sind jetzt hier in der Schule sehr glücklich."
Nicht nur die Schulkinder, auch ihre Familien haben nun Zugang zu Trinkwasser. Doch mit der Pumpe sei ein neues Problem entstanden, sagt Grace.
"Wir brauchen einen Zaun. Denn oft kommen irgendwelche Menschen von der Straße hierher, nutzen unsere Anlagen und verschmutzen sie. Wir haben keine Mauer, und das ist ein großes Problem für uns. Ich glaube, wir brauchen irgendeine Organisation, die einen Zaun für uns aufstellt."
Wie viele Menschen im Südsudan sehnt sich Grace nach Sicherheit. Im September 2018 hatten sich Vertreter von Regierung und Opposition auf eine Regierung der nationalen Einheit geeinigt. Sie soll künftig die Interessen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausbalancieren und für Stabilität im Land sorgen. Keine einfache Aufgabe: Lawrence Korbandy lockert seine Krawatte, bevor er Fragen beantwortet. Dem Juristen stehen die langen Arbeitstage ins Gesicht geschrieben. Korbandy berät Präsident Salva Kiir und plädiert dafür, die zahlreichen Kämpfer im Land zu entwaffnen. Gleichzeitig fordert er mehr Geld für die Armee.
"Wir müssen das Budget für unser Militär aufstocken. Wir brauchen sogar noch mehr Geld als zu Zeiten, in denen Krieg herrschte. Warum? Weil wir die Menschen entwaffnen und in die Gesellschaft reintegrieren müssen. Das kostet viel Geld. Aber wenn wir das nicht machen, wird das gefährlich für die Gesellschaft."
Korbandy weiß, dass die Menschen eine Perspektive brauchen – eine, die ihnen ohne Gewalt das Überleben sichert.
Thoraya wäscht die letzten Spinatblätter, macht sich auf den Weg zum Markt. Wenn der Tag gut wird, kommt sie mit genug Geld für Essen nach Hause.
"Wir verlassen uns auf Gott. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Wenn sich die Situation verbessert, danken wir Gott. Dann bekommen unsere Kinder eine Ausbildung und leben ein bescheidenes Leben."