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Alten- und Krankenpflege
Das Ringen um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne

Anerkennung, Applaus und Aussicht auf einen steuerfreien Bonus: die Arbeit von Pflegekräften wird in der Coronakrise hoch geschätzt. Der Job gilt in Krisenzeiten sogar als systemrelevant. Das könnte bei den aktuellen Verhandlungen um Tariflöhne helfen. Aber der Weg zu einer besseren Bezahlung ist schwierig.

Von Katrin Sanders |
Eine Altenpflegerin hält die Hand einer Bewohnerin.
Viel Dankbarkeit erlebt das Pflegepersonal in der Coronakrise - die Bezahlung ist allerdings schlecht (EyeEm / Prakasit Khuansuwan)
Über 430.000 Unterschriften kamen in wenigen Wochen zusammen. Selten erreicht eine Online-Petition solch eine große Resonanz. Doch bei dieser Petition auf change.org fühlen sich viele angesprochen. Es geht um eine bessere Bezahlung in der Pflege. Die Aussichten, dass sich hier bald etwas zum Besseren verändert, sind gut.
Nicht nur, weil Menschen in vielen Städten abends applaudieren, angesichts der Leistungen, die in Krankenhäusern und Altenheimen erbracht werden, sondern auch, weil die Beschäftigten selbst ihn satt haben, den Durchschnittslohn von 3.100 Euro brutto. Die Beschäftigten in dieser Branche fordern einen Aufschlag von einem Drittel mehr. Marcus Jogerst-Ratzka ist einer von ihnen und Mitinitiator der Petition für höhere Löhne:
"Wir fordern ein Einstiegsgehalt für Pflegefachkräfte von 4.000 Euro. Und wir sind auch der Meinung, dass wir das im Moment überhaupt nicht über Tarifverhandlungen hinbekommen können. Da sind auch einige Politiker, zum Beispiel der Herr Lauterbach von der SPD hat das jetzt inzwischen auch verstanden, denn der hat auch gesagt, wir haben in den letzten Jahren mit den Tarifverhandlungen überhaupt nicht das erreicht, was wir eigentlich erreichen wollten. Wir müssen einfach sehen, dass wir einen anderen Weg finden. Das heißt, man muss jetzt die Tarifautonomie für eine beschränkte Zeit aushebeln und muss einfach sagen, man muss das politisch regeln."
Auch Arbeitgeber kritisieren die niedrigen Löhne
Die Tarifautonomie aushebeln. Nur so sei der so genannte Pflexit, das massenhafte Verlassen des Arbeitsfeldes Pflege, noch zu stoppen, sagt der gelernte Krankenpfleger. Jogerst-Ratzka fordert höhere Löhne dabei nicht für sich selbst. Als Geschäftsführer von zwei stationären Einrichtungen, einer Tagespflege und einem ambulanten Pflegedienst im Schwarzwald, vertritt er vielmehr die Arbeitgeberseite in dieser Online-Tarifrunde:
"Ich mache das sozusagen aus egoistischen Motiven, weil wenn ich ein anderes Gehalt zahlen könnte, ich auch eine andere Bewerberanzahl hätte und vielleicht auch wieder noch mehr geeignete Menschen finden würde, die diesen Beruf machen würden. Um das geht es. Wir haben viele Menschen, die im Pflexit sind, die also aus der Pflege ausgestiegen sind. Und wir haben ja seit Jahren das Problem, dass wir offene Stellen schaffen, die aber nicht besetzen können. Und es bleibt uns eigentlich kein anderes Handlungsinstrument, als mit den Löhnen kräftig nach oben zu gehen."
Baden-Württemberg, Böblingen: Eine Pflegerin (l.) und eine Bewohnerin des Pflegeheims schauen zusammen aus einem Fenster im Wohnbereich des Pflegeheims. Im Vordergrund steht ein Rollator
Alten- und Pflegeheime in der Coronakrise - "Soziale Isolation darf es nicht geben"
Endlich genügend Schutzkleidung für Senioren- und Pflegeheim – dies sei die erste Voraussetzung dafür, Bewohnern solcher Einrichtungen wieder soziale Teilhabe zu ermöglichen, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie im Dlf. Darüber hinaus könnten auch hygienische Aufklärung und Prävention helfen.
Üblicherweise handeln Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in Tarifrunden Löhne und Gehälter miteinander aus. In der Pflegebranche aber ist das noch anders. Denn zu viele unterschiedliche Arbeitgeber sind am Markt: die einen frei-gemeinnützig aus den Wohlfahrtsverbänden, die anderen kirchlich mit eigenem Tarifrecht, aber ohne Streikrecht. Und schließlich die privaten Anbieter, die Löhne und Gewinne privatwirtschaftlich kalkulieren. Diese Konkurrenz der Träger war bei Einführung der Pflegeversicherung 1995 politisch gewollt, erklärt die Politikwissenschaftlerin Diana Auth. Sie ist Professorin an der Fachhochschule Bielefeld.
"Man hat in das Gesetz die privaten Träger mit aufgenommen, so dass die im Grunde genauso gefördert werden, wie die frei-gemeinnützigen. Und das hat die Wohlfahrtsverbände vor eine neue Konkurrenzsituation gestellt und aus der politischen Perspektive passte diese neue Politik sehr gut in diesen neoliberalen Zeitgeist."
Wettbewerb auf dem Pflegemarkt war erwünscht
Man wollte den Wettbewerb auf dem noch jungen Pflegemarkt und man wollte das Kapital und die Initiative der privaten Anbieter, die heute 66 Prozent der ambulanten und 43 Prozent der stationären Pflegeangebote stellen. Doch die Beschäftigten in der Altenpflege hatten das Nachsehen, sagt Diana Auth:
"Was wir immer noch haben, sind relativ niedrige Löhne. Vor allem im Vergleich zu den anderen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Wenn man sich da den Median anschaut, dann stellt man fest, dass die Pflegekräfte immer noch so ungefähr zehn bis15 Prozent weniger verdienen. Und wenn man dann noch die Altenpflegehelferinnen und -helfer zugrunde legt, sind es tatsächlich sogar 40 Prozent unterhalb des Durchschnittslohns, der in Deutschland gezahlt wird."
Seit Jahren geht es in dieser Frage zäh voran. Daran hat auch der Fachkräftemangel, von dem alle wissen, nichts geändert. Die verschiedenen Arbeitgeber und ihre Interessen waren bislang nicht unter einen Tarif-Hut zu bekommen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat deshalb im letzten Jahr die Notbremse gezogen und mit dem so genannten Pflegelöhneverbesserungsgesetz die Ansage verbunden: Wenn die Branche jetzt wieder keinen Tarifvertrag hinbekommt, will er eingreifen und Mindestlöhne gesetzlich festschreiben. Hubertus Heil im Bundestag im September 2019:
"Worum geht es? Der Grund dafür, dass in der Altenpflege vor allen Dingen so schlecht bezahlt wird, liegt nicht daran, dass das so unwichtig ist, was Menschen da tun, sondern schlicht und ergreifend an der Tatsache, dass nur 20 Prozent der Altenpflegerinnen – und wir können getrost bei der weiblichen Formulierung bleiben, es sind überwiegend Frauen – nur 20 Prozent sind tarifgebunden. Und es gilt immer noch: Wo ein Tarifvertrag ist, sind in der Regel die Arbeits- und Lohnbedingungen besser als in Bereichen, in denen es keinen Tarifvertrag gibt."
Löhne in der Pflege sind unterdurchschnittlich
Wo Tarifverträge fehlen, werden Löhne gedrückt. Das zeigen auch Zahlen der Konzertierten Aktion Pflege. Sie wurde im letzten Jahr von drei Ministerien aufgelegt, mit dem Ziel, zu fairen, für alle geltenden Lohnvereinbarungen in der Pflegebranche zu kommen. Der Unterschied zwischen tariflicher und nicht-tariflicher Vergütung kann mehrere hundert Euro im Monat ausmachen. Diana Auth:
"Insofern ist die Idee mit dieser Konzertierten Aktion Pflege schon eine gute Idee – auch wenn sie sehr ungewöhnlich ist. Weil eigentlich hat der Staat mit Löhnen gar nichts großartig zu tun. Normalerweise, Stichwort Tarifautonomie, ist das ein Feld, in dem die Arbeitgeberverbände zusammen mit den Gewerkschaften Löhne aushandeln. Also es müsste eigentlich gelingen, den Druck zu erhöhen, so dass die privaten Anbieter gezwungen werden, dem Druck nachzugeben und sich Tarifverhandlungen zu stellen. Das wäre eigentlich der Weg, der für diesen Fall vorgesehen ist. Also der Weg über das Bundesarbeitsministerium, um Tarifverträge für allgemeingültig zu erklären, ist eigentlich eher ein Umweg."
Ein Rollator steht im Zimmer einer älteren Frau 
Pflegekräfte - Die meisten Heime sind chronisch unterbesetzt
Fehlende Fachkräfte und Kostenkampf der Heime – trotz vieler Versprechen der Politik in den letzten Jahren ist die Situation in der Pflege nach wie vor kritisch. Und bevor politische Maßnahmen greifen, müssen kurzfristig Pflegerinnen und Pfleger aus dem Ausland her.
Diesen Umweg aber sind der vor einem Jahr eigens gegründete neue Arbeitgeberverband in der Pflege (BVAP) und die Gewerkschaft Verdi bereit miteinander zu gehen. Einen solchen Arbeitgeberverband, der für alle offen ist, hatte Hubertus Heil zur Voraussetzung gemacht für seinen politischen Weg aus der ungelösten Tariffrage in der Pflege:
"Wenn ein Tarifvertrag Pflege zustande kommt – und Gott sei Dank hat sich endlich ein Arbeitgeberverband gegründet, der bereit ist, entsprechende Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften zu führen –, wenn ein Tarifvertrag Pflege zustande kommt, ermöglicht dieses Gesetz, dass ich ihn als Arbeitsminister für ganz Deutschland allgemeinverbindlich erklären kann. Das führt zu besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen in der Pflege, meine Damen und Herren."
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad ist gering
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi setzt auf das SPD-Modell. Mit einem Verhandlungserfolg würde sie endlich einen Fuß in die Tür der Pflegebranche bekommen. Der Organisationsgrad in Krankenhäusern und Altenheimen ist bislang sehr gering. Teile der Arbeitgeberseite sind grundsätzlich dabei, weil der Fachkräftemangel die gesamte Branche zum Handeln zwingt. Höhere Löhne könnten die Pflegeberufe wieder interessanter machen, sagt Gero Kettler, der Co-Vorstand der BVAP, der neuen verbandsübergreifenden Vereinigung von Arbeitgebern in der Pflege.
"Wir müssen in den Verhandlungen sehen, was sind denn Löhne, die die Branche attraktiv machen? Und die bisherigen Pflegemindestlöhne, die wir über die einvernehmliche Kommission festgesetzt haben, die sind es ganz bestimmt nicht. Dass wir mit etwas über 15 Euro für Fachkräfte einsteigen, ist ganz bestimmt nicht das Ziel, da müssen wir deutlich drüber sein. Und ob das jetzt 3.500, 3.800 oder 4.000 Euro werden, das müssen nun wirklich die Verhandlungen erbringen."
Doch das Mandat von BVAP und Verdi ist alles andere als stabil. Zwar ist der neue Verband offen für jeden Arbeitgeber, der an einer Tariflösung interessiert ist. Doch am Verhandlungstisch fehlen ausgerechnet die, deren Marktmacht besonders groß ist: die privaten Anbieter von Altenheimen und ambulanten Diensten. Sie wollen keine Einheitstarife über die ganze Branche hinweg, sagt Sven Halldorn, der Geschäftsführer des Bundesverbands der privaten Arbeitgeber in der Pflege. Halldorn verweist auf gute Tarifabschlüsse in einzelnen Regionen aus seinem Verband heraus. Den derzeit geltenden Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde für Fachkräfte hält er für eine brauchbare untere Haltelinie:
"Wir haben immerhin einen Pflegemindestlohn, der ja als untere Haltelinie in der Vergangenheit in der Pflegekommission verabredet worden ist, der 20 Prozent höher ist als der allgemeine gesetzliche Mindestlohn für ungelernte Kräfte wohlgemerkt. Ich glaube, dass die Pflegekommission auch die richtige Institution ist, um das Thema Mindestbedingung für die Pflege möglicherweise auch weiter zu verhandeln, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die Möglichkeiten der Pflegekommission sind weiter gefächert als eben nur eine untere Haltelinie zu vereinbaren. Insofern gibt es hier durchaus Spielräume für weitere mögliche Verhandlungsergebnisse in der vierten Pflegekommission, die mittlerweile einberufen worden ist."
Private Pflegeanbieter wollen die politische Einmischung nicht
So Sven Halldorn in der Anhörung im Gesundheitsausschuss im Oktober 2019. Auf telefonische Nachfrage bestätigt er für den Verband der privaten Pflegeanbieter: Man gebe weiterhin der Pflegekommission und der Vereinbarung von Mindestlöhnen den Vorzug vor einer Einheitstariflösung. Und er kündigt an, dass man bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde, sollte die unternehmerische Autonomie der freien Lohngestaltung angriffen werden.
"Weil wir halt die besondere Situation haben, dass hier tatsächlich die Gefahr besteht, dass kleine Gruppen im Prinzip einer Mehrheit der Branche Regelungen aufoktroyieren mit Hilfenahme des Gesetzgebers. Und deshalb sehe ich hier massive verfassungsrechtliche Bedenken."
"Das ist so ein bisschen die jetzige Zeit, wo Arbeitgeber sich echt von ihrer Schokoladenseite zeigen müssen."
Sagt Andrea Albrecht. Sie ist Pflegedirektorin am Lukas-Krankenhaus in Neuss. Auf Plakatwänden vor der Klinik werben Arbeitgeber aus der Pflegebranche, manche sogar mit Prämien für Wechselwillige. Der Run auf die Pflegefachkräfte ist im vollen Gang. Andrea Albrecht sieht das gelassen.
Beispiel aus der Praxis: Flexpools
Mit der "Schokoladenseite" meint die Personalmanagerin nicht nur Tariflöhne, sondern vor allem attraktive Arbeitsbedingungen. Denn die sorgten für stabile Bindungen ans Haus. 50 bis 60 Mal pro Jahr steigt eine Pflegefachkraft im Lukas-Krankenhaus aus dem Beruf aus, beispielsweise wegen einer Schwangerschaft oder aus Altersgründen. Bei 745 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pflege ist jeder Personalwechsel immer eine Herausforderung. Andrea Albrecht wollte raus aus dem Kleinklein der Mindestlohnvereinbarungen und der kritischen Unterbesetzung. Die Idee des Flexpools war geboren:
"Flexpool bedeutet, dass Mitarbeiter so arbeiten können, wie sie wollen. Das ist eine Wunschvorstellung in vielen Betrieben, insbesondere im Krankenhaus. Und wir haben mit dieser Idee einen anderen Umstand tatsächlich gelöst, nämlich den hohen Ausfall in der Pflege."
Eine Ärztin kommt aus einem Stationszimmer im Krankenhaus. Aufnahme leicht verwischt. 
Personalmangel in Krankenhäusern - "Der Pflegenotstand ist ernst"
Der Pflegenotstand in Krankenhäusern sei hausgemacht, sagt Eugen Brysch vom Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz im Dlf. Sowohl die Länder als auch die Krankenhäuser hätten jahrelang an der Pflege gespart. Er fordert ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Kommunen, Ländern und Leistungsanbietern.
Wer im Flexpool arbeitet, hat einen festen Arbeitsvertrag, aber keine feste, immer gleiche Stelle im Haus. In fünf Bereichen der Klinik sind die rund 70 Flexpool-Kräfte eingearbeitet und somit stets nach Bedarf einsetzbar.
"Und so haben wir jetzt ein sehr großes Team an Pflegekräften mittlerweile, die Stellen kompensieren auf den Stationen oder wenn Mitarbeiter krank geworden sind, die dort hingehen und da arbeiten. Und dafür dürfen sie sich absolut frei aussuchen, wie sie arbeiten. Das heißt, wir haben Arbeitszeit jetzt wirklich ganz flexibel umgesetzt. Und es gibt Mitarbeiter, die schreiben vielleicht sogar für ein halbes Jahr im Voraus ihren Dienstplan und wissen dann ganz genau, da arbeite ich. Sie wissen nur noch nicht genau, wo arbeite ich."
Alte Pläne helfen nicht weiter
"Wo ich meine Ausbildung gemacht habe, war das Standard: Zwölf Tage arbeiten, zwei frei. Das war halt so, da gab es auch selten was dran zu rütteln."
Ergänzt Laura Giuliani, gelernte Kranken- und Gesundheitspflegerin. Auf die Routine solcher in der Pflege üblichen Dienstpläne ließ sie sich genau zwei Jahre lang ein. Dann begannen Überlegungen, sich beruflich neu aufzustellen und zu studieren. Studium, Schwangerschaft, Berufswechsel – typischerweise gehen an solchen kritischen Punkten Mitarbeiterinnen in der Pflege entweder in Teilzeit oder gleich ganz verloren. Der Flexpool kam für sie genau richtig, sagt Laura Guiliani:
"Ich sage bis heute, es konnte mir nichts Besseres passieren, weil ich einfach um mein Studium herum planen konnte, welches Wochenende kann ich arbeiten, wann habe ich wo Vorlesungen, wo hab ich vielleicht nur eine Vorlesung. Und an dem Wochenende bin ich dann immer arbeiten gegangen, weil das war ja die Voraussetzung, dass man mindestens ein Wochenende im Flexpool arbeitet."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Mit mehr Geld pro Stunde hätte man sie nicht überzeugen können, sagt die Krankenpflegerin, die parallel zum Studium weiterhin am Lukas-Krankenhaus arbeitet. Auch Familienfrauen oder -männer schätzen die Möglichkeiten des Flexpools: Das Jobsharing wird damit einfacher. Und weil sie die Arbeitszeiten selbst bestimmen können, kommen nach der Elternzeit viele früher zurück. Während Fachkräfte auf dem Markt heute auch mit Geld und Prämien nicht zu finden sind, schöpft ein solches Modell alle Teilzeitreserven im eigenen Haus aus. Aber: Umsonst gibt es das nicht, betont Pflegedirektorin Andrea Albrecht:
"Und so haben wir hier so einen Geschäftsplan aufgestellt und haben gesagt, wir brauchen im Grunde genommen Geld von außen, um erst mal zusätzliche Pflegekräfte einzustellen, um einen gewissen Stand zu haben, um soundsoviel Mitarbeiter einzuarbeiten. Wir haben das dann angelegt als Projekt über zweieinhalb Jahre, haben genau ausgerechnet, was kostet uns das an Pflegekräften letztendlich und haben auf diese Art und Weise von der Geschäftsführung 600.000 Euro zur Verfügung gestellt bekommen, um das vorzufinanzieren. Und das war sehr klug. Wenn Sie mal fragen, wie viel Geld wird für Leasingkräfte im Moment in den Kliniken ausgegeben, sind 600.000 Euro ein Bruchteil davon. Und auf diese Art und Weise haben wir 70 Stellen geschaffen. Jetzt brauchen wir kein zusätzliches Geld mehr."
Die volle Personalbesetzung sorgt dafür, dass heute wieder alle Klinikbetten belegt sind und somit Geld einspielen. Ein Teil der Stellen wird außerdem über das neue Pflegebudget sowie über ein Programm des Bundesgesundheitsministeriums zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf finanziert.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
Coronavirus - Aktuelle Zahlen und Entwicklungen
Im Coronavirus-Zeitalter sind wir alle zahlensüchtig: Wie viele gemeldete Coronavirusfälle gibt es in Deutschland? Verlangsamt sich die Ausbreitung des Virus, wie entwickeln sich die Fallzahlen international?
Im Ringen um einen Flächentarif in der Pflegebranche ist man von solchen Erfolgsmeldungen noch meilenweit entfernt. Das liegt nicht nur am fehlenden Willen der beteiligten Marktkonkurrenten. In Krankenhäusern ist die Tariffindung grundsätzlich einfacher. Dort wird in der Regel nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt. In der Altenpflege aber wird anders finanziert: aus Mitteln der Pflegeversicherung und mit Hilfe von Eigenanteilen. Die aber steigen automatisch, wenn die Löhne steigen. Das sei nun mal das Strickmuster der Pflegeversicherung, sagt Gero Kettler, Co-Vorstand der neuen verbandsübergreifenden Vereinigung von Arbeitgebern in der Pflege.
"Aber es kann doch nicht dazu führen, dass Pflege bei den Löhnen nicht mehr bezahlen kann und nicht im Vergleich der Branchen vernünftig bezahlen kann, unterdurchschnittlich zahlen muss, damit Menschen nicht in die Sozialhilfe abrutschen, die das ganze Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Wir brauchen unbedingt eine neue Refinanzierungsstruktur in der Pflegeversicherung. Das ist das ganz große Thema der politischen Diskussion in den nächsten Monaten."
Refinanzierung der Pflege ist schwierig
Den Strickfehler der Pflegeversicherung beheben, das ist in jedem Fall konfliktreich, denn es geht nur mit Geld aus anderen Quellen. Die Beiträge zur Pflegeversicherung könnten entsprechend hoch gesetzt werden. Das ist eine Möglichkeit. Die andere ist: Ein Steuerzuschuss, entsprechend den neuen Löhnen in der Pflege, der in Zukunft in die Pflegekasse fließen müsste. Die Bereitschaft dazu könnte in der aktuellen Coronasituation geweckt worden sein, hofft Gero Kettler: "Die Coronakrise zeigt ja gerade die gesellschaftliche Relevanz von Pflege, auch von Altenpflege. Und deswegen brauchen wir auch eine andere Kostenverteilung. Vor dem Hintergrund plädieren wir sehr dafür, dass wir einen Sockel haben, der von den Pflegebedürftigen zu zahlen ist und darüber hinaus gehende Kostensteigerungen durch vernünftige Lohnsteigerungen, sich dann auch zu Lasten einer solidarisch finanzierten Pflegeversicherung darstellen lassen."
Marcus Jogerst-Ratzka, der Mitinitiator der Petition für höhere Löhne in der Pflege, ist skeptisch:
"Ich traue der Sache nicht, das kann ich ganz klar sagen, weil ich natürlich weiß, dass da wahrscheinlich was rauskommen wird, was unter dem TVöD-Niveau sein wird."
Unter dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes also. Mit wenig Zuversicht verfolgt Jogerst-Ratzka die Diskussion zwischen frei-gemeinnützigen, darunter auch den kirchlichen sowie den privaten Anbietern in der Altenpflege. Ein bisschen mehr Geld allein genügt nicht. Der Geschäftsführer einer Altenpflegeeinrichtung verweist auf Untersuchungen, die zeigen, dass es 20 bis 25 Prozent zu wenig Personal in der Altenpflege gibt. Die Steigerung der Attraktivität für das Berufsfeld Pflege, wird mit geringen Lohnsteigerungen nicht zu erreichen sein, und auch nicht mit dem jetzt versprochenen einmaligen Bonus für Pflegekräfte. Marcus Jogerst-Ratzka:
"Ich habe gar nichts gegen Schulterklopfen, aber dabei kann es jetzt nicht bleiben, sondern da müssen jetzt Konsequenzen folgen. Ich habe sehr, sehr große Angst, dass, wenn wir jetzt nicht reagieren, wir nach dieser Krise einen noch höheren Ausstieg aus dem Beruf erleben werden, weil den Mitarbeitern natürlich jetzt auch zum ersten Mal klar wird, in welche Gefahr sie sich begeben und welche Anforderungen an sie gestellt werden. Ohne Gegenleistung kann das nicht bleiben."
Ohne Druck aber von der Basis wird es auch nicht vorangehen. Wenn also in Kürze die Tarifverhandlungen zu den Pflegelöhnen wieder aufgenommen werden, sind die aktuellen Petitionen und Aktionen der Pflegekräfte das richtige Zeichen zur rechten Zeit, findet Politikwissenschaftlerin Diana Auth:
"Das kann man ganz deutlich sagen: Der Druck muss erzeugt werden. Wenn die Pflegekräfte es mit sich machen lassen, wird sich langfristig nichts ändern. Sie müssen sich engagieren, damit es ihnen besser geht, damit ihre Arbeit besser anerkannt wird und das heißt, letztendlich bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne."