Am 14. Oktober 1933 notierte der Kunstmäzen und Diplomat Harry Graf Kessler, der im Frühjahr nach Paris geflüchtet war, in sein Tagebuch:
"Die Nachmittagszeitungen bringen die Nachricht, daß die Hitler-Regierung ihren Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz proklamiert. Das hat hier und, wie es scheint, auch in London wie eine Bombe eingeschlagen. In der Tat ist es das folgenschwerste europäische Ereignis seit der Ruhrbesetzung. Es kann in kurzer Zeit zur Blockade Deutschlands und vielleicht zum Krieg führen."
Ein Krieg zu diesem frühen Zeitpunkt – das war gerade das, was der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte "Führer" der NSDAP nicht wollte. Nichts fürchtete er in seinen ersten Regierungsmonaten mehr als einen bewaffneten Konflikt mit den Westmächten, in dem das militärisch noch schwache Deutschland nur unterliegen konnte. Deshalb suchte er die internationale Öffentlichkeit zu beschwichtigen, indem er versicherte, dass er für sein Land nichts anderes wolle, als den ihm zustehenden gleichberechtigten Platz unter den Nationen. Scheinbar setzte er damit den auf Verständigung angelegten außenpolitischen Kurs der Weimarer Republik fort. Tatsächlich aber wollte Hitler nur Zeit gewinnen, um die Aufrüstung zu beschleunigen und sich der Fesseln des Versailler Vertrages zu entledigen.
Dabei kam ihm zur Hilfe, dass die Abrüstungsverhandlungen in Genf seit dem Frühjahr 1933 ins Stocken geraten waren. Franzosen und Briten boten den Deutschen zwar einige Zugeständnisse an, waren aber aus guten Gründen nicht bereit, sie als gleichberechtigte Partner auf dem Rüstungssektor zu akzeptieren. Die Reichswehrführung unter Minister Werner von Blomberg drängte deshalb darauf, die deutschen Vertreter aus Genf abzuziehen und gleichzeitig den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund zu verkünden. Nach einigem Zögern stimmte Hitler Anfang Oktober 1933 zu. Am 13. wurde das Kabinett in Kenntnis gesetzt, am Abend des 14. Oktober wandte sich der Diktator in einer Rundfunkansprache an das deutsche Volk. Er kündigte an, dass am 12. November eine Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund stattfinden solle, verbunden mit einer Neuwahl des erst am 5. März gewählten Reichstags.
"Möge es dieser gewaltigen Friedens- und Ehrkundgebung unseres Volkes gelingen, dem inneren Verhältnis der europäischen Staaten untereinander jene Voraussetzung zu geben, die zur Beendigung nicht nur eines jahrhundertelangen Haders und Streits, sondern auch zum Neuaufbau einer besseren Gemeinschaft erforderlich ist. Der Erkenntnis einer höheren gemeinsamen Pflicht auf gemeinsamen gleichen Rechten."
In seiner 1939 im Exil geschriebenen "Geschichte eines Deutschen" hat Sebastian Haffner geschildert, wie er als Referendar im Gemeinschaftslager in Jüterbog südlich von Berlin die Hitler-Rede erlebte:
"Als er ausgeredet hatte, kam das Schlimmste. Die Musik signalisierte: Deutschland über alles, und alles hob die Arme. Ein paar mochten, gleich mir, zögern. Es hatte so etwas scheußlich Entwürdigendes. Aber wollten wir unser Examen machen oder nicht? Ich hatte, zum ersten Mal, plötzlich ein Gefühl so stark wie ein Geschmack im Munde – das Gefühl: "Es zählt ja nicht. Ich bin es gar nicht, es gilt nicht." Und mit diesem Gefühl hob auch ich den Arm und hielt ihn ausgestreckt in der Luft, ungefähr drei Minuten lang."
Wieder setzte Goebbels alle Hebel der Propaganda in Bewegung. Eine Welle von Großkundgebungen ging durchs Land. Am Vorabend des 12. November forderte auch Reichspräsident Hindenburg zur Unterstützung der Hitler-Regierung auf:
"Bekennt Euch mit mir und dem Kanzler zum Grundsatz der Gleichberechtigung und für den Frieden in Ehren und zeigt der Welt, dass wir wiedergewonnen haben und mit Gottes Hilfe festhalten wollen die deutsche Einigkeit!"
Das Ergebnis – 95 Prozent Zustimmung bei der Volksbefragung, 92 Prozent für die Einheitsliste der NSDAP – war ein Triumph für Hitler. Seine Stellung im Innern war dadurch gestärkt. Nach außen aber bedeutete der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund das definitive Ende der unter Gustav Stresemann eingeleiteten Verständigungspolitik. Fortan sollte der Diktator mit seinen außenpolitischen Schachzügen Europa und die Welt nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.
"Die Nachmittagszeitungen bringen die Nachricht, daß die Hitler-Regierung ihren Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz proklamiert. Das hat hier und, wie es scheint, auch in London wie eine Bombe eingeschlagen. In der Tat ist es das folgenschwerste europäische Ereignis seit der Ruhrbesetzung. Es kann in kurzer Zeit zur Blockade Deutschlands und vielleicht zum Krieg führen."
Ein Krieg zu diesem frühen Zeitpunkt – das war gerade das, was der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte "Führer" der NSDAP nicht wollte. Nichts fürchtete er in seinen ersten Regierungsmonaten mehr als einen bewaffneten Konflikt mit den Westmächten, in dem das militärisch noch schwache Deutschland nur unterliegen konnte. Deshalb suchte er die internationale Öffentlichkeit zu beschwichtigen, indem er versicherte, dass er für sein Land nichts anderes wolle, als den ihm zustehenden gleichberechtigten Platz unter den Nationen. Scheinbar setzte er damit den auf Verständigung angelegten außenpolitischen Kurs der Weimarer Republik fort. Tatsächlich aber wollte Hitler nur Zeit gewinnen, um die Aufrüstung zu beschleunigen und sich der Fesseln des Versailler Vertrages zu entledigen.
Dabei kam ihm zur Hilfe, dass die Abrüstungsverhandlungen in Genf seit dem Frühjahr 1933 ins Stocken geraten waren. Franzosen und Briten boten den Deutschen zwar einige Zugeständnisse an, waren aber aus guten Gründen nicht bereit, sie als gleichberechtigte Partner auf dem Rüstungssektor zu akzeptieren. Die Reichswehrführung unter Minister Werner von Blomberg drängte deshalb darauf, die deutschen Vertreter aus Genf abzuziehen und gleichzeitig den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund zu verkünden. Nach einigem Zögern stimmte Hitler Anfang Oktober 1933 zu. Am 13. wurde das Kabinett in Kenntnis gesetzt, am Abend des 14. Oktober wandte sich der Diktator in einer Rundfunkansprache an das deutsche Volk. Er kündigte an, dass am 12. November eine Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund stattfinden solle, verbunden mit einer Neuwahl des erst am 5. März gewählten Reichstags.
"Möge es dieser gewaltigen Friedens- und Ehrkundgebung unseres Volkes gelingen, dem inneren Verhältnis der europäischen Staaten untereinander jene Voraussetzung zu geben, die zur Beendigung nicht nur eines jahrhundertelangen Haders und Streits, sondern auch zum Neuaufbau einer besseren Gemeinschaft erforderlich ist. Der Erkenntnis einer höheren gemeinsamen Pflicht auf gemeinsamen gleichen Rechten."
In seiner 1939 im Exil geschriebenen "Geschichte eines Deutschen" hat Sebastian Haffner geschildert, wie er als Referendar im Gemeinschaftslager in Jüterbog südlich von Berlin die Hitler-Rede erlebte:
"Als er ausgeredet hatte, kam das Schlimmste. Die Musik signalisierte: Deutschland über alles, und alles hob die Arme. Ein paar mochten, gleich mir, zögern. Es hatte so etwas scheußlich Entwürdigendes. Aber wollten wir unser Examen machen oder nicht? Ich hatte, zum ersten Mal, plötzlich ein Gefühl so stark wie ein Geschmack im Munde – das Gefühl: "Es zählt ja nicht. Ich bin es gar nicht, es gilt nicht." Und mit diesem Gefühl hob auch ich den Arm und hielt ihn ausgestreckt in der Luft, ungefähr drei Minuten lang."
Wieder setzte Goebbels alle Hebel der Propaganda in Bewegung. Eine Welle von Großkundgebungen ging durchs Land. Am Vorabend des 12. November forderte auch Reichspräsident Hindenburg zur Unterstützung der Hitler-Regierung auf:
"Bekennt Euch mit mir und dem Kanzler zum Grundsatz der Gleichberechtigung und für den Frieden in Ehren und zeigt der Welt, dass wir wiedergewonnen haben und mit Gottes Hilfe festhalten wollen die deutsche Einigkeit!"
Das Ergebnis – 95 Prozent Zustimmung bei der Volksbefragung, 92 Prozent für die Einheitsliste der NSDAP – war ein Triumph für Hitler. Seine Stellung im Innern war dadurch gestärkt. Nach außen aber bedeutete der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund das definitive Ende der unter Gustav Stresemann eingeleiteten Verständigungspolitik. Fortan sollte der Diktator mit seinen außenpolitischen Schachzügen Europa und die Welt nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.