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Vor 90 Jahren gesprengt
Als Moskaus Christ-Erlöser-Kathedrale Lenin-Statue weichen musste

Die Christ-Erlöser-Kathedrale prägte lange das Stadtbild Moskaus. Dann stand sie einem geplanten Sowjet-Palast im Weg - und wurde am 5. Dezember 1931 gesprengt.

Von Doris Liebermann |
Die Christ-Erlöser-Kathedrale am Ufer der Moskwa auf einer Fotografie um 1900
Die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau um 1900 (picture alliance / Mary Evans Picture Library)
[*] Anm. d. Red.: Im Titel haben wir eine missverständliche Formulierung korrigiert.

„In einer milden Aprilnacht saßen wir an der Steinbrücke. Die Kuppel der Christ-Erlöser-Kathedrale schwamm im dunklen Wasser der Moskwa wie ein großes goldenes Boot. ... Ich nahm einen Kiesel und warf ihn in die Spiegelung der Kathedralenkuppel. Das goldene Boot sprühte Funken, splitterte glitzernd, schwankte, von schwarzen Rissen durchschnitten. ‚Schauen Sie!‘ Von neuem schwamm im Strom das massive gleichmäßige Gold. Der Kiesel aber, der es zerrissen hatte, war spurlos verschwunden und vergessen.“
Eine Szene, die der russische Schriftsteller Anatólij Marienhóf in den 1920er Jahren geschildert hat. Wie ihr Spiegelbild im Wasser, schien die imposante Christ-Erlöser-Kathedrale unzerstörbar zu sein.

Zentrum des russisch-orthodoxen Lebens

Herbst 1812. Moskau in Flammen. Napoleon und die Grande Armée auf dem Rückzug. Zur Feier des Sieges will der russische Zar Alexander I. ein riesiges Gotteshaus bauen lassen. Am besten gefallen ihm die modernen, neoklassizistischen Entwürfe des jungen, unbekannten Architekten Karl Magnus Vitberg. Er ernennt ihn zum Erbauer. Alexanders Nachfolger Nikolaj I. verbannt ihn und betraut den Architekten Konstantin Ton mit dem Bau. Nicht weit vom Kreml entsteht eine Kathedrale im Stil des alten orthodoxen Russlands, mit Zwiebelkuppeln und Glockentürmen. 1883 geweiht, wird sie zum Zentrum des russisch-orthodoxen Lebens.

Es brauchte Platz für eine 70 Meter hohe Lenin-Statue

Nach der Oktoberrevolution 1917 entstand unter den Bolschewiki bald die Idee zum Bau eines monumentalen „Palastes der Sowjets“. Als Zeichen der neuen atheistischen Zeit sollte er mit revolutionärer, „proletarischer“ Architektur in Moskaus Zentrum weithin sichtbar sein und als Unterkunft der Regierung sowie als Kulturzentrum dienen. Den Wettbewerb gewann der russische Architekt Boris Iofan: Sein Entwurf sah ein Hochhaus von 420 Metern vor, höher als alle anderen Gebäude der Welt. Auf ihm sollte noch eine 70 Meter hohe Leninstatue stehen. Für den Bau dieses Palastes musste die Christ-Erlöser-Kathedrale weichen. Die neuen Machthaber im Kreml entschieden 1931 ihren Abriss. Der Schriftsteller Kornej Tschukówskij war Zeuge der Zerstörung:

„5. Dezember 1931. Ein sonniger, frostiger Tag mit silbernen Rauchstreifen, blauer Himmel. Eine Kanone feuerte dreimal, und nach fünf Minuten, nicht früher, stieg graublauer Rauch auf …“ - „Eine neue Explosion – und Rauch – der mittlere Turm bricht zusammen. Eine Frau sieht zu und weint."

Und dann ein beheiztes Schwimmbad

Noch in den Dreißigerjahren begannen die Bauarbeiten für den Palast. Nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion konnten sie nicht weitergeführt werden. Das Projekt wurde aufgeschoben und nach Stalins Tod 1953 schließlich ganz aufgegeben. Nun hieß es, der Baugrund würde einen solchen Palast nicht tragen.
„Der Ort war für mich wichtig, weil dort ein Schwimmbad gebaut wurde, das im Winter beheizt war, und ich besuchte Schwimmkurse dort. Und ich wusste, dass da früher eine Grube war, und diese Grube ist von einem nie gebauten Gebäude geblieben. Und das Gebäude hieß Sowjetpalast.“ Die aus Moskau stammende Autorin Sonja Margólina erinnert sich an das riesige Freiluftbad „Moskvá“:„Später, als ich schon in älteren Klassen war, habe ich mich mit Regimegegnern angefreundet. Und sie hatten im Kopf eine ganz andere Geschichte der Stadt. Und dann, mit 15 oder 16 Jahren, habe ich das erste Mal gehört, dass da eben dieser große Dom war, der von Stalin zerstört wurde.“
Die nahezu originalgetreu rekonstruierte Christ-Erlöser-Kathedrale in  Moskau
Die nahezu originalgetreu wiedererrichtete Christ-Erlöser-Kathedrale (picture-alliance/ ZB)

 Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 setzten sich viele Menschen, auch der russische Präsident Boris Jelzin und der Moskauer Bürgermeister Júrij Luschków, für den Neubau der Christ-Erlöser-Kathedrale ein. Im Jahre 2000 wurde das weitgehend originalgetreu wiederaufgebaute Gotteshaus, dem nun das Schwimmbad weichen musste, von Patriarch Alexij II. geweiht. Auch heute ist die Kathedrale wieder Mittelpunkt des orthodoxen Lebens. Weithin sichtbar im Moskauer Stadtbild, kündet sie von der neuen – der post-sowjetischen Ära.