"Schnellroda ist längst zur Chiffre für diesen Geist geworden. Schnellroda ist der Knotenpunkt eines konservativ revolutionären Milieus, einer rechtsintellektuellen Szene. Schnellroda ist ein Beispiel". Götz Kubitschek wirbt für sein "Institut für Staatspolitik", eine Denkfabrik der Neuen Rechten in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Die sogenannte Bewegung der "Konservativen Revolution" der Weimarer Republik sieht Kubitschek mit kaum verhohlener Bewunderung.
Er schreibt: "Die sogenannte 'Konservative Revolution' von 1918 bis 1932 hat bis heute ihre Strahlkraft auch deshalb nicht verloren, weil sie in ihren Hauptvertretern radikal und kompromisslos war, so ganz und gar bereit für etwas Neues, einen Dritten Weg, einen Umsturz, eine Reconquista, einen revolutionären, deutschen Gang in die Moderne. … Von Harmlosigkeit, zivilisierter Zurückhaltung, Zahnlosigkeit keine Spur."
Im Gegensatz zu heute. Es klingt bedauernd, wenn Kubitschek fortfährt: Die Konservativen seien "niemals zuvor so harmlos, so zahm und zivil" aufgetreten.
Etwas Neues schaffen, was ewig gilt
Nicht wenige intellektuelle Strömungen der sogenannten "Neuen Rechten" blicken heute zurück auf jene Bewegung, der vor fast einem Jahrhundert eine fundamentale Erneuerung der Gesellschaft vorschwebte. Eine "neue deutsche Wirklichkeit" sollte geschaffen werden, die der zivilisatorischen Verweichlichung der Weimarer Zeit entgegentrete. So formulierte es der Dichter Hugo von Hoffmannsthal 1927 in einer Rede an der Münchener Universität:
"Der Prozess von dem ich rede, ist nichts anderes als eine konservative Revolution von einem Umfange, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt. Ihr Ziel ist Form, eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilnehmen könne."
Eine "konservative Revolution". Der Begriff klingt paradox, wie Helmuth Kellershohn, Rechtsextremismusforscher und Gründungsmitglied des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung erläutert: "Im Alltagsverständnis würde man sagen, konservativ meint Bewahrung, also Bewahrung von überkommenen Traditionen, Sitten, Gebräuchen, Institutionen. Also Familie oder der Staat. Revolution dagegen meint Umwälzung, radikale Veränderung der bestehenden Verhältnisse und wird natürlich im Allgemeinen mit der politischen Linken in Verbindung gebracht. Und das wird jetzt miteinander kombiniert."
Und das meint: "Dass man nicht zurück will zu einem früheren Zustand, also damals in der Weimarer Republik, zurück zur Monarchie. Sondern es geht darum, etwas ewig Gültiges unter neuen Bedingungen zur Geltung zu bringen. Und das impliziert die Zerstörung der bestehenden Verhältnisse, also der Weimarer Republik."
Es war die Generation derer, die den Ersten Weltkrieg erlebt hatten, den Zusammenbruch der Monarchie und die sich über die als Demütigung empfundenen Bedingungen des Versailler Vertrags empörten. Der Schriftsteller Ernst Jünger etwa, der das Parlament "mit dem Flammenwerfer" reinigen wollte. Der Staatsrechtler Carl Schmitt, für den die grundlegende Unterscheidung für politisches Handeln die zwischen Freund und Feind ist. Der Philosoph Oswald Spengler, der das kulturpessimistische Szenario eines "Untergangs des Abendlands" entwarf.
Oder der Publizist Albrecht Erich Günther, der den konservativ-revolutionären Geist folgendermaßen formulierte: "Konservativ sein ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem was immer gilt".
Rückbesinnung auf das Naturrecht
Und dieses immer Geltende, so dachte es wiederum der Kulturhistoriker und Publizist Arthur Möller van den Bruck, liege nicht in der Bewahrung von zufällig Überkommenem, sondern darin, "Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt."
"Was mir an diesem Zitat gefällt, ist, dass es diesen bewahrenden, konservierenden und den kreativen Aspekt verbindet. Dinge zu schaffen, das ist der kreative Aspekt, die zu erhalten sich lohnt."
Wolfgang Fenske, Leiter der Berliner "Bibliothek des Konservatismus" ist bekennender Konservativer – als "Rechter" will er sich nicht bezeichnen. Er findet das Denken der Weimarer Jungkonservativen – zu denen Möller van den Bruck gehörte – auch heute in Teilen anschlussfähig.
"Ich stehe zu diesem Zitat. Die Dinge müssen erst geschaffen werden, natürlich sind sie latent schon vorhanden. Geschaffen werden, dass sie ans Licht gebracht werden, … wie Sloterdijk sagen würde, dass jemand hinabsteigen muss in die Archive unseres kulturellen Gedächtnisses, um sie wieder ans Tageslicht zu befördern. Und erst dann kann man sie nutzbar machen und von ihnen leben."
Es gelte also, so Fenske, sich zurück zu besinnen auf Immer-Gütiges, aber Verschüttetes, was es wieder aufzudecken und zu pflegen gilt. Was versteht er darunter, der übrigens im "Erstberuf" evangelischer Pfarrer ist?
"Aus dem Naturrecht gehen diverse Dinge hervor, die dem Konservativen entgegenkommen. Ob das nun die Geschöpflichkeit des Menschen ist, ob es die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen ist, ob es Grundordnungen wie Ehe und Familie sind, das ist alles da angelegt. Natürlich ist auch angelegt - Hierarchie, nichts funktioniert in dieser Welt ohne Hierarchie, ob das der Vater oder Mutter und Kind ist oder Obrigkeit und Volk. Natürlich geht es darum, die Menschen, die nach konservativer Überzeugung nicht gleich sind, sondern mit unterschiedlicher Gaben begabt, mit Talenten, die unterschiedlich zu fördern sind."
Am Liberalismus gehen Völker zu Grunde
Konservatives Denken lehnt die Ideen von Moderne und Aufklärung ab. Die Aufklärung setzte den Menschen frei aus vorgegebenen Bindungen und ermunterte ihn, wie es bei Kant heißt, "sich seines eigenen Verstandes zu bedienen". Der Mensch werde damit aber haltlos, meint Wolfgang Fenske, denn er brauche einen "archimedischer Punkt", der außerhalb des eigenen Denkens liege. Er brauche eine Orientierung an etwas Überzeitlichem, sei es an Gott oder einer philosophischen Idee.
"Alles andere endet dann letztlich in Vereinzelung und Atomisierung und Beliebigkeit. Und das ist eine akute Gefahr für ein Gemeinwesen, die wir gerade erleben."
Hauptfeind der Weimarer Konservativen war der Liberalismus. Für Liberale ist die individuelle Freiheit die Grundnorm jeder menschlichen Gesellschaft, das heißt dass jeder Mensch so leben kann wie er will, solange er nicht die Freiheit des anderen einschränkt. Ebenso angelehnt wurde die Staatsform der Demokratie, in der alle Menschen als vernunftbegabte Wesen sich ihre eigene politische Ordnung geben.
Volker Weiß, Historiker und Publizist aus Hamburg fasst zusammen: "Verbindend ist das strikt Antidemokratische, Antirepublikanische, das Antiliberale. Die berüchtigte Parole Arthur Moeller van den Brucks lautete: ‚An Liberalismus gehen die Völker zu Grunde.‘ Der Liberalismus wird immer verbunden mit Gleichmacherei, mit Dekadenz."
Und was setzten die Konservativen dieser Dekadenz entgegen? "Es gibt natürlich einen sehr, sehr starken nationalen Impuls, in den meisten Fällen: völkisch-nationalistisch. Die Nation wird also ethnisch aus Blut, Boden und Geist extrahiert, also ein völkisch aufgeladener Begriff der Kulturnation. Es gibt immer wieder Rückbesinnung auf das Mythische, auf das Überhistorische, auf das Anti-Rationale, das sind ganz, ganz zentrale Elemente."
Aber wie stehen die heutigen neurechten Konservativen zu solchen vor nahezu 100 Jahren entwickelten Vorstellungen von "Blut, Boden und Geist"? Karl Heinz Weißmann, Autor für verschiedene rechtskonservative Zeitschriften betonte einmal, dass man die Lösungsvorschläge von damals heute nicht brauchen könne. Dass man in der Analyse der aktuellen Krise allerdings zu Einschätzungen komme, die "denen der Konservativen Revolution entsprechen." Die heutigen neuen Rechten benutzten, so Helmuth Kellershohn, die Ideen der Weimarer Zeit als Steinbruch…
"… aus dem man Argumente ziehen kann, und die man dann aktualisiert und auch modernisiert. Und auch wenn man zum Beispiel von der Wirtschaft- und Sozialpolitik ausgeht, tauchen dann Ideen aus der Konservativen Revolution wieder auf, zum Beispiel: Kubitschek vom IfSP setzt auf Verstaatlichungen. Andere setzen auf einen autoritären Liberalismus, das heißt auf eine Kombination von Marktwirtschaft und einem autoritären Staat."
Beachtlich ist auch die personelle Kontinuität zwischen den Vor- und den Nachkriegskonservativen. Da ist zunächst einmal Armin Mohler, Privatsekretär des Nationalkonservativen Ernst Jünger. Mohler war ein Schweizer Publizist, der mit seiner Dissertation im Jahr 1949 den Begriff der "Konservativen Revolution" erst populär machte. Sein Ziel war, den Theorienkanon einer Rechten wiederzubeleben, deren Denken angeblich präzise von der nationalsozialistischen Ideologie abzugrenzen sei.
"Er ist der Großvater der heutigen Rechten, so hat er es formuliert – sein Anliegen sei es gewesen, der Rechten, einer neuformierten Rechten nach dem Kriege ein Geisteserbe zu vermitteln, das nicht kontaminiert war durch den Nationalsozialismus."
Allerdings, so Kellershohn, lasse sich Mohlers Idee einer ‚integeren‘ Rechten jenseits des Nationalsozialismus nur begrenzt aufrechterhalten. "Wenn man von den Völkischen ausgeht, dann ist ganz klar, dass es eine Traditionslinie gibt von der Völkischen Bewegung der Jahrhundertwende bis zum Nationalsozialismus. Auf der anderen Seite hat es auch Kritiker gegeben, Edgar Julius Jung wurde 1934 im Röhm-Putsch umgebracht, weil er die NS-Politik kritisiert hat. Also es gab auch Leute aus der Konservativen Revolution, die gegen den NS Stellung bezogen haben. Aber der Großteil hat dann auch mitgemacht und vor allem die ideologischen Grundlagen gelegt."
Armin Mohler selbst, darauf verweist Volker Weiß, wurde zum Lehrer weiterer heutiger Mitglieder der "Neuen Rechten". "Dieser Armin Mohler ist wiederum der persönliche Lehrer von Karlheinz Weißmann, einem sehr zentralen Autor der ‚Jungen Freiheit‘, und andrerseits von Götz Kubitschek, der sein privates Institut für Staatspolitik betreibt, das er mit Karlheinz Weißmann begründet hat. Tja, und auch direkten Umgang pflegt mit Björn Höcke von der AfD beispielsweise.
Einig sind sich alte und neue Konservative auch in ihrem Antiliberalismus. Etwa wenn der AfD-Politiker Björn Höcke diagnostiziert, dass sich die heutigen Deutschen in einer "äußerst miserable(n) Verfassung" befinden. Denn, so schreibt er in seinem Buch "Nie zweimal in den selben Fluss", sie seien "im Zuge des westlich dekadenten Liberalismus und der ausufernden Parteienherrschaft zur bloßen ‚Bevölkerung‘ herabgesunken."
Was ist – nach Höcke - zu tun? "Um nun als Deutsche wieder zu einem vollwertigen … Volk zu werden, brauchen wir … eine fordernde und fördernde Elite, die unsere Volksgeister wieder weckt". Das klingt ähnlich wie die Vision des Publizisten Edgar Jung, dem 1927 ein "durch eine Elite geführte(r) autoritären Staat" vorschwebte. Oder die Vision einer "sozialaristokratischen Regierung", wie der Kulturhistoriker Arthur Moeller van den Bruck das in seinem 1923 erschienenen Buch, "das dritte Reich" nannte.
Sympathien für autoritären Staat
"Man muss grundsätzlich davon ausgehen, dass die Staatsvorstellungen von Möller van den Bruck sich immer gedreht haben um den autoritären Staat. Der Staat muss autoritativ geführt werden. Und da gibt es gewisse Übereinstimmungen mit dem Nationalsozialismus. Aber ansonsten hat die Konservative Revolution die verschiedensten Vorstellungen gehabt. Das Reich konnte großdeutsch sein, es konnte ein germanisch slawisches Weltreich sein, oder ein planetarischer Imperialismus bei Ernst Jünger.
Wolfgang Fenske hält diese Reichsidee auch heute noch für inspirierend: "Das ist ein metaphysisches Bild, das deutlich machen soll, dass das Reich die Ebene ist von Staatlichkeit, letztlich die metaphysische Ebene, auf der alle zusammenfinden, auch wenn sie in konkreten politischen Fragen völlig unterschiedlich sind. Und das ist letztlich als ein Bild heute nach wie vor gültig, dass wir in unserer Staatlichkeit eine Ebene finden, wo wir in unseren einander widersprechenden Ansichten eine gemeinsame Ebene finden. Ob Sie das Reich nennen oder sagen, der Begriff hat sich erledigt, wir nennen das anders, ist zweitrangig, aber diese Aspekte des Denkens, die sind fruchtbar zu machen."
Die Idee eines Deutschlands als einer Art metaphysischer Schicksalsgemeinschaft mit unveränderlicher Kultur sei möglicherweise antidemokratisch, aber nicht zwangsläufig neonazistisch, darauf weist Helmuth Kellershohn hin. Dieter Stein, Autor der rechtskonservativen Zeitschrift "Junge Freiheit" etwa distanziert sich explizit vom "verbrecherischen Charakter der NS-Herrschaft". Eher, meint Kellershohn, gehe es um die Schaffung einer anderen, autoritären Gesellschaft mit entsprechendem politischem System und Bündnispartnern in ganz Europa.
"Man kann sich das ein bisschen vorstellen, wenn man an Ungarn mal denkt, wie so Schritt für Schritt die Verfassung ausgehebelt wird, dadurch, dass man bestimmte Dinge verändert. Die neue Rechte bewegt sich auf der Grenze des Verfassungsbogens, auch ganz bewusst, sie versucht die Möglichkeiten die die Verfassung bietet auszunutzen und gleichzeitig aber eben dann Wege offen zu halten, die darüber hinaus führen."