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"Als Minister nicht tragbar"

Norman Weiss vom Doktorandennetzwerk Thesis will sich nicht mit den Äußerungen von Karl-Theodor zu Guttenberg zu seiner Doktorarbeit zufriedengeben. Der Verteidigungsminister habe mit seiner plagiierten Doktorarbeit "eine absolute Todsünde" im Wissenschaftsbetrieb begangen.

Norman Weiss im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, als Doktoranden verfolgen wir die gegenwärtige Diskussion um die Plagiatsvorwürfe gegen den Bundesminister der Verteidigung mit großer Erschütterung. Wir haben den Eindruck, dass Sie mit aller Macht versuchen einen Minister zu halten, der trotz massiver Gegenbeweise immer noch die Behauptung aufrecht erhält, er habe in seiner Doktorarbeit nicht bewusst getäuscht. Dies ist eine Verhöhnung aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Weise versuchen ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen." Das waren Auszüge aus einem offenen Brief, den mehr als 20.000 Nachwuchswissenschaftler unterzeichnet haben und der der Kanzlerin heute überreicht worden ist. Es wird immer enger für den Verteidigungsminister in der Copy-and-paste-Affäre. Mittlerweile üben auch Unionspolitiker offen Kritik an ihrem Politsuperstar und FDP-Leute fordern offen seinen Rücktritt. Norman Weiss ist Vorsitzender des Doktorandennetzwerks Thesis, er hat den Brief auch mit unterzeichnet. Ich grüße Sie, Herr Weiss.

    Norman Weiss: Guten Tag!

    Götzke: Herr Weiss, fühlen Sie sich auch persönlich durch die Kanzlerin verhöhnt?

    Weiss: Ja, kann ich eigentlich deutlich sagen. Ich denke, das geht auch vielen anderen in der Wissenschaft Tätigen so. Es sind viele Leute tatsächlich schockiert und vor den Kopf gestoßen.

    Götzke: Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan schämt sich jetzt auch öffentlich für ihren Kabinettskollegen, hat sie heute in der "Süddeutschen" gesagt. Sie sagt aber auch, wie jeder andere verdiene Guttenberg eine zweite Chance. Warum wollen Sie ihm die nicht zugestehen?

    Weiss: Es geht ja gar nicht so sehr um die Frage der zweiten Chance. Wir sind ja immer noch bei der ersten Chance und bei der Frage, welche Konsequenzen zieht man aus diesem Fehlverhalten? Man kann das natürlich leicht als rein wissenschaftliches Fehlverhalten abtun, in ihrem Statement hat die Bundeskanzlerin heute gesagt, es kämen andere Sachüberlegungen zum Tragen als eine Promotion. Aber es geht ja nicht nur um die Sache, es geht nicht nur um die reine, wissenschaftliche Leistung, es geht auch um die Frage, welche persönlichen Einstellungen hat jemand eigentlich dargelegt, wenn er eine Doktorarbeit – und es deutet darauf hin oder man kann es ja eigentlich sagen – wissentlich falsch oder kopiert eingereicht hat.

    Götzke: Und da sagen Sie, die Konsequenz kann nur der Rücktritt sein?

    Weiss: Ja, der Rücktritt oder die Entlassung. Aus meiner Sicht ist jemand, der so ehrverletzend umgeht, eigentlich als Minister nicht tragbar. Denn die Frage muss man sich ja schon stellen: Was erwarten wir eigentlich von einem Verteidigungsminister? Würden wir ein Grundmaß von Ehrlichkeit, von Lauterkeit nicht eigentlich erwarten von einem Politiker? Vielleicht sind viele da schon so enttäuscht von der Politik, dass man das gar nicht mehr erwarten kann. Von einem Verteidigungsminister würde ich es mir zumindest erwarten, und im Bereich der Wissenschaft gibt es glaube ich wenig Zweifel daran, dass er eine absolute Todsünde begangen hat, die sehr viele Leute als ganz große Ehrverletzung empfinden, wo man auch sagen muss: So eine Täuschung, die dann einfach übergangen wird sowohl von ihm selber als auch von der Kanzlerin, Frau Dr. Merkel – selbst promoviert –, das ist wirklich, das nehmen sehr viele Leute sehr persönlich.

    Götzke: Welches Signal sendet die Guttenberg-Affäre und der Umgang mit ihr an Studierende, die derzeit überlegen zu promovieren?

    Weiss: Ich finde erstaunlich, ich habe in den letzten Tagen, wenn ich mit Kollegen gesprochen habe, mit Bekannten, mit Mitgliedern von Thesis, fast immer die gleiche Frage gehört: Wie soll ich denn das meinen Studierenden erklären? Wie soll ich denn erklären, dass Ehrlichkeit und Lauterkeit, korrektes wissenschaftliches Arbeiten tatsächlich wichtig sind? Wie soll ich denen erklären, dass Plagiate tatsächlich drastische Folgen haben sollen und auch müssen, weil es da um den Selbstschutz der Wissenschaft und eben die viel zitierte Ehrlichkeit, Lauterkeit geht? Denn heutzutage müsste ich einem Studierenden, der mir ein Plagiat einreicht, ja eigentlich sagen, du, du, du, das macht man nicht, das weißt du auch, diese Seminararbeit darfst du jetzt aber zurückgeben und dann machen wir weiter wie bisher, das hat für dich überhaupt keine Konsequenzen. Hast du deine Diplomarbeit gefälscht? Überhaupt kein Problem, gib sie doch zurück, wir nehmen sie gerne zurück und dann schauen wir mal weiter, persönliche Konsequenzen hat das sowieso nicht! – Das kann man gegenüber Studierenden gar nicht vertreten, das ist auch nicht die Realität. In den letzten Jahren haben die meisten Universitäten die Prüfungsordnung ja dahin gehend verschärft, dass Studenten, die täuschen, die Plagiate schreiben, ja drastischere Konsequenzen bis hin zur Exmatrikulation zu befürchten haben. Auch sonst, wenn man plagiierte Doktorarbeiten mit normalem Maßstab misst, muss man sagen: In der Regel färbt das auf das Leben der Personen, die plagiiert haben, sehr stark ab. Die sind in der Wissenschaft unten durch.

    Götzke: Nur in der Wissenschaft, oder auch in ihrem Job, den sie sonst noch machen?

    Weiss: Na ja, es geht immer das Beispiel herum: Wenn das jemand an der Universität oder einer der beiden Universitäten der Bundeswehr getan hätte, der hätte dienstrechtliche Konsequenzen, und zwar deutlich empfindliche dienstrechtliche Konsequenzen natürlich gesehen. Das ist ja auch in der Wissenschaft sowieso so. Wenn Sie politischer Mandatsträger sind, müssen Sie natürlich auch Konsequenzen fürchten. Es sind durchaus schon genug Politiker wegen plagiierter Doktorarbeiten oder zum Beispiel fälschlich geführter Doktortitel zurückgetreten oder haben drastische Konsequenzen daraus ziehen müssen.

    Götzke: Die Werte sinken zwar, aber nach wie vor ist Karl-Theodor zu Guttenberg populärster Politiker Deutschlands. Nichtakademiker scheint es nicht sonderlich aufzuregen, was der Minister getan hat. Wie sehr ärgert Sie das?

    Weiss: Na ja, vielleicht muss man da eine Kleinigkeit erklären: Das ist wirklich so, dass Personen, die nicht in der akademischen Welt leben, die vielleicht nicht studiert haben, selbst bei Personen, die vor 20, 30 Jahren studiert haben und dann im Beruf waren, denen ist oft nicht klar, worum es hier eigentlich geht. Das wird oft auf eine Stufe gestellt mit, na ja, wer hat noch nicht gespickt in der Klausur in der Schule. Das ist ja einfach eine Verharmlosung, die aber eben auch von Frau Dr. Merkel wirklich gezielt betrieben wird, dass man sagt, na ja, also so schlimm war es jetzt nicht, dann geben wir den Doktortitel zurück und dann hat sich das damit erledigt. Ich denke, das ärgert sehr, sehr viele, diese Verharmlosung, die dahintersteckt. Auch die Tatsache, dass ja Leute viele, viele Jahre an diesem Doktortitel arbeiten. Ich habe heute das schöne Zitat gelesen: Neun Jahre, 430 Seiten, vier Richterjobs und zwei Kinder später bin ich endlich fertig. Erzählen Sie so einer Person mal, na ja, Doktortitel, für den ich zehn Jahre gearbeitet habe unter großen Entbehrungen – andere Leute, die schmeißen das innerhalb von zwei, drei Tagen hin. Das ist völlig bedeutungslos. Hier habt ihr ihn, das, wofür ich zehn Jahre gearbeitet habe. – Ich glaube, da kommen Sie schon wirklich sehr persönlich an viele Leute ran.

    Götzke: Sagt Norman Weiss, Vorsitzender des Doktorandennetzwerks Thesis. Vielen Dank für das Gespräch!

    Weiss: Bitte sehr!