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Alltag in russischen Strafkolonien
Doppelstockbetten und keine Dusche

Der russische Kremlkritiker Alexej Nawalny wurde vor kurzem wegen Verstößen gegen Bewährungsauflagen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die soll er in einer russischen Strafkolonie absitzen. Der Alltag dort kann tödlich sein.

Von Gesine Dornblüth |
In einer "Besserungskolonie mit allgemeinem Strafvollzug" mit mehreren Zäunen und Stacheldraht drumherum wird Aleksej Nawalny einsitzen.
Harter Alltag: Eine "Besserungskolonie mit allgemeinem Strafvollzug" in der russischen Stadt Beresniki ( picture alliance / dpa | Pavel Lisitsyn)
Zwei Jahre und acht Monate muss Alexej Nawalny laut dem Richterspruch vom 2. Februar in einer "Kolonija obshchego rezhima" verbringen. Wörtlich ins Deutsche übersetzt heißt das "Besserungskolonie mit allgemeinem Strafvollzug".
"Diese Kolonien befinden sich meist in der Nähe kleiner Siedlungen auf dem Land. Sie sind vier bis fünf Hektar groß, mit mehreren Zäunen und Stacheldraht drumherum. Die Baracken sind 50 bis 60 Jahre alt, in der Regel gibt es dort zwei große Räume mit je 60 Schlafplätzen in Doppelstockbetten, ein Klo, einen Waschraum ohne Dusche und eine Ecke zum Teetrinken, mehr nicht", erläutert Olga Romanowa, Leiterin der russischen Gefangenen-Hilfsorganisation "Rus Sidjashchaja", "Sitzendes Russland".

Es gibt Kolonien mit noch strengeren Regeln

Zusätzlich zu den Baracken gibt es in den Kolonien in der Regel auch Werkstätten: "Meistens sind das Nähereien. Nawalnyj wird wahrscheinlich Polizeiuniformen nähen oder Westen für die OMON, die Sondereinheiten des Innenministeriums. Die einzige Unterhaltung ist ein Fernseher mit den landesweiten Kanälen."
Nawalny hätte es noch schlimmer treffen können. Denn es gibt auch Kolonien mit sogenannten "strengen" und mit "besonderen" Haftbedingungen. Dort dürfen die Häftlinge zum Beispiel weniger Pakete und seltener Besuch empfangen, ansonsten sind die Umstände ähnlich.
In einer Kolonie mit allgemeinen Bedingungen, die Alexej Nawalny erwartet, saßen schon viele politische Gefangene, darunter der frühere Oligarch Michail Chodorkowskij und auch Nawalnys Bruder Oleg.

"Die sanitären Bedingungen waren schrecklich"

Die Brüder Nawalny waren 2014 in einem vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als "willkürlich" beanstandeten Prozess zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Während Alexej Nawalnys Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, saß Oleg Nawalny die volle Zeit ab. Anschließend sagte er dem Deutschlandfunk: "Ich habe mich mit Sport fit gehalten und habe die ganze Zeit gesund überstanden. Die sanitären Bedingungen waren natürlich schrecklich."
Eine Gefahr in der Strafkolonie kann auch von kriminellen Mithäftlingen ausgehen. Doch er hatte mit ihnen kein Problem, so Oleg Nawalny.
"Die Mithäftlinge waren freundlich zu mir, denn die meisten wussten, was mein Bruder macht. Im Gefängnis ist jeder gegen die Machthaber, alle unterstützen Alexej. Außerdem wurde die Kolonie mit meiner Ankunft prominent. Deshalb haben die Wärter, sobald ich da war, aufgehört, die Häftlinge zu schlagen. Auch deshalb war ich gut gelitten."

Häufige Todesursache: "Von der Treppe gefallen"

Oleg Nawalny befindet sich aktuell im Hausarrest, ein russisches Gericht befand, er habe bei einer Solidaritätsaktion für seinen Bruder gegen Corona-Auflagen verstoßen. Olga Romanowa von der Hilfsorganisation "Sitzendes Russland" bestätigt, dass Prominenz einem Häftling hilft, auch Alexej Nawalny. Sie sieht trotzdem große Gefahren auf ihn zukommen.
"Wenn er in die Kolonie geschickt wird, ist sein Leben gefährdet, ernsthaft gefährdet. Es findet sich immer ein Gefangener, der mit der Verwaltung kooperiert und auch zu einem Mord bereit ist. Außerdem ist es dort sehr leicht, Todesursachen zu vertuschen. Da passieren Arbeitsunfälle, oder der Häftling ist von einer Treppe gefallen. In jeder zweiten Sterbeurkunde, die wir aus einer Kolonie bekommen, steht: ‚von der Treppe gefallen‘."

Nawalnys Verlegung kann noch dauern

Noch befindet sich Alexej Nawalny im Untersuchungsgefängnis Matrosenruhe in Moskau. Seine Anwälte haben Berufung gegen das Urteil eingelegt. Außerdem läuft ein zweites Verfahren gegen ihn, und ein drittes wird bald beginnen. Das alles kann sich hinziehen. Wann Nawalny in eine Kolonie verlegt wird, ist deshalb noch völlig offen. Seine Anhänger hoffen indes auf seine Freilassung.