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Alter Wein in neuen Schläuchen?

Der Holzbestand eines Waldstückes beträgt 80.000 Kubikmeter. Er wächst jährlich um 2,5 Prozent.

Von Burkhard Wetekam |
    a) Berechnen Sie den Holzbestand nach zwei Jahren.
    b) Stellen Sie die Entwicklung des Holzbestandes für die nächsten 20 Jahre mit Hilfe eines Tabellenkalkulationsprogramms dar. Wie viele Jahre würde es dauern, bis sich der Holzbestand verdoppelt hat?

    Wenn der Mathematikunterricht direkt in den Wald führt, dann schlägt das Herz moderner Pädagogen höher. Praxisnah, problemorientiert, fächerübergreifend – so sollen Schüler auf ihr zukünftiges Leben vorbereitet werden.

    c) Geben Sie zur Beantwortung der Frage in Aufgabe b) eine weitere Lösungsmöglichkeit ohne PC an.
    d) Die tatsächliche Entwicklung des Holzbestandes kann von der berechneten abweichen. Geben Sie dafür Gründe an.


    Die Pisa-Studie hat gezeigt, wie groß die Defizite deutscher Schüler im internationalen Vergleich sind. Mit den lebensnahen Aufgabenstellungen vom Typ Pisa kamen viele Jugendliche nicht gut zurecht. Das soll jetzt endlich anders werden. Die neuen Nationalen Bildungsstandards definieren bundeseinheitlich, über welche Fähigkeiten ein Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Schullaufbahn verfügen soll. Im Dezember 2003 hat die Kultusministerkonferenz die ersten Standards für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache beschlossen. Sie enthalten allgemeine Zielsetzungen und Beispielaufgaben, die einen Eindruck vom Anforderungsniveau vermitteln sollen. Doris Ahnen, rheinland-pfälzische Kultusministerin und zur Zeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz:

    Wir haben jetzt Standards vorgelegt für den Bereich des so genannten mittleren Abschlusses. Zur Zeit sind weitere Standards in Erarbeitung für den Bereich der Grundschule und den Bereich der Hauptschule und auch für den Bereich der Naturwissenschaften für den mittleren Abschluss. Die werden im Laufe des Jahres 2004 auf den Weg gebracht, und die Länder haben sich verpflichtet, dieses beginnend mit dem Schuljahr 2004/2005 in ihren Schulen jeweils umzusetzen.

    Die SPD-Politikerin glaubt, dass der Tanker Schule auf dem richtigen Weg ist. Nicht ohne Grund wurde die Kultusministerkonferenz in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder als träge und ineffektiv gescholten. Doch unter dem Druck der Pisa-Debatte haben die sechzehn zuständigen Länderminister einen bislang unbekannten Tatendrang entwickelt.

    Die Bildungsstandards sind ein deutlicher Beleg dafür, dass die Kultusministerkonferenz gemeinsam handelt, schnell handelt, und das dann auch in den Ländern umsetzt. Das ist auch so dringend notwendig, das ist eine Konsequenz sicherlich auch aus PISA, aber der Prozess hat schon vorher begonnen, dass die Kultusministerkonferenz sich auf das Wesentliche konzentriert, und das Wesentliche ist, Vergleichbarkeit und Mobilität und gegenseitige Anerkennung im Bildungssystem sicherzustellen.

    Bildungspolitik ist in Deutschland traditionell von ideologischen Debatten und parteipolitischen Blockademanövern belastet. Dass sich die Länderminister von Baden-Württemberg bis Mecklenburg-Vorpommern parteiübergreifend auf einheitliche Bildungsstandards geeinigt haben, können sie durchaus als Erfolg verbuchen. Aber was passiert nun mit den Beschlüssen, die in diesem Jahr in dichter Folge über die deutschen Schulen hereinbrechen? Welche Konsequenzen haben die Bildungsstandards für den täglichen Unterricht? Wie sollen sie überprüft werden? Noch einmal Doris Ahnen:

    Das Wichtigste ist jetzt sicherlich die generelle Information aller Schulen. Ich kann sagen, in Rheinland-Pfalz haben wir das so gemacht, dass wir alle Schulleiterinnen und Schulleiter der Sekundarstufe zu einer zentralen Erstinformation eingeladen haben und jetzt finden regionale Informationsveranstaltungen vor allen Dingen für die Mitglieder der jeweiligen Fachkonferenzen statt. Darüber hinaus muss dieser Prozess selbstverständlich auch durch Lehrerfort- und -weiterbildung unterstützt werden und das geschieht in den Ländern.

    Szenenwechsel. Wir springen von der höchsten Ebene deutscher Bildungspolitik hinab in den Schulalltag.

    Fünf Seiten eines Würfels von 3 cm Kantenlänge werden rot angestrichen, die sechste Fläche bleibt ohne Anstrich.
    a) Wie viel Prozent der Würfeloberfläche sind rot?
    Der Würfel wird in Teilwürfel von 1 cm Kantenlänge zerlegt. Diese Teilwürfel werden in ein Gefäß gelegt, aus dem anschließend einer mit geschlossenen Augen entnommen wird.
    b) Mit welcher Wahrscheinlichkeit hat der entnommene Würfel keine, genau eine, zwei, drei oder vier rot angestrichene Flächen?


    Eine Gesamtschule in Hannover, ausgewählt nach dem Zufallsprinzip. Was zum Beispiel wissen die Schüler hier über die Bildungsstandards?

    Naja, die sollen ja eingeführt werden, um Leistung zu überprüfen in den verschiedenen Jahrgangsstufen. Und die sollen dann ja auch entscheiden, ob Schüler gefördert werden oder runtergestuft werden oder so.

    Mein Problem ist damit, dass dann nur der Konkurrenzkampf meiner Meinung nach untereinander, unter den Schülern ausbricht oder gefördert wird.

    Was ich dann auch schade finde, ist, dass die Individualität im Unterricht halt verloren geht, dadurch dass ganz bestimmte Richtlinien dann vorhanden sind und man nicht frei entscheiden kann, welche Lektüre man liest und wie man sie behandelt. Und das fänd’ ich schade, wenn das verloren geht.

    Unter den Schülern kursieren viele Halbwahrheiten, Skepsis herrscht vor. Natürlich sind Bildungsstandards nur sinnvoll, wenn die Schulaufsicht sie auch überprüft. Zwar sind es auch die Schüler, die Testaufgaben lösen müssen. Auf dem Prüfstand stehen aber vor allem diejenigen, die sie unterrichten. In Zukunft sollen sich Schulen an ihren Ergebnissen messen lassen. Und wenn dieses System erst einmal funktioniert, sollen sie nicht weniger, sondern mehr Freiheiten bekommen als jetzt, sagen die Bildungspolitiker. Allein der Erfolg zählt – auf welchem Weg die einzelne Schule diesen Erfolg erreicht, bleibt dann weitgehend ihr überlassen.

    Sag
    in was
    schneide ich
    deinen Namen?

    In den Himmel?
    Der ist zu hoch
    In die Wolken?
    Die sind zu flüchtig

    In den Baum
    Der gefällt und verbrannt wird?
    Ins Wasser
    das alles fortschwemmt?

    In die Erde
    die man zertritt
    und in der nur
    die Toten liegen?

    Sag
    in was
    schneide ich
    deinen Namen?

    In mich
    und in mich
    und immer tiefer
    in mich


    "Inschrift", ein Liebesgedicht von Erich Fried. Der Dichter hätte zu Lebzeiten sicher nicht erwartet, dass sein Werk einmal Teil der Nationalen Bildungsstandards für das Fach Deutsch würde. Alle in diesem Beitrag zitierten Aufgaben haben den Segen der Kultusministerkonferenz und sollen illustrieren, welche konkreten Anforderungen die eher abstrakt formulierten Bildungsstandards nach sich ziehen können. In diesem Fall sollen die Schüler Erich Frieds Gedicht mit einem von Heinrich Heine vergleichen – eine Aufgabe, die es in sich hat.

    Ich würd’ halt sagen, dass es ihm darum geht, wie er eben Liebe festhält, deswegen "in was schneide ich deinen Namen?", dass er halt erst viele Dinge in der Natur aufzählt, die aber alle vergänglich sind, also nicht ewig bestehen, und am Ende stellt er fest, dass er nur in sich die Liebe festhalten kann - und nicht irgendwo woanders.

    Rein formal ist schon mal der Unterschied, dass sich das Gedicht von Heinrich Heine reimt, die zweite und vierte Zeile pro Strophe reimt sich, und bei Erich Fried reimt es sich nicht.

    Beim ersten von Erich Fried geht’s halt darum, wie man die Liebe festhalten kann, und beim zweiten geht’s halt darum, wie man ihr Ausdruck verleihen kann.

    Mit Lyrik haben sich die Zehntklässler aus Hannover bisher wenig beschäftigt. Einige von ihnen haben gute Ideen, aber ihnen fehlt das Vokabular, um das Gedicht zu interpretieren. Die schweigende Mehrheit scheint sich schwer zu tun mit dem Text. Vielleicht liegt es aber auch an der Scheu vor dem Mikrofon. Deutschlehrer Horst Menze jedenfalls findet die Formulierung der Aufgaben ungeschickt. Ihm wie auch seinen Kollegen ist noch unklar, in welcher Form sie die neuen Bildungsstandards am besten im Unterricht umsetzen. Und wie man sie in die Lehrpläne integrieren kann. Vielleicht weiß Schulleiter Oswald Nachtwey darauf eine Antwort. Doch auch er ist zunächst etwas irritiert über die Frage:

    Da wir offiziell noch in keiner Weise informiert sind und uns nichts vorliegt an Standards, war bisher noch keine Gelegenheit, sich damit auseinanderzusetzen, zumal wir zur Zeit durch die neuen Erlasse mit zu vielen anderen Fragen konfrontiert sind, dass für diese Fragen der Bildungsstandards bisher keine Zeit war. Aber wir setzen uns natürlich sowieso mit Fragen von Standards auseinander, unabhängig von der öffentlichen Diskussion, so dass uns insgesamt die Frage nicht so ganz neu ist und fremd ist.

    Schulleiter Nachtwey scheint zur Zeit andere Sorgen zu haben als die Einführung von Bildungsstandards. Die seit einem Jahr amtierende CDU-Regierung in Niedersachsen kürzt die Mittel der Gesamtschulen. Die sehen sich dadurch benachteiligt. Auch dies: die unterschiedliche Ausgangsposition der verschiedenen Schulen, müsse in der Diskussion über Bildungsstandards eine Rolle spielen, meint Nachtwey:

    Also es wär’ schon wichtig zu sehen: In welchen Situationen befinden sich die Schulen? Haben sie die gleichen Arbeitsbedingungen, um das gesetzte Ziel auch zu erreichen. Und der andere Faktor, der die Schulformen jetzt auch untereinander noch mal trifft, ist: Es muss genau geguckt werden, welches ist der Input, also mit welcher Schülerklientel haben es die Schulen zu tun und was machen sie aus dieser Schülerklientel, und nur dann wird man, wenn man sich den Output anguckt, den Schulen auch gerecht werden können.

    Es verwundert kaum, dass auch die Elternschaft der hannoverschen Gesamtschule wenig über die Bildungsstandards weiß. Eine der wenigen Ausnahmen ist Florian Vaßen, Vorsitzender des Schulelternrates. Er sieht die Entwicklung der Bildungspolitik verhalten positiv, teilt aber die Sorgen von Schulleiter Nachtwey.

    Also grundsätzlich bin ich, und ich denke, auch die Mehrheit der Eltern wird für Bildungsstandards sein, weil sie eigentlich ja eine Öffnung beinhalten und Möglichkeiten bieten, Möglichkeiten für unterschiedliche Wege, zu einem gleichen oder ähnlichen Ziel zu kommen.

    Eigentlich geht es um das eigenverantwortliche Arbeiten und Lernen von Schülern. Das ist das zentrale Ziel dabei, und dem ist im Grunde alles unterzuordnen, was in Schule passiert. Und wenn Bildungsstandards, wie das zum Teil in England wohl der Fall ist, nur im überprüfbaren Wissen dann letztlich sich niederschlagen, dann wird man dem Gegenstand nicht gerecht, ganz im Gegenteil, man konterkariert das eigentliche Anliegen und macht den Unterricht zum reinen Pauken für einen Test.

    Die Gefahr besteht, dass es eben kein offener Lernprozess zu einem vorgegebenen Ergebnis wird, sondern dass es ein Lernprozess wird, der nur auf Prüfungsergebnisse ausgerichtet wird, also dass die Kinder sozusagen nicht ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickeln und gefördert und gefordert werden, sondern dass der Lehrer sagt: Da ist eine Prüfung, da muss ich eine Klasse hinbringen und alles andere – und meistens sind es dann die kreativen Bereiche – bleiben dann beiseite, und es wird nur noch für diese Klausur oder diese Prüfung gepaukt. Da besteht natürlich die Gefahr in so einer Leistungsgesellschaft, die wir haben, und auch wenn man über die deutsche Grenze hinausschaut, nach England, wo das schon praktiziert wird, dass das kontraproduktiv ist.

    Zwei Befürchtungen sind immer wieder zu hören: Dass bestimmte Schulen im zunehmenden Wettbewerb von vornherein benachteiligt sind, und dass die Standards die pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten einschränken. Nach den Vorstellungen der meisten Experten und Fachpolitiker soll aber gerade das nicht geschehen – im Gegenteil. Dazu noch einmal die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen:

    Ein Punkt ist: Mehr pädagogische Selbständigkeit für die Schulen. Sie können aber den Schulen nur dann mehr pädagogische Freiheit geben, wenn sie gleichzeitig klar definieren, was in einer bestimmten Jahrgangsstufe als Ergebnis des schulischen Prozesses herauskommen soll. Insofern bedingt sich das gegenseitig. Und ich glaube, es ist sehr wichtig, dass die Schulen mehr Freiheit haben, ihren Weg zu finden, wie sie zu diesem Ergebnis kommen, weil sie ne unterschiedliche Schülerinnen- und Schülerschaft haben, weil sie unterschiedliche Umfeldbedingungen haben, weil sie auch Freiraum brauchen, um pädagogisch neue Wege gehen zu können. Also ich glaube, das eine bedingt das andere, und ein vernünftiger Umgang mit Standards verbietet sozusagen Teaching for the Test.


    Eine Schule, die ihre pädagogische Arbeit selbst bestimmt und sich frei von einengenden Verordnungen ausschließlich an ihren Ergebnissen messen lassen muss, ist in Deutschland noch Zukunftsmusik. Wenn die Politiker Bildungsstandards verabschieden, ist das allenfalls ein erster Schritt, aber keine Garantie für hochwertigen Unterricht. Die Bildungsstandards müssen erst einmal in den Schulen ankommen und Teil der dortigen Arbeit werden. Wie das funktionieren könnte, weiß der Bildungsforscher Eckhard Klieme:

    Ich glaube, der richtige Ort, dies zu diskutieren, ist jeweils die Fachkonferenz, weil es um fachliche Standards geht. Das heißt, es sollten sich - sagen wir - die Deutschlehrer einer Schule zusammensetzen, diese Standards angucken und sagen: Haben wir eigentlich selbst den Eindruck, dass wir denen gerecht werden oder nicht? Stimmen die Zielsetzungen, die hier akzentuiert werden, mit unseren eigenen Zielsetzungen überein? Vielleicht stellt sich dann heraus, dass man in so einem Fachkollegium noch nie so richtig gründlich gestritten hat vielleicht oder nachgedacht hat, was man selbst als den Kern des eigenen Faches ansieht, und es könnte ja gar nicht so falsch sein, wenn die Standards die Schulen dazu bringen, solche Auseinandersetzungen zu führen.

    Eckhard Klieme hat im Jahr 2003 im Auftrag der Bundesregierung federführend an einer Expertise mitgewirkt, deren Ergebnisse in die neuen Bildungsstandards eingeflossen sind. Die Kultusministerkonferenz, meint er, habe mit den neuen Standards Beachtliches geleistet.

    Das wirklich Neue daran sind zwei Ideen: Das eine ist die Idee der Kompetenzmodelle - dass man versucht, grundlegende Teilkompetenzen eines Faches zu beschreiben, etwa in der Mathematik die Kompetenz des Problemlösens, des Argumentierens, des Modellierens, solche Dinge, die auch quer über die Stoffgebiete hinweggehen, und das ist etwas, das auch in den Lehrplänen bis jetzt kaum angesprochen wird, höchstens in den Präambeln, aber das ist nicht wirklich ausgeführt. Und das Zweite, was neu ist: die Umsetzung in Aufgaben, und letztendlich Tests, das ist absolut neu für Deutschland.

    Innovativ, so Klieme, seien beispielsweise die Standards für die erste Fremdsprache. Wenn sie gelten, hat das Englischlernen nur noch wenig zu tun mit der eintönigen Textarbeit, die viele Erwachsene noch aus ihrer eigenen Schulzeit kennen.

    Die Fachgruppen haben sich die Mühe gemacht zu überlegen: Was ist eigentlich der Kern unseres Faches? Also etwa in der Mathematik: Was sind die zentralen Ideen? Oder in den Fremdsprachen zu sagen: Wir wollen das Fremdsprachenlernen schwerpunktmäßig verstehen als den Erwerb kommunikativer Kompetenzen. Was bedeutet das eigentlich, so einen kommunikativen Zugang zu haben? Nicht die Sprache nur als Struktur zu erlernen, nach Regeln, sondern wirklich mit Sprache handeln zu können?

    Anna’s sister Lesley left her parents' home nine months ago. She packed some clothes when the house was empty, stole her mother’s cash card and caught a bus to Glasgow...

    In einer Beispielaufgabe für das Fach Englisch sollen sich die Schüler in die Lage von Anna versetzen. Annas Schwester Lesley ist von zu Hause weggelaufen, und Anna fürchtet sich vor dem ersten Weihnachtsfest ohne ihre Schwester. Doch sie bekommt eine Chance, Kontakt zu Lesley aufzunehmen. Sie wird in eine Fernsehshow eingeladen, um dort öffentlich über ihre Gefühle zu sprechen und an die verschwundene Schwester zu appellieren.

    You have 15 minutes' time to prepare some notes for a free speech of about 3 – 4 minutes. Use your imagination to elaborate on the above situation.

    Je offener und kreativer Aufgaben formuliert sind, um so schwieriger wird es, die erwarteten Leistungen sinnvoll zu testen. Dieses Problem sieht auch Eckhard Klieme. Und er warnt davor, Schüler zu häufig mit Prüfungen und Zentralarbeiten zu belasten. Die Bildungsstandards seien ohnehin nur der erste Schritt zu einem transparenten Bildungssystem.

    Es ist nämlich so, dass die Hauptaufgabe jetzt erstmal darin besteht, zu den Standards die Instrumente zu entwickeln, die man braucht, um die Einhaltung von Standards zu überprüfen, also konkret: Aufgaben zu entwickeln, die zu den Standards passen, und die Aufgaben zu erproben und vernünftige Tests zu machen, damit später dann Schulen und auch Länder insgesamt eine Rückmeldung bekommen, inwieweit sie die Standards erreichen oder nicht.

    Zu diesem Zweck gründet die Kultusministerkonferenz ein neues Institut, das an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelt sein wird. Mit ersten Ergebnissen ist für die Jahre 2006 und 2007 zu rechnen. Immer wieder betonen Bildungspolitiker, dass eine nachhaltige Verbesserung des Schulsystems Zeit braucht. Es ist genau die Zeit, die sie in der Vergangenheit verschlafen haben. Jetzt in Hektik zu verfallen, wäre allerdings auch kein guter Weg. Bildungsforscher Klieme warnt denn auch davor, sich allein auf standardisierte Tests in der neunten oder zehnten Klasse zu verlassen. Ob eine Schule gute Arbeit leistet, darüber kann nur eine umfassende Bewertung etwas aussagen. Dazu gehören beispielsweise auch Fragen nach dem Lernklima. Wie weit beteiligen sich Eltern und Schüler am Schulleben? Stimmen sich die Lehrer untereinander ab? Passen die Angebote der Schule zum Bedarf der Schüler? Für Eckhard Klieme gehört das Thema Evaluation zu den wichtigsten schulpolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre.

    Es gibt sehr viele Modellvorhaben, wo Schulen sich selbst evaluieren, wo sie durch, wie man das so schön sagt, kritische Freunde begleitet und beraten, evaluiert werden oder wo sie extern mit standardisierten Tests und Fragebögen oder durch Besuch von Inspektionsgruppen besucht werden. All das gibt es schon in Deutschland, an verschiedenen Ecken, in Modellprojekten und so weiter, aber wir sind erst am Anfang, das wirklich systematisch zu entwickeln. Und ich bin wirklich gespannt darauf, wie die verschiedenen Konzeptionen für Schulevaluation aussehen werden, in, sagen wir, fünf, sechs, sieben Jahren.