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Als Ungarn die Grenzen öffnete
"Ich wollte nur menschlich sein"

Ungarn baute seit Anfang Mai 1989 die rund 270 Kilometer langen Grenzanlagen schrittweise ab. Bela Csaba verhörte damals Menschen aus der DDR, die bei ihrer Flucht über Ungarn gefasst wurden. Die Erinnerungen an diese Zeit machen den heute 68-Jährigen immer noch traurig.

Von Andrea Beer |
Die Demontage des Grenzzauns nahe Nickelsdorf (Österreich) und Hegyeshalom (Ungarn). Angehörige der ungarischen Grenztruppe haben am 02. Mai 1989 damit begonnen, die Sperranlagen an der ungarisch-österreichischen Grenze zu entfernen. Bis 1990 sollen alle Grenzsperren an der rund 350 Kilometer langen Grenze abgebaut sein.
Ungarische Grenztruppen haben am 02. Mai 1989 die Sperranlagen an der ungarisch-österreichischen Grenze entfernt (Votava / dpa / picture alliance)
"Da die zwei Fenster, das war von meinem Büro."
In dem gelben Gebäude der Komitatspolizei Vas in Szombathely sitzt Bela Csaba im Sommer vor 30 Jahren hinter seinem Schreibtisch. Nur rund 20 Kilometer sind es von hier noch bis zur Grenze mit Österreich und Bela Csaba verhört damals Menschen aus der DDR, die bei ihrer Flucht über Ungarn gefasst werden.
"Nein da unten. Unten war der Knast."
Seit Anfang Mai 89 baut Ungarn den Eisernen Vorhang an der ungarisch-österreichischen Grenze schrittweise ab. Doch für DDR-Bürger ist das Ausreisen ins Nachbarland Österreich in Ungarn weiter eine Straftat. Dieses Gesetz habe er für falsch gehalten, erzählt Bela Csaba. Doch er verhört die Menschen als Verdächtige, protokolliert, und schreibt einen Beschluss über ihre Festnahme, der eine Verhaftung folgte.
"Ein paar Tage später die sind dann nach Budapest gefahren und die ostdeutsche Staatssicherheit holt die dann ab mit dem Flugzeug. Also eine Strafe haben sie in Ungarn nicht bekommen, nur in Deutschland. Die ostdeutsche Regierung hat sie verurteilt, so viel ich weiß, haben die zwei Jahre bekommen, bei den einfachen Fällen."
Traurige Erinnerungen an die Verhöre
Bela Csaba sitzt am Tisch in seiner kleinen Wohnung in Szombathely. Der 68-Jährige hat graues Haar, trägt ein rotes T-Shirt und macht einen entspannt freundlichen Eindruck, als er sich bereitwillig und mitfühlend erinnert an seine vielen Verhöre in dem gelben Polizeigebäude in Szombathely.
"Das war irgendwie immer traurig und das hat mich fertiggemacht."
Etwa als ein ostdeutsches Ehepaar mit zwei kleinen Kindern einen Lkw stiehlt und damit durch die Grenzbalken brechen möchte. Der Wagen überschlägt sich und wie durch ein Wunder wird niemand verletzt. Bela Csaba verhaftet die Eltern, die Kinder kommen zur Beobachtung ins Krankenhaus.
"Dann bin ich ins Krankenhaus reingegangen zu den Kindern, ein älteres Mädchen und ein Junge. Und ich wollte den Jungen bisschen aufmuntern und habe gesagt. Na ja, das ist doch nicht so schlimm. Deine Mama kommt gleich und dann dein Papa auch und dann geht ihr wieder nach Hause. Und das Mädchen hat mich so angeschaut und gesagt, hör den nicht an, der lügt sowieso."
Kein Einfluss auf das Gesetz, aber auf die Behandlung
Das Gesetz des Landes habe er nicht beeinflussen können, sein Verhalten aber schon. Gegenüber den gestressten und aufgeregten Menschen auf der anderen Seite seines Schreibtisches sitzen müssen.
"Helfen kann ich so weit, dass ich die Leute anständig behandle. Das ist auch wichtig, wenn man solche Schwierigkeiten hat. Denn die Grenzpolizei, das ist ja eine Militärkaserne. Da kriegt man schon Angst."
Zur Polizei kommt der gelernte Mechaniker im kommunistischen Ungarn nicht ganz aus freien Stücken, wie er sagt. Zunächst sei dort vor allem sein gutes Deutsch gefragt gewesen. Das lernt er Ende der 60er Jahre in der DDR als er drei Jahre bei Chemnitz arbeitet. Mit seinen 19 Jahren gefällt es ihm dort, er verdient viel besser als in Ungarn und er lernt seine spätere Frau kennen, mit der er einen Sohn bekommt. Über Freiheit denkt er damals nicht groß nach:
"Ich habe mich auch in Ungarn frei gefühlt damals. Nur wenn man das Gitter sieht, dann gibt es Probleme."
Unter Orban fehlt ihm die Solidarität
1972 ziehen die Csabas nach Ungarn zurück. Bela Csaba muss zur Armee, macht keinen Dienst an der Waffe und landet bei den Bausoldaten. Er sei nicht ausreichend vertrauenswürdig liest er später in seinen Dokumenten, wie er sagt. Nach der Wende 89 bleibt er noch sechs Jahre bei der Polizei. Als Rentner dann erledigt er die Bürokratie für in Ungarn lebende Deutsche. Im heutigen Ungarn fehlt ihm Solidarität, es gehe vor allem ums Geld verdienen.
Bela Csaba hatte ein bewegtes Berufsleben. War Mechaniker, Bausoldat und in einer interessanten Zeit bei der ungarischen Grenzpolizei. Inzwischen betreut er eine alte Dame in Konstanz und pendelt zwischen Ungarn und Deutschland. Hin und Her über die ungarisch- österreichische Grenze spazieren, das war vor 30 Jahren auch die Idee des sogenannten Paneuropäischen Picknicks in Sopron. Als DDR Bürger in Ungarn nicht mehr aufgehalten wurden von Menschen wie Bela Csaba.
Vor dem gelben Gebäude der Komitatspolizei schaut Bela Csaba nochmal kurz hoch zu seinem alten Büro. Er scheint es, hat damit abgeschlossen.
"Ich komme nicht mehr oft her. "