Philipp May: Ich habe mit dem Extremismusforscher Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin gesprochen. Meine erste Frage: Darf man das überhaupt, pauschal nach der Integration einer so heterogenen Religionsgruppe wie der der Muslime fragen?
Klaus Schröder: Jede pauschale Befragung führt in die Irre. Man kann nicht pauschal nach Rechten, nach Linken, nach Muslimen, welche Sparte Sie auch immer nehmen fragen, weil die wirkliche Welt viel differenzierter ist. Jetzt in dem Falle wird nach Muslimen gefragt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass im Kontext der Zuwanderung sehr viele Muslime ins Land gekommen sind, und vor allen Dingen die Anschläge von Islamisten haben die Bevölkerung in europäischen Ländern aufgeschreckt. Insofern kommt dem eine Bedeutung zu. Gleichwohl halte ich ebenso wie Ihr Kollege diese pauschale Zuschreibung für nicht richtig.
May: Nichts desto trotz, Sie haben jetzt auch gesagt, dem kommt eine Bedeutung zu. Welche Bedeutung sehen Sie denn in der Studie?
Schröder: Die Bedeutung ist, dass klargestellt wird, dass die breite Mehrheit der Muslime, der Zugewanderten gut integriert ist, gut in den Arbeitsmarkt integriert ist, deutsche Freunde haben, sich wohlfühlen in diesem Land. Das geht immer unter. Wir haben eine kleine Minderheit, die ist nicht so integriert, die ist auch gewaltbereit bis hin wie gesagt zu den Anschlägen. Wir haben Gefährder, die fast alle Moslems sind. Das gibt es auch, aber es ist eine kleine, kleine Minderheit. Das wird immer übersehen und dadurch kommt die breite Mehrheit, die gut integriert ist, gar nicht in den Fokus.
May: Herr Schröder, wo wir gerade über Mehrheiten und Minderheiten reden, können wir ja noch mal auf die andere Seite schauen. 19 Prozent der Bürger in Deutschland geben laut der Studie an, keinen Muslimen als Nachbarn haben zu wollen. Ist das auch in Ihren Augen ein hoher Prozentsatz?
Schröder: Nein, es ist kein hoher Prozentsatz, wenn knapp jeder Fünfte das sagt, zumal er pauschal gefragt wird, ob er gerne Muslime als Nachbarn hätte. Da hat jeder Fünfte gesagt, nein, nicht so gerne. Wenn Sie gefragt hätten, welche Muslime, dann hätten Ihnen viele gesagt, wahrscheinlich 90, 95 Prozent, friedliebende Muslime hätte ich gerne als Nachbarn, aber radikalisierte Muslime nicht. Ich glaube, das ist bei denen, die geantwortet haben, im Hinterkopf gewesen. Deshalb ist diese pauschale Frage eigentlich nicht geeignet, die Stimmung auszudrücken, denn ich glaube, die friedliebenden Muslime sind viel höher auch akzeptiert, als es in der Umfrage zur Geltung kommt.
"Man kommt dem Thema nicht näher, wenn man Religion gleich Religion setzt"
May: Na ja. Aber in der Umfrage wird doch gerade insgesamt konstatiert, dass die breite Mehrheit der Muslime gut integriert ist.
Schröder: Ja! So ist es ja auch. Das ist bloß bei den Diskussionen um Islamismus aus dem Blick geraten, weil natürlich der Islam selbstverständlich auch was mit Islamismus zu tun hat und dass die Religiosität, die in Deutschland ja spätestens auch nach der Wiedervereinigung immer weiter zurückgegangen ist, dass die jetzt wieder eine Rolle spielt.
Aber auch hier kommt man dem Thema nicht näher, wenn man Religion gleich Religion setzt. Da wo die Religion auch von den Betroffenen als Privatsache gesehen wird, gibt es, glaube ich, niemanden oder niemanden, den man ernst nehmen kann, der in Deutschland das infrage stellt. Aber es gibt ja im Bereich des Islam durchaus Kräfte, die die Religion über den Staat stellen, und das geht natürlich nicht. Aber wenn Religion als Privatsache verstanden wird, dann gilt die Religionsfreiheit, und die wird auch von einer großen Mehrheit der Deutschen akzeptiert.
"Wir müssen die überwiegende Mehrheit der friedliebenden Muslime auf unsere 'Seite' ziehen"
May: Jetzt haben wir nun mal – Sie haben es gesagt – das Problem mit einem kleinen Teil, einem kleinen Teil, einem offensichtlich sehr gefährlichen Teil. Wie nähern wir uns dem dann an?
Schröder: Wir müssen differenzieren. Wir müssen die überwiegende Mehrheit der friedliebenden Muslime auf unsere "Seite" ziehen und ihnen klar machen, dass sie sich genauso wie wir davon distanzieren müssen. Genau wie wir uns von Rechtsextremisten distanzieren, müssen wir uns von Islamisten distanzieren, und Muslime haben vielleicht einen besseren Zugang zu diesen Leuten und können sie vielleicht besser abhalten von den Taten, die sie planen. Das kann man so pauschal auch nicht sagen. Aber hier ist eine Gefährdungslage, die sich ausweiten könnte, wenn diese spezifische Auslegung des Islam hin zur Radikalität, wenn die sich ausbreitet unter Jugendlichen.
May: Wo liegen denn Ihrer Meinung nach die konkreten Probleme bei der Integration?
Schröder: Die Probleme liegen wahrscheinlich in der Bildung, weil man der Illusion verfallen war, da kommt jemand neu ins Land, wandert zu, die Eltern sind halbe Analphabeten und dann macht der gleich Abitur, der Sohn oder die Tochter. Das ist auch in Deutschland nicht so gegangen. Das lief über Generationen, die Bildungserfolge, der Bildungsaufstieg, wenn der Großvater Hauptschul- oder Volksschulabschluss hatte, der Vater einen Mittelschulabschluss und dann hat der Sohn oder die Tochter Abitur gemacht. Das lief über Generationen und genau so muss man hier mit längerem Blick darauf schauen, und da sehen wir, dass es durchaus auch Bildungserfolge gibt, die erstaunlich gut sind.
Das deutsche Bildungssystem und auch das Ausbildungssystem ist ja so schlecht nicht. Hier muss man verstärkt Anstrengungen unternehmen, die wahrscheinlich schon im Kindergarten beginnen müssen. Im Kindergarten müssen gerade diejenigen aus – ich nenne es mal so – bildungsfernen Schichten, worunter viele Zuwanderer gehören, die müssen speziell gefördert werden, damit sie in der Schule nicht von vornherein abgehängt werden. Das muss ganz früh beginnen. Sonst wird es da keinen Erfolg geben.
"Wir werden jetzt mit einer Religiosität konfrontiert, die man glaubte, nicht mehr zu haben"
May: Das ist ja auch ein Vorschlag, der in der Bertelsmann-Studie gemacht wird: Die Chancen auf Teilhabe verbessern insbesondere im Bildungssystem. Das sagen Sie auch. Schauen wir uns mal die weiteren Lösungsvorschläge an. Der zweite Vorschlag, der gemacht wird, ist die institutionelle Gleichstellung der islamischen Religionsgemeinschaften, zum Beispiel muslimischer Religionsunterricht an Schulen beziehungsweise Regelungen zum Bau von Moscheen, zur islamischen Bestattung etc. pp. Das ist ja politisch wahrscheinlich tendenziell eher schwerer durchzusetzen.
Schröder: Ja. Die Frage ist, wo beginnt man. Es gibt ja noch andere religiöse Minderheiten in Deutschland, nicht nur die Muslime. Geht man auf alle ein, oder privilegiert man die katholische und die evangelische Kirche? Geht man hinterher zu einem laizistischen Staat? Das muss man breit diskutieren.
Aber erst mal muss man festhalten: Religion ist Privatsache. Das ist das Wichtigste. Und wir haben – auch das zeigt ja die Studie – 40 Prozent Muslime, die sich selbst als hoch religiös einstufen. Das ist etwas, womit man in Deutschland und anderen Ländern, Österreich, Schweiz, nicht umgehen kann, weil man hier die Religion ja über Jahrzehnte zurückgedrängt hat. Wir werden jetzt mit einer Religiosität konfrontiert, die man glaubte, nicht mehr zu haben. Jetzt kommt sie, auch noch aus einer Ecke, die einem fremd ist. Da tun sich viele schwer und da müssen Wege gefunden werden, die die Religion alle gleichstellen.
"Muslime gehören selbstverständlich zu Deutschland"
May: Der Islam ist ein Teil von Deutschland?
Schröder: Die Muslime sind ein Teil von Deutschland. Der Islam hat bisher auf die deutsche Kultur und auf die deutschen Traditionen wenig Einfluss gehabt. Muslime gehören selbstverständlich zu Deutschland und sie dürfen selbstverständlich ihre Religion hier ausüben.
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