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Alltagsleben im Jahre 129 nach Christus

Es ist erstaunlich, dass das Pergamonmuseum, das für die Funde aus den Grabungen von Pergamon gebaut wurde, diesen Funden noch nie eine Ausstellung gewidmet hat: Die neue Sonderausstellung tut eben dies, allerdings ohne türkische Zusammenarbeit.

Von Jürgen König |
    Sogar die Hunde scheinen wieder zu bellen: im alten Pergamon – wie von einem Berg aus schaut man herunter auf die alte Stadt, umgeben von einer bergigen Landschaft unter bewegtem Wolkenhimmel, viele Häuser dicht an dicht, Rauch steigt auf, Menschen laufen hin und her, gehen eingehakt, unterhalten sich - es ist, als hätte ein Fotograf am 8. April des Jahres 129 nach Christus eine Momentaufnahme festgehalten.

    Etwa 5000 Fotos hat Yadegar Asisi im heutigen Bergama, wo früher Pergamon stand, tatsächlich gemacht. Hat Statisten in antiken Kostümen inszeniert, hat Fotos der Ausgrabungsfunde hinzugenommen, Rekonstruktionszeichnungen der Gebäude – und hat aus alledem am Computer ein 360-Grad-Panorama entworfen, mit Geräuschen, mit Tag- und Nacht-Simulation, 24 Meter hoch, 103 Meter lang.

    Man sieht ein Amphitheater, gut gefüllt mit Zuschauern in bunten Gewändern, in der Ferne ein Stadion, im Vordergrund, auf und in die Berge hinein gebaut, die Villen der reichen Bürger, die Tempelanlagen, die Akropolis mit dem großen Eingangsportal und dem berühmten Fries, steht man später im Museum vor diesem Pergamonaltar, denkt man ihn sich ganz von alleine in die wilde Landschaft Pergamons hinein. Und das genau ist auch der didaktische Witz dieser Ausstellung. Yadegar Asisi:

    "Der Sinn ist, dass Sie erst das Panorama sehen und sehr unvoreingenommen. Also der Betrachter geht rein und sieht eine antike Stätte, er sieht die Akropolis von Pergamon und wird erst mal sehen: Ah, da stehen Tempel, da ist eine Landschaft, wird eintauchen, wird mit viel, viel Gefühl wieder rauskommen und denkt: Er hat gesehen, was es zu sehen gibt. Und dann wird er in dem Parcours erst mal durch die Ausstellung laufen und kommt erst am Ende zum eigentlichen Höhepunkt, zum Pergamonaltar. Einer, der noch nie in diesem Museum war, wird in einer Art und Weise bedient: Er wird erst angesprochen, ohne Vorbildung, dann kommt er rein, sieht wahnsinnig viele Exponate, eins schöner als das andere. Und er kann sie einordnen."

    Wer das Bild der Stadt noch vor Augen hat, sieht die in der Ausstellung gezeigten Skulpturen, Mosaiken, Münzen, Gefäße, Brunnen, Wasserhähne, alle möglichen Alltagsgegenstände: Man sieht all das mit anderen Augen - weil man versteht, in welchem Zusammenhang es entstanden und benutzt worden ist. Texttafeln (auf Deutsch, Englisch und Türkisch) beschreiben das Alltagsleben Pergamons anschaulich; Zeichnungen, Fotos Archivdokumente illustrieren die spannende Entdeckungsgeschichte Pergamons.

    Es ist erstaunlich, dass das Pergamonmuseum, das für die Funde aus den Grabungen von Pergamon gebaut wurde, eben diesen Funden noch nie eine Ausstellung gewidmet hat. Und eigenartig ist es, dass es zu einer Zusammenarbeit zwischen der Berliner Antikensammlung und dem türkischen Kulturministerium bei dieser jetzigen Ausstellung nicht kam – trotz jahrzehntelanger deutsch-türkischer Kulturkooperation, bei der bis heute alle Grabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in Bergama regelmäßig genehmigt wurden. Andreas Scholl, Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin:

    "Ich sehe einen gewissen Widerspruch zwischen diesem bislang immer problemlos gelaufenen Prozedere und dem offenkundigen politischen Willen der Türkei, diese Grabung unter deutscher Regie weiterlaufen zu lassen, aber dann auf der anderen Seite dieses Nicht-Eingehen eben auf die Möglichkeit, das einmal hier auf die ganz große Bühne zu stellen. Aus unserer Sicht wäre das hier eine ideale Gelegenheit gewesen, einem Millionenpublikum diese Zusammenarbeit, die es seit über 130 Jahren gibt, zu demonstrieren. Die Türkei ist längst, was ihre Wissenschaftler betrifft, auf internationalem Niveau, es wäre ein Leichtes gewesen, wenn hier also auch türkische Kollegen am Material, das eben in den letzten Jahrzehnten in Pergamon gefunden worden ist und dann vor Ort natürlich verblieb, das Thema weiter auszustricken, wir bedauern es sehr, dass es dazu nicht gekommen ist."

    Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Die Einladung an die türkische Seite, sich an der Ausstellung zu beteiligen, hieß es, bleibe bestehen. Ein Jahr lang wird das antike Pergamon in Berlin jetzt wieder lebendig werden – mit seinen Menschen, seinen Tempeln, seinen Bergen – und seinen Hunden.