"Wenn ich manchmal gefragt werde, wie viele Quadratmeter ich hab, dann mag ich's immer gar nicht sagen, weil man das eben nicht vergleichen kann. Weil ich Haushaltsgegenstände gar nicht lagern muss, ich hab hier keine Waschmaschine, keine Spülmaschine, kein Bügelbrett. Große Schüsseln, Kochtöpfe – das benutzen wir hier gemeinsam. Das muss man alles nicht mehr selbst besitzen."
Johanna De-Lesicki, Anfang 60, lebt im Cluster. Wenn die Sozialpädagogin ihre Wohnungstür aufschließt, steht sie in einem Gemeinschaftsraum, 80 Quadratmeter groß mit offener Küche, großem Esstisch und Sofas. Davon gehen sieben Appartements ab – mit eigenem Bad und kleiner Kochecke.
"Ich hab mit Tochter, mit Enkeltochter und auch mit Freunden immer zusammengewohnt. Und dann hab ich irgendwann gedacht, man wird ja auch älter, und irgendwie kann man dann nicht immer dieses klassische Wohngemeinschaftsmodell leben. Ich hab das immer beobachtet, was die Genossenschaften so machen, dann habe ich das mitgekriegt und mich eingeklinkt und wollte auch unbedingt Cluster."
"Wir stoppen damit auch den Flächenfraß"
Denn so, sagt De-Lesicki, habe sie auf ihren knapp 40 Quadratmetern plus Gemeinschaftsraum mehr Platz als andere in einer klassischen Drei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung. Die Cluster-Wohnungen gehören zu einem außergewöhnlichen Neubau der Münchner Genossenschaft 'Wagnis'. In der Anlage gibt es auch normale Wohnungen, aber das besondere sind die vielen Gemeinschaftsräume: Vorstandsfrau Rut-Maria Gollan zeigt Kinderspielzimmer, Atelier, Werkstatt, ein Wasch- und Nähzimmer mit Kaffee-Küche – und Dachterrassen mit gemeinsamen Hochbeeten, Alpenblick inklusive.
"Wir stoppen damit ein ganzes Stück weit auch den Flächenfraß. Weil ich meine Wohnung von vielem Kruscht und von vielen Kompromissen entlasten kann und ich gleichzeitig Räume bekomme und auch Anregungen durch die Expertise meiner Nachbarn, die ich auch in einem 200-Quadratmeter-Loft nicht unbedingt hätte."
Die Genossenschaft Wagnis gründete sich vor knapp 20 Jahren, sie hat inzwischen mehr als 500 Wohnungen, weitere sind im Bau. Wagnis ist eine von mehr als einem Dutzend junger Genossenschaften in München. Die Stadt gilt bundesweit als Vorreiter für einen Trend, der sich auch anderswo zeigt: Die Wohnungsgenossenschaft ist wieder da. Genaue Erhebungen fehlen, aber deutschlandweit sind es Fachleuten zufolge deutlich über 100 junge Genossenschaften. Die Mehrzahl steht für platz- und energiesparendes Wohnen und für die soziale Grundidee, dass Arme und Reiche, junge Familien und Rentner Tür an Tür leben.
"Eine gewisse Form von Vertrautheit"
Es ist die Renaissance einer traditionellen Wohnform, die vor gut 150 Jahren durch ein preußisches Gesetz begründet wurde. Fast jede zehnte Mietwohnung in Deutschland gehört einer Genossenschaft, zusammen bieten sie Raum für mehr als fünf Millionen Menschen. Die Genossenschafts-Mitglieder sind Miteigentümer, haben ein lebenslanges Wohnrecht und profitieren von dauerhaft günstigen Mieten. Außerdem würden Genossenschaften den Gemeinsinn fördern, sagt Rut-Maria Gollan von Wagnis.
"Eine gewisse Form von Vertrautheit, von Sich-Kennen, auch die Verantwortung für dieses gesamte Projekt. Es ist auch so, dass die Angebote und Gewerbe sich ja bewusst auch über die Bewohnerschaft und die Mitgliedschaft ganz weit raus auch ans Quartier wenden und übers Quartier hinaus."
Indes haben auch die Genossenschaften mit hohen Grundstückspreisen zu kämpfen. Die Folge: Wer Mitglied einer jungen Genossenschaft werden will, muss häufig mehrere zehntausend Euro Eigenkapital als Einlage mitbringen.
"Am Thema Wohnen spaltet sich eine Stadtgesellschaft"
Natalie Schaller von der Mitbauzentrale München, einem Beratungsunternehmen, sagt: "Am Thema Wohnen wird sich eine Stadtgesellschaft spalten. Wir sehen das ja an anderen Städten, die das eben falsch gemacht haben, wie London oder Paris, wie eine Segregation in der Stadt zu Unruhen führt. Wenn wir in München keine Krankenschwester, keine Erzieherin, keinen Polizisten mehr haben, dann ist unser soziales Umfeld gefährdet. Ich denke, das sind Themen, die gehen uns alle an."
Die Stadt München fördert deshalb seit einiger Zeit gezielt Genossenschaften. In Neubaugebieten auf städtischem Boden sind ein Drittel der Flächen für sie reserviert. Hier und in anderen Städten bauen auch traditionelle Genossenschaften wieder verstärkt neue Häuser, nachdem sie jahrelang nur ihren Bestand verwaltet hatten.
"Letztendlich ist es natürlich ein sehr geeignetes Mittel, sich dämpfend auf den Wohnungsmarkt auszuwirken, weil das sind Anti-Spekulations-Projekte. Leute, die für sich selber bauen und die gerade beim Thema Genossenschaften darauf angelegt sind, dass niemand einen persönlichen Gewinn aus der Wertsteigerung eines Objektes oder Grundstückes zieht."
"Da entstehen sehr, sehr gute Architekturen"
Bei jungen Genossenschaften entwickeln die künftigen Bewohner ihre Häuser oft gemeinsam. Das sei manchmal mühsam, die Städte würden dadurch aber gewinnen, sagt der Architekt und Stadtplaner Rainer Hofmann:
"Da entstehen sehr, sehr gute Architekturen, sehr, sehr gute Häuser häufig. Weil man in diesem Prozess des gemeinschaftlichen Entwickelns natürlich auf andere Ideen kommt. Man stellt fest, wenn man die Menschen nachdenken lässt, wie sie wohnen und arbeiten wollen, dass es komplexer wird, großartiger, als wenn man einfach nur ein Projekt macht wie immer. Deswegen, glaube ich, ist das ein Zukunftsmodell."
Schöne Häuser, bezahlbare Mieten, eine solidarische Nachbarschaft – das klingt fast schon zu gut. Aber natürlich wird in Genossenschaften auch gestritten. Meist geht es um Dreck, Lärm und ums Geld, sagt Rut-Maria Gollan von Wagnis.
"Das bedeutet einen hohen Anspruch an das, was an Kommunikation zu leisten ist und an Konflikten auch zu bewältigen ist. Und das Spannende ist, dass eben nicht ein kleinster gemeinsamer Nenner entstanden ist, sondern ein größtes mögliches Vielfältiges."