Archiv

Alter(n) in der darstellenden Kunst
Zwischen Abwertung und Verachtung

Die Gesellschaft wird immer älter, die Theaterbühnen spiegeln das allerdings nicht. Was passiert mit Künstlern, wenn sie altern? Das Kölner Künstlerduo Angie Hiesl und Roland Kaiser hat sich im Rahmen des Online-Symposiums "WAR SCHÖN. KANN WEG... Alter(n) in der darstellenden Kunst" damit auseinandergesetzt.

Von Dorothea Marcus |
De Bleistiftzeichnung einer verärgerten Frau mit geschlossenen Augen in Nahaufnahme.
Wie wirkt sich das Alter eines Künstlers, einer Künstlerin auf die Akzeptanz in der Gesellschaft aus? (imago stock&people)
Erst dachte das Kölner Künstlerduo Angie Hiesl und Roland Kaiser, es hätte ein Nischenthema, nein, eher ein – Tabuthema besetzt. Dann aber trudelten die Anmeldungen aus ganz Deutschland ein, und irgendwann musste sogar die Teilnehmerzahl begrenzt werden. Gar nicht so einfach, mit fast 170 Personen ein digitales Symposium zu bestreiten, bei dem auch noch persönlich diskutiert werden soll. Aber die Fragen brennen offenbar und Angie Hiesl fasst sie zu Beginn noch einmal zusammen: "Wie wirkt sich das Alter eines Künstlers, einer Künstlerin bzw. das Alter einer Arbeit auf die Akzeptanz am Markt aus? Wie sieht die sozioökonomische Realität von Künstlern aus? Wie sieht in der Förderung Generationengerechtigkeit aus? Wie sehen Utopien aus und wie können sie realisiert werden?"

Abwertung und Verachtung

Auch wenn ein japanisches Sprichwort besagt, dass das Leben erst in seiner letzten Phase zu seinem Höhepunkt kommt, auch, wenn viele der – im Schnitt deutlich über 50jährigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen – beschworen, dass Alter gar keine Kategorie sei, so kamen doch im Laufe des Tages viele Stimmen zur Sprache, die von der Abwertung, ja sogar Verachtung erzählten, die alternden Künstlern entgegengebracht werde. Mehr denn je scheint heute auf dem Kunstmarkt zu gelten: je jünger, desto gefragter, desto gehypter. Alternde Künstler – und noch viel mehr alternde Künstlerinnen - geraten schnell in den Verdacht, unbeweglich, langsam, fern von aktuellen Diskursen – und eben irgendwie nicht mehr am Puls der Zeit zu sein.
Dabei böten all die jungen, sexualisierten und wilden Körper auf der Bühne bei einem Großteil der Zuschauer keinerlei Identifikationsangebot. Ein Tabu, das selten ausgesprochen wird. Am direktesten macht das noch Fanny Halmburger von SheShePop. "Als Matthias Lilienthal die Kammerspiele übernommen hat und wir mit ihm ein Projekt gemacht haben (*), haben wir gesagt, wir wollen eben gerne mit älteren Schauspieler*innen arbeiten – ab 50. Er hatte keine in seinem Ensemble, er hat gesagt wir müssen uns andere suchen. In den Kammerspielen gab es dann eben keine mehr. Das finde ich einen interessanten Aspekt: Wo gehen die eigentlich hin? Wo sind die dann?"

Gibt es Tricks gegen das Verschwinden?

Zwar gebe es in den letzten Jahren auch immer wieder Projekte, in denen alternde Tänzerinnen und Tänzer etwa explizit auf die Bühne gestellt würden. Aber: 'Sei die spezielle Markierung von Alter dabei nicht auch eine Form von Diskriminierung?', fragte Sandra Noeth zu Beginn in einem Impulsvortrag. Wie könne dagegen echte Teilhabe und Austausch aussehen? Und wie können neue Bilder – zumal von Frauen jenseits der 50 – kreiert werden? Antwortversuche gab es viele im Laufe des Tages. Neben einer völlig neuen Förderstruktur über ein generelles, altersloses Grundeinkommen für Künstler bis hin zum Bedürfnis nach einer komplett neuen Form von Theater. Gedacht als Orte der Kommunikation jenseits von Aufführungen, wo sich Generationen viel häufiger begegnen könnten. Eben nicht als tagsüber geschlossene Stadttheater, sondern als offene Kulturorte mit Bibliothek, Bühne und Bar.
Auch, was das unsichtbar Machen speziell von Frauen ab 50 auf öffentlichen Bühnen und Bildschirmen betrifft, entwickelte SheShePop mit Teilnehmerinnen einige solidarische Ideen: "Eine Peer to Peer-adacemy, möglicherweise wirklich eine Quote, und einen gewissen Zwang. Dann haben wir geredet ob es Tricks gegen das Verschwinden gibt: netzwerken, Clubs gründen, Salons führen, Empfindsamkeit für die Arbeit der anderen entwickeln, Austausch pflegen, sich bei Gehaltsverhandlungen zur Seite stehen, von Männern lernen, die die Zeit besser einzuteilen die nicht permanent in Care-Arbeit sitzen…"

"Neues zu machen mit dem Wissen, was man schon angehäuft hat"

Doch neben Förderkonzepten und Strukturwandel-Ideen wurde einer der schönsten Aha-Effekte am Ende des Tages dann von der Kulturwissenschaftlerin Janine Hüsch (**) zusammengefasst: "Helena Waldmann hat uns die Frage gestellt: Was könnt ihr jetzt besser als vor 20 Jahren und wie möchtet ihr das ausbauen? Und das war eigentlich alles ziemlich toll, denn die Antworten waren: Eigentlich kann ich jetzt alles besser, was ich jetzt mache - als vor 20 Jahren (*)."
(*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben an diesen beiden Stellen nicht sauber transkribierte O-Töne korrigiert.
(**) Wir haben an dieser Stelle den Namen der O-Ton-Geberin korrigiert. Das Audio wurde ebenfalls entsprechend korrigiert.