Archiv


Alte Wertschätzung rostet nicht

Olympia 2006. - Im Eiskanal erzielen die Bobs geradezu irrwitzige Geschwindigkeiten. Da kommt es besonders auf die Kufen der Sportgeräte an. Techniker feilen daher unentwegt an neuen Kufen-Designs, beim Material selbst ist offenbar die ideale Lösung gefunden: Athleten vertrauen auf Kufen, die zum Teil Jahrzehnte alt sind und mit Alter immer besser werden.

Von Volker Mrasek | 24.02.2006
    "So, wir kommen zum ersten deutschen Team. Startaufruf somit für Deutschland II."

    "Und los geht es!"

    "Lange an der Bande drangeblieben. Fast nur auf zwei Kufen weitergefahren. 42,41."

    Zehntel- oder Hunderstelsekunden entscheiden häufig über Sieg und Niederlage. Auch und gerade im Eiskanal. Bei keiner anderen olympischen Disziplin spielen Material und Technik dabei vermutlich eine so große Rolle wie beim Bobfahren. Ingenieure versuchen unentwegt, die Eiskanal-Flitzer noch aerodynamischer zu machen und die Kufen noch flinker. So auch in Berlin, am Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten. Michael Nitsch ist dort Projektleiter für den Bobsport. Die idealen Kufen zu finden kommt offenbar der Quadratur des Kreises gleich, wie der Ingenieur durchblicken lässt:

    "Einmal soll sie ja den Bob einfach führen. Ähnlich wie einfach ein Reifen, der dafür sorgt, dass ich bei 200 noch auf der Autobahn bleibe. Und gleichzeitig soll sie das aber so wenig wie möglich machen. Jedes Eindringen ins Eis ist eine Bremsung prinzipiell."

    "Zwischenzeit 24,33."

    Auf vier Kufen donnern die Bobs durch die Eisrinne. Jede ist rund einen Meter lang und 15 Millimeter breit. Laufrillen wie ein Autoreifen haben sie natürlich nicht, aber einen "Sprung", wie man sagt. Das heißt: Die Kufen sind gekrümmt, im Längsverlauf wie auch in Querrichtung. Nitsch:

    ""Ein Stück Stahl, der auf dem Tisch liegt, ist ja noch keine Kufe. Die Lauffläche der Kufe muss gewisse geometrische Eigenschaften aufweisen."

    "32 Hundertstel Vorsprung. Also im Kreisel sehr gut gearbeitet. 41,64 die Zwischenzeit dort."

    Nitsch:
    "Wenn man von einem Stück Stahl weiß, was also gute Eigenschaften hat, gute Gleiteigenschaften - dann kann mal also immer wieder dieses Stück Stahl mit einer neuen Geometrie der Lauffläche versehen, die wir dann auch entwickeln. Wo man dann also weiß: Damit ist diese Kufe wieder Weltspitze sozusagen."

    "Jawoll! Der momentane erste Platz."

    Auf den Kufen lastet per se schon mal das Gewicht von Bob und Besatzung. In den engen Kurven kommt eine starke Zentrifugalkraft hinzu. Laut Nitsch wirkt in dem Moment die fünffache Erdbeschleunigung auf die Stahlkufen und verformt sie. Nitsch:

    "Dann wird sie mehr in die Kurve reingepresst und schneidet sich ins Eis auf bestimmte Art und Weise ein. Und das versucht man eben zu beeinflussen."

    Die Berliner Forscher konstruieren die Kufen zunächst im Computer, testen ihre Eigenschaften bei simulierten Bobfahrten, und wenn eine neue Form überzeugt, leitet der Rechner die geometrischen Daten gleich an die Fräse weiter. Nitsch:

    "Von dem 3D-Modell versuchen wir natürlich sehr schnell Muster herzustellen. Und dann setzt trial and error ein."

    Trial and error. Das heißt: Die Kufen kommen unter den Bob und müssen sich im echten Eiskanal bewähren. Und tatsächlich finden sich immer wieder Geometrien, die noch ein Quäntchen schneller sind als vorhergehende Modelle - noch dazu individuell abgestimmt auf die unterschiedlichen Kurven-Radien der einzelnen Bobbahnen.

    "Wow! Und hier vorbeigedonnert!"

    Beim Kufenmaterial selbst tut sich dagegen nicht mehr so viel. Das bestätigt auch der frühere deutsche Bob-Olympiasieger und heutige Damen-Bundestrainer Wolfgang Hoppe:

    "Dass man eigentlich von den Piloten, die erfolgreich waren, die Kufen übernimmt. Man hat auch gemerkt in den letzten Jahrzehnten, dass der natürliche Alterungsprozess und das Beschleifen der Kufen eigentlich bei den meisten Materialien dazu geführt hat, dass sie noch besser geworden sind im Laufe der Jahre."

    Ein Alter von 20 Jahren ist deshalb gar nichts für eine Bobkufe. Ihre Stahllegierung enthält über 50 Prozent Eisen. Auch Nickel ist drin, des weiteren Stickstoff und - bei Kufen für warmes Wetter - besonders viel Kohlenstoff. Warum und wieviel genau, behält Michael Nitsch aber für sich:

    "Das sind also wirklich Informationen, die nicht zum Allgemeinwissen des Bobsports gehören."

    Nur das verrät der Bob-Entwickler am Ende noch:

    "Man würde es wahrscheinlich eher schaffen, die Ehefrau eines Bobsportlers wegzutragen als dessen beste Kufe."