Der Rhythmus ist der Gott des Abends, sein Pulsschlag Lebensmotor für die Tänzer. Sie wippen und federn lässig zu seinem Takt, lassen ihn durch ihren Körper cruisen. Er schwingt in ihren Armen, bebt in den Knien, zuckt klein wie ein Herz in den vor der Brust gehobenen Händen, rutscht runter in die Füße, die seinen Beat auch schon mal doppeln, brechen, halbieren.
Körper werden musikalisiert
Ab jetzt ist jede Faser ihrer Körper quasi musikalisiert. Für den Rest des Abends vibrieren in jedem Gelenk, jedem Muskel der neun Tänzer auf der Bühne Töne, Rhythmen, Geräusche. Und die wollen raus. Eine Tänzerin schwebt elfenzart über die Bühne und die Kollegen begleiten als sensibler Beatboxing-Trupp mit Mikroports vor den Mündern jeden Schritt, jeden abgezirkelten Armschwung mit Lauten - was die Feinheit ihres Tapsens und Schnörkelns noch betont. Dem bereitet dann ein anderer Tänzer mit lautem Ratschen ein Ende. Wie eine Comicfigur illustriert er dann seinen verrückten Fuchtel-Tanz mit explosiven Lautmalereien.
Söderberg entwirft originelle Tanz-Konzerte
Choreografin Alma Söderberg ist eigentlich gar keine Choreografin. Sie ist eine Komponistin, deren Orchester aus menschlichen Körpern besteht. Söderberg hat erst an der Königlich-Schwedischen Ballettschule studiert, dann Klassischen Flamenco in Sevilla. Eine skurrile Misch-Qualifikation für eine Tänzerin, die klarmacht: Der Söderberg'sche zeitgenössische Tanz muss nicht leise sein. Seit etwa 10 Jahren kreiert sie Performances, die vor allem eines erforschen: die Beziehung von Auge und Ohr, Körper und Klang, Bewegung und Stimme. Und was nach einem eigentlich ziemlich simplen Konzept klingt, wird bei Söderberg zu bezaubernd originellen Tanz-Konzerten, die die uralte Beziehung völlig neu wahrnehmen lässt. So nun auch in ihrer ersten Choreografie für die Cullberg-Kompanie. Jeder Tänzer - ein Sänger.
Geheimnisse des Rachenraumes
Die Performer hocken auf dem Boden wie Feld-Arbeiter, die ihre Pflück- und Rupfgesten mit gemeinsamem Gesang rhythmisieren, unterstützt von den elektronischen Kompositionen von Hendrik Willekens. Sie sing-tanzen entrückt in wogenden Gruppe als wäre es ein Bewegungsritual der großen Tanztherapeutin Anna Halprin. Und auch die derzeit durch Deutschland tourende Performancelegende Meredith Monk scheint ihr inspirierendes Charisma nach Essen zu entsenden, wenn die Tänzer die Geheimnisse ihres Rachenraumes erkunden und zu ihren Bewegungen schmatzen, schlürfen, ploppen, gurgeln, wispern.
Seit kurzem ist Alma Söderberg feste Choreografin für die Kompanie "Cullberg". Die hat nun das Wörtchen "Ballett" aus ihrem bisherigen Namen Cullberg Ballett gestrichen. Das ist nur korrekt, denn die Klassik spielt längst keine Rolle mehr im Repertoire der Kompanie - was sich allerdings auch in der Qualität der Tänzer zeigt. Manche haben die Brillanz, die man bei dem renommierten Namen erwartet. Aber eben nicht jeder hat da seinen Körper für ein größeres Bewegungsspektrum unter Kontrolle - dabei wollen auch die chilligen Schlenz-Choreografien oder exorzistischen Ekstasen von Alma Söderberg gekonnt getanzt sein. Aber das war der einzige Malus an einem Abend, der die Performer zu einer humorvoll-verspielten Tanz-Musik-Session zusammenbringt, und sie improvisiert, aber präzise vor allem eines feiern lässt: die inspirierende Kraft der Kollaboration.