Es ist ein seit langem eingespieltes Ritual in der Bundesrepublik Deutschland: Am letzten Tag des Jahres wendet sich der Bundeskanzler mit einer Neujahrsansprache an die Bevölkerung. Das geschieht im Anschluss an die Abendnachrichten - zuerst im Zweiten Deutschen Fernsehen, eine Stunde später im Ersten. Mit Überraschungen rechnet bei diesem Ritual niemand.
Auch am 31. Dezember 1986 nahm zunächst alles seinen normalen Gang. Das ZDF sendete die Ansprache des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Seit einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum und dem Sturz des sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Schmidt im Jahre 1982 stand er an der Spitze einer Koalitionsregierung aus CDU/CSU und FDP. Sie war angetreten, um mit einer "politisch-moralischen Wende" Deutschland wieder optimistisch zu stimmen.
"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, an diesem Silvesterabend 1986 blicken wir auf ein Jahr zurück, das bei allen Schwierigkeiten für die meisten von uns gut war. Sie, liebe Mitbürger, haben mit Ihrer Arbeit, mit Ihrem persönlichen Engagement mitgeholfen, dass wir wirtschaftlich und gesellschaftlich weiter vorangekommen sind. Gemeinsam haben wir damit eine solide Grundlage geschaffen, um mit neuer Zuversicht in die Zukunft zu gehen."
Rückblicken auf das Geleistete folgten Blicke nach vorn:
"Ich finde, es ist ein lohnendes Ziel für das neue Jahr, dass wir uns alle mehr umeinander bemühen, mehr aufeinander zugehen. Gute Nachbarschaft und Nächstenliebe – sie lassen sich nicht von Staats wegen verordnen. Sie sind von jedem ganz persönlich zu erbringen."
Hinzu kamen Grundsätze, die Kohl seit Jahren den Menschen nahezubringen suchte:
"Eine gesunde Familie ist das Fundament eines gesunden Staates, und die Kinderfreundlichkeit eines Volkes bestimmt seine menschliche Qualität."
Mehr als fünfeinhalb Millionen Zuschauer erreichte der Bundeskanzler im ZDF. Weit über sechseinhalb Millionen waren es eine Stunde später im Ersten Programm.
"Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, an Silvesterabend denken wir zurück an das, was im ausklingenden Jahr unser Leben in der Familie und im Beruf geprägt hat und an das, was wir uns gemeinsam vom neuen Jahr erhoffen. In erster Linie sind es die sehr persönlichen Erfahrungen und Hoffnungen, auf die sich die meisten von uns in dieser Stunde besinnen. Aber ich möchte aus meiner Sicht noch einige Gedanken äußern, die uns alle angehen."
Nur wer den Kanzler bereits eine Stunde zuvor gesehen hatte, konnte sogleich stutzig werden. Kleidung und Hintergrund waren nicht mehr dieselben. Sollte es sich um einen Irrtum handeln? Beim Sender selbst war man sich dessen bis gegen Ende der Ansprache nicht ganz sicher. Empörte Unions-Politiker glaubten nicht an ein Versehen und verlangten Konsequenzen. Regierungssprecher Friedhelm Ost, einst ZDF-Mitarbeiter, sah in dem Vorfall gar "eine Beleidigung für den Zuschauer". Man kann nur vermuten, dass Kohl und seine Mitstreiter argwöhnten, die Wort- und Gedankenarmut Kohls sollten bloßgestellt werden.
In Wirklichkeit waren die Videokassetten mit den Aufzeichnungen der Ansprachen verwechselt worden. Die ARD entschuldigte sich und sendete am Neujahrstag die richtige Fassung. Mit etwas mehr Souveränität und Humor hätten Kohl und seine engsten Mitarbeiter die Verwechslung sogar begrüßen können. Die entscheidenden Gedanken des Kanzlers waren dreimal gesendet worden, und das bei gesteigerter Aufmerksamkeit. Hatte nicht Wolfgang Bergsdorf, Leiter der Abteilung Inland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und einer von Kohls engsten Beratern, in der CDU-Zeitschrift "Die politische Meinung" das "Prinzip der Wiederholung" verfochten und festgestellt:
"Die Flut der sich über die Bürger täglich ergießenden Informationen ist so gewaltig angeschwollen, dass nur die Nachricht eine Chance hat, wirklich anzukommen, die permanent und mit gelassener Sturheit wiederholt wird."
Bei den Bundestagswahlen am 25. Januar 1987 erreichten CDU und CSU ihr schlechtestes Ergebnis seit 1953. Nicht die ARD-Panne, die soviel Empörung hervorgerufen hatte, spielte dabei eine Rolle, sondern Skandale wie Kohls Vergleich des sowjetischen Reform- und Abrüstungspolitikers Gorbatschow mit Goebbels oder die "Blackout"-Diagnose, mit der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler Kohls Falschaussage vor einem Untersuchungs-Ausschuss zur Flick-Spenden-Affäre entschuldigt hatte.
Auch am 31. Dezember 1986 nahm zunächst alles seinen normalen Gang. Das ZDF sendete die Ansprache des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Seit einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum und dem Sturz des sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Schmidt im Jahre 1982 stand er an der Spitze einer Koalitionsregierung aus CDU/CSU und FDP. Sie war angetreten, um mit einer "politisch-moralischen Wende" Deutschland wieder optimistisch zu stimmen.
"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, an diesem Silvesterabend 1986 blicken wir auf ein Jahr zurück, das bei allen Schwierigkeiten für die meisten von uns gut war. Sie, liebe Mitbürger, haben mit Ihrer Arbeit, mit Ihrem persönlichen Engagement mitgeholfen, dass wir wirtschaftlich und gesellschaftlich weiter vorangekommen sind. Gemeinsam haben wir damit eine solide Grundlage geschaffen, um mit neuer Zuversicht in die Zukunft zu gehen."
Rückblicken auf das Geleistete folgten Blicke nach vorn:
"Ich finde, es ist ein lohnendes Ziel für das neue Jahr, dass wir uns alle mehr umeinander bemühen, mehr aufeinander zugehen. Gute Nachbarschaft und Nächstenliebe – sie lassen sich nicht von Staats wegen verordnen. Sie sind von jedem ganz persönlich zu erbringen."
Hinzu kamen Grundsätze, die Kohl seit Jahren den Menschen nahezubringen suchte:
"Eine gesunde Familie ist das Fundament eines gesunden Staates, und die Kinderfreundlichkeit eines Volkes bestimmt seine menschliche Qualität."
Mehr als fünfeinhalb Millionen Zuschauer erreichte der Bundeskanzler im ZDF. Weit über sechseinhalb Millionen waren es eine Stunde später im Ersten Programm.
"Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, an Silvesterabend denken wir zurück an das, was im ausklingenden Jahr unser Leben in der Familie und im Beruf geprägt hat und an das, was wir uns gemeinsam vom neuen Jahr erhoffen. In erster Linie sind es die sehr persönlichen Erfahrungen und Hoffnungen, auf die sich die meisten von uns in dieser Stunde besinnen. Aber ich möchte aus meiner Sicht noch einige Gedanken äußern, die uns alle angehen."
Nur wer den Kanzler bereits eine Stunde zuvor gesehen hatte, konnte sogleich stutzig werden. Kleidung und Hintergrund waren nicht mehr dieselben. Sollte es sich um einen Irrtum handeln? Beim Sender selbst war man sich dessen bis gegen Ende der Ansprache nicht ganz sicher. Empörte Unions-Politiker glaubten nicht an ein Versehen und verlangten Konsequenzen. Regierungssprecher Friedhelm Ost, einst ZDF-Mitarbeiter, sah in dem Vorfall gar "eine Beleidigung für den Zuschauer". Man kann nur vermuten, dass Kohl und seine Mitstreiter argwöhnten, die Wort- und Gedankenarmut Kohls sollten bloßgestellt werden.
In Wirklichkeit waren die Videokassetten mit den Aufzeichnungen der Ansprachen verwechselt worden. Die ARD entschuldigte sich und sendete am Neujahrstag die richtige Fassung. Mit etwas mehr Souveränität und Humor hätten Kohl und seine engsten Mitarbeiter die Verwechslung sogar begrüßen können. Die entscheidenden Gedanken des Kanzlers waren dreimal gesendet worden, und das bei gesteigerter Aufmerksamkeit. Hatte nicht Wolfgang Bergsdorf, Leiter der Abteilung Inland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und einer von Kohls engsten Beratern, in der CDU-Zeitschrift "Die politische Meinung" das "Prinzip der Wiederholung" verfochten und festgestellt:
"Die Flut der sich über die Bürger täglich ergießenden Informationen ist so gewaltig angeschwollen, dass nur die Nachricht eine Chance hat, wirklich anzukommen, die permanent und mit gelassener Sturheit wiederholt wird."
Bei den Bundestagswahlen am 25. Januar 1987 erreichten CDU und CSU ihr schlechtestes Ergebnis seit 1953. Nicht die ARD-Panne, die soviel Empörung hervorgerufen hatte, spielte dabei eine Rolle, sondern Skandale wie Kohls Vergleich des sowjetischen Reform- und Abrüstungspolitikers Gorbatschow mit Goebbels oder die "Blackout"-Diagnose, mit der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler Kohls Falschaussage vor einem Untersuchungs-Ausschuss zur Flick-Spenden-Affäre entschuldigt hatte.