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Als Korrespondent im Nahostkonflikt
Berichterstattung unter Beschuss

Eben noch Berichte aus dem Land der glücklichen Geimpften, jetzt Kriegsreporter: So hat sich die Lage geändert für Korrespondentinnen und Korrespondenten, die in Israel und den palästinensischen Gebieten arbeiten. Eine gefährliche neue Situation mit besonderen Herausforderungen.

Text von Michael Borgers / Tim Aßmann im Gespräch mit Sebastian Wellendorf |
ARD-Korrespondent Mike Lingenfelser mit Mikrofon vor einem Nacht-Panorama Tel Avivs
ARD-Korrespondent Mike Lingenfelser berichtet, während im Hintergrund Sirenen heulen (ARD / Screenshot Tagesschau)
Der Beschuss von Tel Aviv beginnt um 20 Uhr am Dienstagabend, genau wie die "Tagesschau" im Ersten in Deutschland. Dort wird gleich zu Beginn zu Korrespondent Mike Lingenfelser geschaltet. So können Zuschauerinnen und Zuschauer live miterleben, wie die Sirenen einsetzen. Die Lage sei "gefährlich eskaliert", kommentiert Lingenfelser die Situation und fügt hinzu: "Dutzende Raketen sind über der Stadt." Währenddessen der sorgenvolle Blick Richtung Himmel.
Bereits zuvor hat der ARD-Journalist auf Twitter über die neuesten Entwicklungen geschrieben – und die Auswirkungen für sich und seine Familie. Seine Frau habe seit langem wieder den "Bunker" vorbereitet. Ein von ihm gepostetes Bild zeigt einen kleinen Raum, darin eine Matratze und Lebensmittelvorräte. Bei Alarm habe man etwa eine Minute, mit den Kindern diesen Schutzraum zu erreichen, so Lingenfelser.
In der Nacht dann weitere Tweets, einige mit Videos, die helle Raketen-Lichter am Himmel zeigen und in denen Explosionen sowie das andauernde Sirenengeheul zu hören sind. Er und seine Familie hätten im Bunker ausgeharrt, die Kinder zum Glück geschlafen, schreibt Lingenfelser gegen drei Uhr morgens.

Tim Aßmann: Auch für uns außergewöhnliche Situation

Auch er habe in der Nacht in seinen Luftschutzbunker umziehen müssen, sagte Tim Aßmann im Deutschlandfunk. Aßmann berichtet seit Jahren aus Israel und den palästinensischen Gebieten, lange als freier Korrespondent, inzwischen leitet er das ARD-Hörfunkstudio in Tel Aviv.
Bereits 2014 habe er eine ähnliche Situation in dem jahrzehntealten Nahostkonflikt erlebt, erinnert er sich. Doch die Angriffe nun stellten eine "neue Qualität" dar. "Auch für uns ist das eine außergewöhnliche Situation."
Und wann ist der Moment gekommen, die Berichterstattung zu beenden? Diese Entscheidung müsse er selbst treffen, so Aßmann. Am Ende gehe es darum, im Sinne der eigenen Sicherheit zu entscheiden. Anders als Journalisten, die aus Schwellenländern berichten, stünde ihm ja eine schützende Infrastruktur wie Bunker und Sirenen zur Verfügung.

Schwierige Region

Die Arbeitsbedingungen von Korrespondentinnen und Korrespondenten sind immer wieder Thema bei @mediasres. Auch dann, wenn sich in den Berichtsgebieten die Lage zuspitzt – und die Situation so zu gefährlich werden kann. Er könne mit Krisen umgehen, sei aber kein Kriegsreporter, erklärte Carsten Kühntopp vor gut zwei Jahren im Deutschlandfunk.
Der Korrespondent aus dem ARD-Studio Kairo will damals eigentlich nach Libyen reisen, als dort schon länger andauernde Gefechte immer blutiger werden und Dutzende Menschen sterben. Kühntopp sieht von der Recherchereise ab.
"Tripolis in diesen Tagen traue ich mir nicht zu"
2019: Die Krise in Libyen verschärft sich. Doch Berichterstattung über die Lage in dem Bürgerkriegsland ist problematisch, sagte ARD-Korrespondent Carsten Kühntopp im Dlf. Er ist meist auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen.
Ein anderes Land der Region, aus dem seit Jahren nur unter erschwerten Bedingungen berichtet werden kann, ist Syrien. Zu Beginn dieser Krise, 2013, wird ARD-Korrespondent Jörg Armbruster bei Dreharbeiten angeschossen und muss notoperiert werden.
Fünf Jahre später erzählt Björn Blaschke, ebenfalls ARD, im Deutschlandfunk, dass er nicht mehr Syrien besuchen darf, weil er dort auf einer "Schwarzen Liste" stehe. Berichte zu dieser Zeit sind für ihn nur noch möglich auf Grundlage von Agenturberichten und anderen Medien vor Ort.
Ähnliches berichtet nun auch Tim Aßmann. Anders als vor sieben Jahren noch sei es Journalisten dieses Mal verboten, aus dem Gaza-Streifen zu berichten.