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Als Opas Kino starb

Die Filme der Unterzeichner des Oberhausener Manifests seien bis heute ungeheuer "zeitgemäß", meint Rüdiger Suchsland. Trotz einiger sehr guter Filme sei im aktuellen Wettbewerb keine Aufbruchstimmung zu spüren gewesen. Grundsätzlich würde dem deutschen Film ein neues Manifest gut tun.

Rüdiger Suchsland im Gespräch Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Zunächst jedoch nach Oberhausen: "Papas Kino ist tot" - unter diesem Motto forderten die jungen Filmemacher vor 50 Jahren eine Abkehr vom Heimat- und Gemütskino der Nachkriegszeit. Die Regisseure, unter ihnen Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar Reitz, verkündeten damals bei den Kurzfilmtagen Oberhausen das sogenannte Oberhausener Manifest. Dabei ging es ihnen auch um bessere Bedingungen für die Filmemacher, denn es war sehr schwierig, in den 50er- und 60er-Jahren einen Film zu drehen. So hat das Oberhausener Manifest auch zu den heutigen Strukturen der Filmförderung beigetragen.
    Das 50. Jubiläum des Manifests stand nun im Mittelpunkt der Oberhausener Kurzfilmtage. Die Filme vieler Unterzeichner waren also beim Festival zu sehen. Außerdem gab es natürlich wie immer aktuelle Filme in den Wettbewerben.

    Frage an meinen Kollegen Rüdiger Suchsland: Herr Suchsland, wenn man die Filme der Unterzeichner von damals sieht, hat das noch was mit heute zu tun, oder sind die reif fürs Museum?

    Rüdiger Suchsland: Nein, es hat ungemein viel mit heute zu tun. Manchmal ist es ganz überraschend, wie zeitgemäß diese Filme wirken – nicht nur, weil manche dieser Themen natürlich weiterhin wichtig sind für uns, also Fragen der Wiederbewaffnung, des Umgangs mit dem Militär, mit Militäreinsätzen bei uns, das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, die Bürgerrechte. Das alles war ja gerade in den 60er-Jahren auch, wo es dann die Bewegung gegen die Notstandsgesetze gab, und dann 68 natürlich, wichtig und diese Filmemacher waren ein Teil von der 68er-Bewegung. Aber es ist auch stilistisch sehr zeitgemäß – insofern auf der einen Seite, dass man merkt, wie viel von dem, was wir heute so für neu halten, manchmal schon da angelegt ist, und schließlich natürlich, weil immer solche Retrospektiven eine kleine Verlustbilanz auch sind. Man sieht, was es heute nicht mehr gibt, das sieht man auf der formalen Ebene und man sieht es natürlich mit diesem Deutschlandbild, das uns die Filme zeigen: die ganzen Männer, die mit den Hüten herumliefen, die alle so steif waren, die Kinder in kurzen Hosen, die noch irgendwie aussehen wie aus den 30er-Jahren, und alles mögliche andere.

    Schäfer-Noske: Nun gab es ja nicht nur diese Filme, sondern es gab auch ein umfangreiches Begleitprogramm.

    Suchsland: Ja. Daneben war eigentlich die Aufgabe dieser Retrospektive, auch das Ganze in den historischen Kontext einzubinden und zu zeigen, dass die Oberhausener nicht alleine standen. Schon drei Jahre später gab es auch so ein Anti-Oberhausener Manifest von Leuten, die wir heute auch alle kennen: Jean-Marie Straub, der Elsässer, der dann in Deutschland arbeitete, deswegen als deutscher Filmemacher gilt. Und dann gab es natürlich in den ganzen anderen Ländern auch ähnliche Aufbruchsbewegungen, in Frankreich etwa, aber auch in Schweden, auch in Ungarn und im Warschauer Pakt damals. Das war trotzdem filmisch hoch interessant und sehr frei.

    Schäfer-Noske: Wie haben sich denn demgegenüber dann die Wettbewerbsbeiträge von heute präsentiert?

    Suchsland: Ja, das ist natürlich interessant, wenn man diese Wettbewerbsfilme dann sieht und sich natürlich ein bisschen fragt, schlummert vielleicht in manchen Filmen auch so ein Manifest, schlummert da ein ganz anderes Kino, ein großer Aufbruch. Das kann man jetzt eigentlich leider von den Filmen nicht sagen, die hier aktuell im Wettbewerb liefen. Da waren sehr gute Filme dabei, aber das sind dann schon bekannte Namen oft, Matthias Mueller, Christoph Girardet, die waren mit einer gemeinsamen Arbeit "Meteor" präsent, die ganz toll war. Bei den internationalen, da ist die Tendenz schon ein bisschen mehr, dass wirklich jüngere unbekanntere Filmemacher gezeigt werden. Aber es gibt natürlich tolle einzelne Filme, so richtige Perlen.

    Schäfer-Noske: Gab es denn beherrschende Themen?

    Suchsland: Es gab ein Thema, was ich auch in einigen dieser Manifestfilme gefunden habe und wo man dann vielleicht aber sagen kann, das ist halt ein so universales Thema, dass das nie ausstirbt: das sind nämlich Paarbeziehungen, insbesondere, wenn man so will, Szenen einer Ehe. Es gab ein paar Filme, die das Altern einer Liebesbeziehung zum Thema gemacht haben: wie geht man miteinander um, wenn die erste Leidenschaft verraucht ist und wenn man sich aber entschlossen hat, ein Leben miteinander zu teilen und dann miteinander auskommen muss.
    Ich möchte nur einen Film erwähnen. Eine junge argentinische Filmemacherin hat einen Film gemacht, der heißt "Diario de Pamplona", erzählt von einer Reise nach Pamplona (Spanien, Stierkampf) eines argentinischen Paares in den 70er-Jahren, und das hat sie mit sogenanntem "found footage" erzählt, also gefundene Bilder. Man sieht Stierkampf, da spürt dieser Film auch die Aura eines Sports, wenn man das mal so nennen will, auf, und wo so eine Leidenschaft, so ein Heroismus liegt. Und diese Leidenschaft, die wird dann kurzgeschlossen mit dem Ehepaar, dem argentinischen, das in Spanien reist, und im Grunde bilanziert: unsere Liebe ist gestorben, aber trotzdem wollen wir ja nicht auseinandergehen, was machen wir jetzt.

    Schäfer-Noske: Der deutsche Film ist ja in den letzten Jahren im internationalen Vergleich nicht besonders stark. Brauchen wir vielleicht ein neues Oberhausener Manifest?

    Suchsland: Ja. Ich glaube, wir könnten das sehr gut brauchen. Ein Manifest gibt es nur, wenn die Stimmung bereit ist, und auch, wenn die Lage bereit ist. Und zur Stimmung muss man sagen, das Problem des deutschen Films ist eher, dass es sehr viele Stimmen gibt und sich die Filmemacher nicht wirklich auf was einigen können. Und zu der Situation, der Lage, in der Filme gemacht werden, da fühlt man sich manchmal ein bisschen dazu geneigt, einen zynischen Satz zu sagen, nämlich den, dass es den Filmemachern noch nicht schlecht genug geht. Die hängen ja gewissermaßen am Tropf immer noch der Fernsehsender und der Förderung und werden da in irgendeiner Form mehr schlecht als recht durchgefüttert. Ich könnte mir vorstellen, dass so ein Manifest vielleicht von den Studenten kommt, von den ganz jungen, die einfach überhaupt keinen Platz mehr finden.

    Schäfer-Noske: Rüdiger Suchsland war das mit einer Bilanz der Kurzfilmtage Oberhausen.