Krise der Wanderhütten
Notruf aus den Alpen

Viele Menschen zieht es im Sommer zum Wandern in die Berge. Um Wandern zu können, braucht es aber Wege und für die Rast eine Hütte. Und da liegt das Problem. Der Verband alpiner Vereine Österreichs sieht die Zukunft der Hütten und Wege in Gefahr.

Von Benedikt Kaninski |
Touristen geniessen den Ausblick von der Tvon einer Almhütte in Südtirol.
In den Alpen sind nach Darstellung von Experten viele Hütten und Wege nicht zuletzt als Folge der Klimakrise gefährdet. (dpa / picture alliance / M. Vahlsing)
Im Sommer 2021 löst sich ein Stück vom Hang im Oberbergtal in den Stubaier Alpen in Tirol. Felsblöcke und Geröll donnern Richtung Tal. Ein Jahr später gehen bei Unwettern Steinlawinen ab und verschütten die Zufahrtstraße. 120 Menschen sitzen zu diesem Zeitpunkt auf der Franz-Senn-Hütte am Ende des Tals fest und müssen evakuiert werden.
"Wo einfach die Versorgung der Hütte nicht mehr gewährleistet war, wo es darum gegangen ist, dass man die Hütte auch für eine Weile mit dem Helikopter versorgen musste, weil es über den Landweg nicht mehr ging", erinnert sich Thomas Fankhauser. Er ist der Hüttenwirt auf der Franz-Senn-Hütte, die auf 2147 Metern liegt. Damals hatte er große Angst für immer schließen zu müssen.  
"Da bewegt sich schon Einiges. Und über die Jahre, die man jetzt da ist kann man schon wirklich sagen: Das bewegt sich schon in eine Richtung, wo es immer schwieriger wird."

Der Klimawandel macht es komplexer für die Berge

Durch den Klimawandel kommen starke Niederschläge in kürzerer Zeit in den Alpen immer häufiger vor, erklärt die Zentralanstalt für Metorologie und Geodynamik in Österreich. Außerdem sorgen schmelzende Gletscher für immer bröckligere Berge.
Bis heute konnte ein Teil der Zufahrtstraße im Oberbergtal nicht geräumt werden. Die Kosten für die Instandhaltung der Hütte sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Lebensmittel und Getränke kann Thomas Fankhauser mit einer Materialseilbahn auf den Berg bringen.

Eine Zukunft ohne Hütten in den Alpen?

Mit dem Helikopter wäre das viel zu teuer. Trotz der schwierigen Lage kann Fankhauser sich eine Zukunft ohne Hütten in den Alpen nicht vorstellen. "Ich glaube, dass dann der wirtschaftliche Ertrag für die Tourismusdestination Österreich und auch die Alpen. Dann ist das sicherlich nicht mehr so interessant und relevant, wie es jetzt ist."
So wie Thomas Fankhauser geht es vielen Hüttenwirten in Süddeutschland und Österreich. Der Verband alpiner Vereine Österreichs hat deshalb im Frühjahr eine Petition mit dem Titel „Notruf aus den Alpen: Gemeinsam Hütten und Wege retten!“ eingerichtet.

Ruf nach Notfallpaket für die Hütten

Knapp 60.000 Menschen haben sie bisher unterschrieben. Der Verband fordert darin von der Regierung ein Notfallpaket von 95 Millionen Euro zur Rettung der Schutzhütten und Wege und eine Verankerung des Themas im Regierungsprogramm.
"Wir werden in der freien Wirtschaft da keine großen Unterstützer finden", weiß auch Ernst Schick, er ist Vizepräsident des Deutschen Alpenvereins, der rund 350 Hütten in den Alpen betreibt. Es geht nicht ohne Steuergelder, glaubt er.
"Wir haben sicherlich ein paar Unterstützer, aber die Hauptlast muss zusätzlich die öffentliche Hand übernehmen. Weil wir einfach die ganze Infrastruktur zur Verfügung stellen und dafür auch Nichts verlangen. Und dann schon auch hoffen, dass uns die öffentliche Hand bei diesen Aufwendungen unterstützt."

Pro Jahr schließen drei bis vier Hütten

In Österreich ist die Lage inzwischen so zugespitzt, dass pro Jahr drei bis vier Hütten schließen müssen. Über 250 Schutzhütten und rund 50.000 Kilometer Wanderwege befinden sich laut dem Verband der alpinen Vereine in einem kritischen Zustand. Die österreichische Bundesregierung hat sich bisher nicht zu der Petition geäußert, in der sie auch aufgefordert wird, den Schutz der Hütten im Regierungshandeln zu verankern.
Dass der alpine Tourismus selbst ein Problem für das Klima ist, beklagt Ulrike Pröbstl-Haider vom Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung in Wien. Es brauche mehr Respekt von Seiten der Wanderer, fordert sie im österreichischen Radio Ö1.
"Wir haben ja jetzt oft das Phänomen, dass durch das Smartphone eigene Wege gesucht werden und dadurch Probleme entstehen, weil Leute in Gefahrenbereiche hineinlaufen können, wenn sie die Wege verlassen. Also generell sind Wege schon eine wichtige Lenkungsmaßnahme, aber auch da muss man glaub ich vielleicht unter dem Einfluss des Klimawandels und der Gefahrenstellen, drüber nachdenken, ob wir die überall in der Form weiter brauchen."

Wanderer sind selber das Problem

Wanderer sollten demnach auf den markierten Wegen bleiben und darüber nachdenken, ob sie nicht mit dem Zug statt dem Auto in den Alpen-Urlaub fahren könnten. Pröbstl-Haider fordert, dass über einen sanften Tourismus nachgedacht werden müsse, der die Landschaft und ihre fragile Biodiversität schütze.
Geschützt werden müssen, darauf setzt auch die Petition „Notruf aus den Alpen“, die Wanderwege und die traditionelle Hüttenkultur. Auch die Zahl der Ehrenamtlichen, die Jahr für Jahr beim Wetterfestmachen helfen, nimmt spürbar ab. Deshalb will der Deutsche Alpenverein versuchen, viele von der Wichtigkeit der Hütten und Wege zu überzeugen, auch die, die nicht oft in den Bergen sind. Sonst, so Vizepräsident Ernst Schick sei die Rettung der alpinen Infrastruktur nicht mehr möglich.

Vielen Hüttenstandorten dort das Aus

"Dann werden wir mehr Hüttenstandorte und auch alpine Wege nicht mehr unterhalten können, sondern müssen die auch aufgeben. Und das denke ich ist oder wäre ein Szenario, dass sich keiner wünscht."
Für die Hüttenwirte in den Alpen geht es erst einmal darum den Betrieb aufrecht zu erhalten. Thomas Fankhauser auf der Franz-Senn-Hütte in den Stubaier Alpen hat den Wetterbericht immer im Blick. Er bereitet sich vor auf die nächsten starken Regenfälle, die schon wieder angekündigt sind.