Archiv

Alondra de la Parra
Musikerin in Macho-Land

Die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra gehört zu der nach wie vor kleinen Gruppe von Dirigentinnen, denen es gelungen ist, sich international durchzusetzen. Kurt Masur war einer ihrer Mentoren. Ab 2017 wird die 36-Jährige das Queensland Symphony Orchestra in Australien als Chedirigentin leiten.

Von Peter B. Schumann |
    Musik: Márquez, Danzón
    Alondra de la Parra nutzt jede Gelegenheit, um die Musik Mexikos ins internationale Bewusstsein zu bringen, wie zum Beispiel diesen Danzón Nr. 2 von Arturo Márquez, eines der populärsten Orchesterstücke des Landes. Mit diesem musikalischen Feuerwerk riss sie das Publikum von den Stühlen bei ihrem Berliner Auftritt mit dem Bundesjugendorchester. Die 36-jährige Alondra de la Parra stammt aus einer Musiker-Familie, hat mit sieben Jahren begonnen, Klavier zu spielen und mit elf Cello.
    "Das Wichtigste in meiner Familie war klassische Orchestermusik. Mein Vater, meine Mutter, meine Großeltern, alle liebten sie. Es gab sogar einen Taktstock bei uns zuHause. Als 13-/14-Jährige habe ich wie eine Besessene Schostakowitsch, Strawinsky, Bartok gehört. Daraus entstand meine Liebe zur sinfonischen Musik. Weil ich ein sehr gutes musikalisches Gehör habe, fragte mich eines Tages mein Vater, ob ich nicht dirigieren wolle. Das kam mir reichlich verrückt vor. Ich, ein Kind, noch dazu ein mexikanisches, hatte doch bisher als Dirigenten nur ältere deutsche und europäische Herren erlebt."
    Eroberung einer mexikanischen Männerdömäne
    Doch die Idee begann die junge Alondra zu faszinieren. Damals – vor 20 Jahren – war das Dirigat in Mexiko eine reine Männerdämone, und daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Hätten die Eltern ihr nicht Mut gemacht und wäre sie mit 19 Jahren nicht nach New York zum Studium gegangen, wäre die Karriere der Hochtalentierten ganz anders verlaufen.
    "An allem, was ich geworden bin, ist New York schuld. Dort hat man mir die Gelegenheit gegeben, ein erstes, kleines Orchester zu dirigieren. Anfangs habe ich alles gemacht: die Partituren kopiert, die Stühle und die Pulte aufgestellt, einfach alles. Dann ließ man mich eine Probe, danach ein Konzert leiten. Außerdem besuchte ich die Musikhochschule, die Manhatten School of Music. Dann durfte ich die Orchesterproben für berühmte Dirigenten vorbereiten und lernte dabei meine Mentoren Charles Dutoit, Kurt Masur und Kenneth Kiesler kennen, die mich unterrichteten. In den USA und in New York habe ich gelernt, die Zweifel zu überwinden und die Gelegenheiten beim Schopf zu packen."
    Mit 23 Jahren gründete Alondra de la Parra das Orquesta de las Américas, das Orchester der beiden Amerikas. Das mexikanische Generalkonsulat hatte sie gebeten, ein Konzert mit mexikanischer Musik zu organisieren. Als sie endlich ein Orchester auf die Beine gestellt hatte, fanden die Diplomaten das zu teuer. Die Idee war jedoch geboren: Musik von Kanada bis Feuerland aufzuführen. So entstand das Orquesta de las Américas.
    "Wir haben inzwischen drei internationale Tourneen durchgeführt, zwei CDs herausgebracht und davon 130.000 Exemplare verkauft. Außerdem haben wir ein mir sehr wichtiges Bildungsprogramm gestartet, mit dem bereits Kinder mit sieben oder acht Jahren ans Dirigieren herangeführt werden. Und wir haben viermal einen Kompositions-Wettbewerb für beide Amerikas ausgeschrieben. In den letzten Jahren ist das Orchester nur dann aufgetreten, wenn es konkrete Projekte gab."
    Musik: Chávez, PS-Suite
    2010 erschien Alondra de la Parras erstes Doppelalbum mit dem Titel "Meine mexikanische Seele" zur Zweihundertjahrfeier der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes. Darin vereinte sie die wichtigsten Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Zu ihnen gehört Carlos Chávez. Er ist der Pionier der sinfonischen Musik und hat in den 1930er Jahren damit begonnen, mexikanische, vor allem auch indigene Elemente mit europäischen Rhythmen zu verschmelzen – wie in der Suite Caballos de vapor (Pferdestärken).
    Power-Frau mit pädagogischem Eros
    Alondra de la Parra gehört zu der nach wie vor kleinen Gruppe von Dirigentinnen, denen es gelungen ist, sich international durchzusetzen. Männliche Vorurteile oder gar Diskriminierungen hat sie nicht erlebt. Gestützt auf ihre hoch entwickelte musikalische Intelligenz hat sie es geschafft, im letzten Jahrzehnt mehr als 70 Orchester in aller Welt zu dirigieren, u.a. einige der namhaftesten wie das London Symphony Orchestra und das Orchestre de Paris. Ab 2017 wird sie das Queensland Symphony Orchestra in Australien als Chedirigentin leiten. Dann ist sie 37 Jahre. Doch nach wie vor liegt ihr die Arbeit mit Nachwuchsmusikern besonders am Herzen, zum Beispiel mit dem Bundesjugendorchester.
    "Als erstes habe ich ihnen gesagt: Ich will nichts mehr davon hören, dass ihr Deutschen keine lateinamerikanischen Rhythmen adäquat spielen könnt. Mit diesem Vorurteil ist jetzt Schluss. Es ist völlig unlogisch, denn die mexikanische Musik hat österreichisch-deutsche Einflüsse, schließlich hat bei uns einmal Kaiser Maximilian regiert. Unsere Folklore basiert auf dem Rhythmus Umtata-Umtata. Sie haben gelacht. Und es gibt noch viel mehr Beispiele. Von da an hatten sie keine Probleme mehr mit dem Rhythmus."
    Wer Alondra de la Parra bei ihrer Arbeit mit den Jugendlichen beobachtet, erlebt ihre außergewöhnliche Zuneigung zu den Musikern, ihre Begeisterung für deren Talent. Sie strahlt Energie und pädagogischen Eros aus. Und die jungen Leute, niemand älter als 19 Jahre, antworten darauf mit einem enthusiastischen Spiel. Sie streicht nie die allwissende Maestra heraus, denn für sie ist das Dirigieren, ganz gleich mit welchem Orchester, Kollektivarbeit. Auf dem Programm von Alondra de la Parra steht nicht nur die Musiktradition Mexikos, sondern auch die Avantgarde, Komponisten wie der 42-jährige Enrico Chapela.
    "Er ist in einer ganz anderen als der mexikanischen Welt groß geworden: in einem internationalen, eklektischen Kontext. Und das hört man in seinem Werk: Es enthält arabische Klänge, Blues-Elemente und auch Mexikanisches, das in seiner nächsten Komposition dominiert. Mexiko besitzt eine uralte Kultur, die sich durch die unzähligen ausländischen Einflüsse zu einem neuen Reichtum entwickelt hat. Und dieser zeigt sich besonders in der sinfonischen mexikanischen Musik."
    Musik: Chapela, Magnetar
    "Magnetar" von Enrico Chapela ist ein gelungenes Beispiel für die fruchtbare Verarbeitung divergierender Musiktraditionen. In diesem Konzert für E-Cello und Orchester werden unterschiedlichste Klangwelten zusammengeführt von der klassischen Sinfonik über den Jazz bis zu Heavy Metal – eine Herausforderung, die Alondra de la Parra dem Bundesjugendorchester zumutete und die die jungen Musikerinnen und Musiker bravourös meisterten.