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Als Billigarbeiter geschätzt, als Mitbürger nicht überall erwünscht

Rund zwölf Millionen illegale Immigranten leben in den USA. Sie stellen fünf Prozent der amerikanischen Arbeitskräfte, in einigen Branchen geht ohne sie gar nichts mehr. Dennoch sind sie bloß Bürger zweiter Klasse, leiden unter teils katastrophalen Arbeitsbedingungen. Ein Gesetzentwurf, nach dem illegale Einwanderung strafbar werden soll, hat jetzt die Illegalen wachgerüttelt und dazu gebracht, für ihre politischen Anliegen auf die Straße zu gehen.

Von Christina Janssen |
    Erntezeit in den fruchtbaren Ebenen der kalifornischen Westküste, nördlich von Los Angeles. Auf den Erdbeer-, Salat- und Gemüsefeldern arbeiten in diesen Monaten Zehntausende, die meisten von ihnen illegale Immigranten aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern.

    Eine von ihnen ist Madia. Routiniert packt sie ein Bündel Mangoldstängel, schneidet sie mit einem scharfen Messer ab und verfrachtet das Grünzeug in einen Karton.

    "Die Arbeit hier ist ganz schön hart, vor allem wenn es regnet. Aber seit die Gewerkschaft einen Vertrag für uns ausgehandelt hat, ist es etwas besser geworden. "

    Gut neun Stunden am Tag steht Madia in gebückter Haltung auf dem Feld. Sie wird nach Leistung bezahlt und schafft zurzeit sieben bis neun Dollar pro Stunde. Vor sechs Jahren kam sie mit ihrem Mann Jose nach Kalifornien. Seitdem versuchen die beiden, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Bislang ohne Erfolg. Wir sind schon so lange hier, wir arbeiten hart, sagt die 46-Jährige, und haben trotzdem keine Rechte.

    "Einmal musste ich ins Krankenhaus, ich hatte schlimme Rückenschmerzen. Aber die haben gesagt: Ohne Papiere behandeln wir dich nicht."

    Danach waren die Rückenschmerzen weg, sagt Madia. Vor Wut. Dabei stehen sie und ihr Mann vergleichsweise gut da. In vielen Betrieben, so Diana Tellefson von der Agrar-Gewerkschaft United Farm Workers, verdienen die Arbeiter nicht einmal sechs Dollar die Stunde - und das bei katastrophalen Arbeitsbedingungen.

    "Wir hatten gerade eine Kampagne laufen bei einem der größten Speisetraubenproduzenten landesweit. Die Firma macht enormen Profit. Und trotzdem mussten die Leute dort noch auf den Knien arbeiten beim Traubenpflücken und Verpacken. Es gab keine Sackkarren, um die schweren Kisten die Hänge hinunter zu transportieren. Und das alles bei 35 Grad, ohne Sonnenschutz, und bei Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden am Tag. Zwei Arbeiter sind dort im letzten Jahr an Hitzschlag gestorben."

    Sich über solche Zustände zu beklagen, davor schrecken die meisten bisher zurück. Ihr rechtlicher Status macht es ihnen bislang denkbar schwer, sich zur Wehr zu setzen.

    "Die Arbeitgeber setzen sie damit unter Druck, dass sie keine Papiere haben. Die Leute haben Angst, dass sie ihren Job verlieren, wenn sie den Mund aufmachen oder dass sie abgeschoben werden. Das ist die Realität, mit der wir leben müssen."

    Rund zwölf Millionen illegale Immigranten leben in den USA. Und neuerdings gehen sie, Leute wie Madia und Jose, für ihre politischen Anliegen auch auf die Straße.

    "Wir wollen Amerikaner sein. Wir haben es verdient. Wir sollten das Recht haben, genauso zu sein, wie alle anderen Amerikaner."

    "Die Amerikaner glauben, dass wir keine Steuern zahlen, nur weil wir aus Mexiko sind. Aber das stimmt nicht. Wir zahlen immer, jedes Jahr."

    Ähnliche Szenen hat es schon einmal gegeben: in den 60er und 70er Jahren, als Latino-Führer Cesar Chavez die kalifornischen Landarbeiter zu Streiks und Boykotten aufrief. Chavez wurde zum Gründungsvater der lateinamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Auf ihn berufen sich die Demonstranten auch heute. Nach Jahrzehnten des Schweigens, so scheint es, entdecken die Latinos das Selbstbewusstsein von damals wieder. Wachgerüttelt hat sie ein Gesetzentwurf, den das US-Repräsentantenhaus im Dezember verabschiedet hat - mit den Stimmen der republikanischen Mehrheit, aber auch einiger Demokraten. Er sieht vor, illegale Einwanderung als Verbrechen zu ahnden und einen Zaun entlang der mexikanischen Grenze zu bauen.

    Dass dieser Entwurf aller Voraussicht nach nicht umgesetzt wird, hat nicht nur mit den wütenden Protesten der Einwanderer zu tun. Es geht schlicht um ökonomische Fakten:

    Die so genannten Illegalen stellen immerhin fünf Prozent der amerikanischen Arbeitskräfte. Und einige Branchen kommen ohne sie gar nicht mehr aus, sagt James P. Smith von der RAND Corporation, einem einflussreichen Think Tank in Santa Monica.

    "Die Landwirtschaft zum Beispiel. 80 Prozent der Arbeiter auf den kalifornischen Feldern sind illegale Einwanderer. In der Textilindustrie sind es 90 Prozent. In bestimmten Bereichen sind also praktisch alle Beschäftigten illegale Immigranten. Das sind Jobs, die Amerikaner nie machen würden für so wenig Geld. Und deshalb würden diese Branchen ohne die illegalen Einwanderer in den USA nicht mehr existieren. "

    Kein Wunder also, dass einige Industrieverbände die Interessen der Immigranten lautstark unterstützen: Es sind die eigenen. Wer Illegale beschäftigt, dem ist zudem nicht nur die Erdbeer- oder Salat-Ernte sicher, es drohen auch saftige Geldstrafen. Und vielen Unternehmern wäre es ohnehin lieber, langfristig und auf einer rechtlich gesicherten Basis mit ihren Billigarbeitern planen zu können. James Bogart vom Agrar- und Handelsverband Grower-Shipper-Association in Kalifornien:

    "Die Industrie - und unser Verband ganz besonders-– hat große Sympathie für die Proteste und die Anliegen der Immigranten. Die Agro-Industrie setzt sich an vorderster Front ein für eine effektive Reform der Einwanderungsgesetze. Und dazu gehört auch eine Anpassung des legalen Status dieser Arbeiter, eine Amnestie, wenn Sie so wollen."

    Auch Migrationsexperte James Smith von der RAND Corporation sieht in einer Legalisierung den einzig gangbaren Weg.

    "Viele Arbeiter ohne Papiere sind seit 10, 15 Jahren hier. Sie sind in die amerikanische Kultur integriert, das sind unsere Nachbarn. Sie zurückzuschicken, wo wir ihnen doch implizit erlaubt haben, hier zu bleiben, wäre unmenschlich. Eine ganz andere Geschichte ist es mit denen, die noch nicht hier sind. Da geht es dann um Fragen der Grenzkontrollen und um eine Entscheidung, wer kommen darf und wer nicht. "

    Die Nationalhymne der USA auf Spanisch, Anfang des Monats haben einige prominente Latino-Popstars diese neue Fassung veröffentlicht. Und die Reaktionen darauf haben gezeigt, woran die Geister sich scheiden: Die einen sehen darin ein Zeichen der Integrationsbereitschaft, die anderen die blanke Provokation. Das Thema Einwanderung spaltet die Nation. Der Riss geht nicht nur durch den US-Kongress und die Parteien, sondern quer durch die Gesellschaft.

    Demonstrantin: "Ich glaube, dieses Land sollte sich an die Leute erinnern, die es gegründet haben. Wir sind ein Einwanderungsland. Ja, wir haben auch ein Problem mit der Einwanderung. Wir müssen es lösen und zusehen, dass sich alle daran beteiligen, dieses Land besser zu machen. "

    Demonstrant: "Die Illegalen nehmen uns die Jobs weg. Sie arbeiten für drei Dollar die Stunde. Und für uns Amerikaner bleibt nichts. Ich sammle alte Dosen, um über die Runde zu kommen."

    Demonstrantin: "Diese Leute passen auf unsere Kinder auf, putzen unsere Häuser, im Hotel machen sie unsere Zimmer. Sie kümmern sich um uns. Und wir sagen ihnen, sie sollen verschwinden. Das ist nicht richtig."

    Kaum ein Thema brennt den Amerikanern so auf den Nägeln, kaum eines wird so emotional diskutiert. Auch US-Präsident Bush ging in seiner Fernsehansprache aus dem Oval Office von gestern auf die Problematik ein.

    Amerika sei eine Nation von Einwanderern und diese Tradition solle bewahrt werden, so Bush. Amerika sei aber auch eine Nation von Gesetzen. Und Gesetze müssten eingehalten werden, betonte Bush. Er kündigte an, zur Grenzsicherung nach Mexiko bis zu 6000 Nationalgardisten einzusetzen, eine spektakuläre Konzession an die Rechtskonservativen. Zugleich unterstützte der US-Präsident aber auch einen bereits kursierenden Gesetzesvorschlag im Senat, einem Großteil der rund zwölf Millionen Illegalen im Land den Weg in die Einbürgerung zu öffnen. Dieser vom republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Bill Frist, und seinem demokratischen Gegenspieler Harry Reid ausgehandelten Kompromiss teilt die illegalen Immigranten in drei Gruppen: Wer seit fünf Jahren oder länger in den USA lebt, soll die Möglichkeit bekommen, Staatsbürger zu werden. Wer zwei bis fünf Jahre im Land ist, kann sich um einen Status als Gastarbeiter bewerben. Wer kürzer als zwei Jahre da ist, muss dem neuen Vorschlag zufolge zurück nach Hause. Außerdem soll die Grenze schärfer kontrolliert und ein Gastarbeiterprogramm aufgelegt werden.

    Frist: "Die Vorgehensweise, die wir vorschlagen, empfinden wir beide als sehr fair. Der Kompromiss wird dem Senat die Möglichkeiten geben, seinen Willen auszudrücken in einer sehr schwierigen Frage, auf die es wenige klare Antworten gibt."

    Reid: "Für niemanden ist das der Augenblick, von einem Sieg zu sprechen. Ich habe bestimmt nicht alles bekommen, was ich wollte. Bill Frist auch nicht. Aber Gesetzgebung bedeutet eben die Kunst, Kompromisse zu machen."

    Die Chancen für diesen Kompromiss sind jetzt gestiegen. Senator Jon Kyl aus Arizona, der eine restriktive Gesetzgebung befürwortet, meint: Ein Gesetz, dem er zustimmen solle, müsse drei Tests bestehen: An erster Stelle müsse es gewährleisten, dass die Grenzen besser gesichert werden.

    "Und zweitens: Ein Gastarbeiterprogramm bedeutet: Die Leute sind auf Zeit hier, solange es Arbeit für sie gibt. Es heißt nicht, dass sie kommen und dann eine Greencard oder die Staatsangehörigkeit bekommen. Und drittens: Man muss mit den Illegalen, die schon hier sind, zum einen human und fair umgehen. Man darf zum Beispiel keine Familien auseinanderreißen. Aber diejenigen, die hier sind und arbeiten wollen, müssen sich an einem Gastarbeiterprogramm auf Zeit beteiligen."

    In dieser Woche will der US-Senat den Kompromiss diskutieren. Sollte er je verabschiedet werden, dann steht immer noch die Konfrontation mit dem Repräsentantenhaus aus über dessen brüsken Gesetzentwurf vom Dezember, der all die Proteste in Gang gesetzt hat. Präsident Bush hat den Kompromissvorschlag der beiden Senatoren begrüßt – in seiner Fernsehansprache von gestern erneut. Auch er fordert ein Gastarbeiterprogramm. Genau das hielte RAND-Experte James Smith allerdings für einen äußerst fragwürdigen Ansatz-

    "Das Problem mit Gastarbeiterprogrammen - und das wissen die Deutschen ja am besten - ist: Gäste denken immer, sie sind willkommen. Die Idee, dass die Arbeiter nur für kurze Zeit kommen, Schulen und Sozialwesen nicht in Anspruch nehmen und wieder gehen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, funktioniert nicht. Die Leute kommen, sie gewöhnen sich an das neue Land, sie beschließen, wir sind jetzt Amerikaner oder Deutsche, und dann wollen sie bleiben. Das sollte uns auch nicht überraschen. Ein Gastarbeiterprogramm, das klingt nach der idealen Lösung. Aber meistens funktioniert es nicht."

    Was aber tun, um die Zuwanderung sinnvoll zu steuern? Allein im vergangenen Jahr haben die US-Behörden nach eigenen Angaben weit über eine Million Menschen an der mexikanischen Grenze abgefangen. Mehrere Hunderttausend dürften es tatsächlich geschafft haben, in den USA Fuß zu fassen. Und während nun in Washington heftig über die Ankündigung von Präsident Bush diskutiert wird, die Nationalgarde für Grenzpatrouillen einzusetzen, greift eine Gruppe von Immigrationsgegnern, die so genannten Minutemen, zur Selbsthilfe.:

    "Wir brauchen die Nationalgarde, um die Landesgrenzen zu schützen. Und wir brauchen einen Stab von Ingenieuren, die einen Zaun konstruieren, der 150 Jahre Bestand hat."

    Die selbst ernannten Grenzschützer schicken bewaffnete Patrouillen an die mexikanische Grenze, und sie haben einen Protestzug von Los Angeles nach Washington organisiert, um gegen die Einwanderer mobil zu machen. Doch bei der Auftaktveranstaltung in einem vorwiegend von Afroamerikanern bewohnten Stadtteil in Los Angeles stießen die militanten Immigrationsgegner auf ein geteiltes Echo:

    "Wir haben eine Krise in diesem Land. Hier wird jeder den Schwarzen vorgezogen, selbst wenn er nicht mal Staatsbürger ist. Ihr habt hier überhaupt keine Rechte! "

    ""Wir sind schwarz, wir sind braun – und ihr kriegt uns nicht unter! Minutemen, Ihr schert Euch einen Dreck um die Schwarzen! Gott schütze Amerika! Verschwindet!"

    Minuteman-Aktivist Scott Small ist mit seiner Frau und zwei Babys gekommen. Er ist weiß, Lehrer und hat sich drei Tage frei genommen, um bei der Protestkarawane quer durchs Land dabei zu sein.

    "Wir sind keine Rassisten, auch wenn viele das behaupten. Wir mögen Mexikaner und alles. Aber es ist wichtig, eine gut bewachte Grenze zu haben. Das verhindert auch, dass die Illegalen hier zu Sklaven werden - ohne Papiere. Und das ist für alle wichtig."

    Die Unterstützung für diese Art von Altruismus hält sich in Grenzen. Doch vielen Amerikanern bereitet der wachsende Zustrom an Immigranten Sorge. Was sie umtreibt, so Ökonom James Smith, sind weniger die wirtschaftlichen Folgen als die Angst vor kultureller Überfremdung. Im Sonnenstaat Kalifornien ist schon heute jeder dritte Einwohner lateinamerikanischer Herkunft, in Los Angeles beinahe jeder zweite.

    "In allen Umfragen sind etwa 60 Prozent gegen die Immigranten und 40 Prozent dafür. Gleichzeitig sind die Amerikaner sehr stolz auf ihre Geschichte als Einwanderungsland. Wir sind ambivalent in dieser Frage. Immerhin haben wir, anders als Europa, nicht 30, 40 Jahre Erfahrung mit der Einwanderung, sondern mehrere 100 Jahre. Kulturelle Veränderung, das hat es in der amerikanischen Geschichte schon oft gegeben, als die Deutschen gekommen sind, als die Iren gekommen sind, die Asiaten. Und jetzt werden die Latinos kommen. Und sie werden sich am Ende mehr anpassen als wir uns."

    Farmarbeiterin Madia und ihr Mann hoffen unterdessen weiter auf gültige Papiere. Sollte der neue Kompromissvorschlag, der jetzt im US-Senat verhandelt wird, je Gesetz werden, dann brächten sie immerhin die Voraussetzungen für eine Staatsbürgerschaft mit. Denn sie leben und arbeiten seit sechs Jahren in den USA. Englisch sprechen sie beide nicht. Aber sie träumen auf Spanisch von bescheidenem Wohlstand:

    "Wovon ich träume? - Ich hätte irgendwann gern ein Haus, statt zu Miete zu wohnen."